Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 35.1930, (Nr. 1-52)

DOI Heft:
Nr. 4
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6762#0052
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
UHU- nicht -dabei, das gehörte nicht ihm lind
niemanden, denn die Liebe war für sie nichts
anderes als Angst. Zu sehr standen noch die
Nächte ihrer Kindheit in ihrer Erinnerung,
mit Vater und Mutter im selben Na um. —

Wäre er nicht so tief der Liebe verfallen
gewesen, die er selber nicht zu deuten wußte
und von der er sich nur tragen ließ, er hätte
das Gezwungene ini Benehmen feiner Braut
nicht so geduldig hingenommen. Andere hätten
sie gewiß geschlagen oder ihr Gewalt angetan.
Welcher reiche Bauernsohn auch hätte sich vor
einer Magd solche Bloßen gegeben?

Als sie ihr Ialvort gesprochen hatte, ver-
wandelte sich auch seine Stellung zu ihr: er
empfand sie im Rang bereits als seine Frau.
Er warb lind warb tun ein li-obeS Wort, einen
lieben Blick, hielt den blonden Kopf unter ihre
Hand, — sie brauchte sie nur daraus zu legen,
aber sie konnte nicht, wirklich, sie konnte nicht.
Wie wird das nur werden? dachte sie oft und
nahm sich vor, ihm eine Freude zu tun, ihn
mit einer Liebkosung zu überraschen, aber
wenn er dann wieder bei ihr saß, da konnte
sie nicht, wirklich, sie konnte nicht.

Immer mehr siel das Magdbiche von ihr
ab, sie tat auch keine niederen Dienste mehr,
kleidete sich besser und begann den Kopf ein
wenig höher zu tragen. Er sah, wie sie sich
nicht entschließen konnte, gut zu ihm zu sein.
Da überstürzte er den Dermin der Hochzeit
und, obwohl die Kälte furchtbar war, be-
stimmte er die Trauung von einer Woche auf
die andere. —

Wieder sprach sie nicht dagegen, ihr war,
als ob sie blind wäre und geführt werden
müßte. Mit aller Selbstverständlichkeit nahm
sie die für sie unfaßbar schönen Dinge an:
das schwere Brautkleid, das gestickte, bunte
Tüchlein und einen Schleier aus Seide lind
Gaze.

9 tut einmal, als er ihr die Sil bersch nur
brachte, legte sie einen Augenblick ihre große,
braune, schon weniger harte Hand auf seine
größere; ihr rundes, rotes Gesicht färbte sich
noch tiefer, denn das Weib und die Magd
freuten sich des Schmuckes.

Die letzte Nacht faß sie in ihrem Bett
und betete. Sie hatte keine Scheite mehr in
den Kamin gelegt, und es fror sie in dem
Leinenhemd mit den bei den -Oberarmen ab-
geschnittenen Ärmeln. Sie hielt den Rosen-
kranz zwischen den Fingern, haspelte ihn mit
unzähligen Vaterunsern immer wieder ab.
Warum hatte sie nur ja gesagt? Warum?
Nur um Bäuerin zu sein? Sie betete immer
inniger, immer angstvoller, daß irgend etwas
sie erlösen, sie zurückreißen möge von dein
Schritt, der so unwiderruflich schien. —

Und der Bursch? Auch er saß noch lange
wach beim großen Tisch und dachte an
morgen, und je länger er dachte, um so
sicherer kam das Neue über ihn. Endlich das
Starke, das Sieghafte, das Sichere! Endlich,
endlich, endlich die so ersehnte Kraft. Dunkel
rauschte es in ihm, er verstand die Stimme,
und er freute sich darüber und antwortete
vielstimmig darauf. Atzt sollte er in ihre
Kammer gehen, jetzt. Doch nein, nicht mehr
bitten wollte er, morgen war er Herr, da
batte sie zu gehorchen als sein Weib.

11^ er krampste die großen ledernen Fäuste
zusammen und erschrak, als er sie plötzlich
auf die Tischplatte donnernd ausschlagen
hörte. Schnell kroch er unter das Federbett
und versank in Schlaf.

9iun fuhren sie dahin. Stunden um Stun-
den durchs Gebirge in der eisigen Lust. Ihre
Hand in der seinen klebte vor Kälte. Alle
waren gut vermacht bis auf die Braut, die,
einer alten Sitte gemäß, ihr blitzendes Hoch-
zeitskleid zeigen mußte. Unterkleider durfte
sie darunter anziehen, soviel sie mochte, und
sie hatte es ihm auch versichert, als er sie beim
Einsteigen fragte. — Und so saß sie da, an-
gezogen wie eine Braut im frühen Herbst,
wenn noch warme Sonne leuchtet. —

Immer fester drückte er ihre Hand, aber
er spürte keinen Gegendruck, auch hatte sie
die Augen so eigentümlich geschlossen, und
die Wimpern lagen, weiß bereift auf der
blaugefrorenen Haut. Aber stolz sah sie aus
und so fern. Nachts, dachte er, nachts, da
wird sie nah sein, da wird sie austauen in
meiner Wärme. Aber jetzt lasse ich sie noch
— und schon fühlte er sich wieder rückver-
sinken im Anblick dieses unerreichbarenGesichts.
„Kein Wort sprechen", dachte -er, „noch eine
halbe Stunde, und sie ist mein Weib."

Die Glocken der Schlitten läuteten immer
blecherner, immer noch dehnte sich der weiße
Weg in Schlangenwindungen nun den Berg
hinunter. —

j ii ii g f r 3» 9 e u u e r

Alfred 0 p r i n g c r
Register
Alfred Springer: Junger Zigeuner
 
Annotationen