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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 35.1930, (Nr. 1-52)

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Nr. 31 (Sondernummer-Muenchen)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6762#0484
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Ich beeile mich, das Zentrum der Stadt bald hinter mir zu haben.
Hinter dem Marienplatz beginnt das München der Fremden. Es ist,
als käme man Ln die andere Welt: hier Werktag — dort Feiertag, hier
Menschen, die, gleich mir, Gänge machen — dort solche, die Spazier-
gänge machen. Und ich sehe ein wenig schmerzerfüllt den Frauen nach,
die wie wundervolle Blumen der Untätigkeit die Straßen verschönen,
und jenen Männern, die sie in ihrer feudalen Sonntäglichkeit galant
begleiten. Ein Hauch von Großzügigkeit liegt über allem. Der Himmel
ist hier besonders blau: am Odeonsplatz scheint man vollends Ln Italien
zu sein. Don der Theatinerkirche geht ein Hauch von Südlichkeit aus,
es ist, als sähe sie in ihrem pomphaften Barock über die Zeit hinweg;
denn daß unten die AutoS in langen Reihen die Ludwigstraße entlang-
sausen, und daß — jetzt sogar von einem DerkehrStürmchen aus — der
machtgebietende Arm des Schutzmanns den Strom der Wagen lenkt —
was geht sie das an? Wenn man Zeit hätte wie jene Fremden, denen
man begegnet, man würde jetzt durch das hohe Portal eintreten, um im
Halbdunkel der Kirche ein wenig zu verharren.

Draußen brütet der Sommer über dem Asphalt. Dor der Feldherrn-
halle gibt es eine Insel, ein idyllisches Gestlde sozusagen, das umkreist
ist von einem Gürtel des Tempos. Hier flattern Tauben. Kinder in
luftigen Kleidern, anzusehen wie aufgeregte Schmetterlinge, füttern sie.
Kleine Fäuste streuen das in der Obstbude drüben erstandene Futter über
das Mosaik der Steine. Es ist ein Gemisch von Flügelschlagen, Kinder-
gelächter, Gurren und aufmunterdem Zuruf der Erwachsenen, die, manch-
mal ein wenig onkelhaft, dem Treiben zuschauen oder — wie auf der
Piazza San Marco — die Kamera handhaben.

Unwillkürlich nimmt man eine schlendernde Gangart an, man will
es den Fremden gleichtun — und erschrickt darüber, daß der Anzug
schäbig und ungebügelt ist, und daß der Hut eine begreifliche Neigung
zur Formlosigkeit angenommen hat. Doch das macht nichts: man steigert
sich in einen liebenswürdigen Traum hinein . . .

Aber ich bekam einen Stoß — von mir selber, besann mich, daß ich
kein Spaziergänger war, sondern einen Gang zu machen hatte, und
entledigte mich pstichtgetreu meines Auftrages. Während ich im Tür-
rahmen des Bankgeschäftes die soeben erhaltene Ouittung in die Brief-
tasche schob, stel mein Blick durch das gegenüberliegende Tor der Arkaden
auf Grün. Bäume sah ich, einen Springbrunnen und den in der Sonne
verschwommenen Zauber der Blumenbeete. Ich sah auf die Uhr und
machte meine Rechnung: wenn du zum Rückweg die Trambahn benützest,
|o gewinnst du eine Diertelstunde Zeit. Also hinüber in den Hosgarten!

Ich bummelte wie irgendein Fremder über die Wege und sagte, ganz
wie es sich gehört, immer wieder vor mich hin: „Eine schöne Stadt,
wirklich eine bezaubernde Stadt!" Es war ganz so, als wollte ich eine
reizende Reisebegleiterin auf alles aufmerksam machen, was mit zwei
Sternen versehen im Baedeker steht, Ich beugte mich über die Beete
und sann in die Blumenpracht hinein, blieb stehen und machte der er-
träumten Begleiterin Dorschläge für den Nachmittag: „Nymphenburg?
Oder vielleicht ein bißchen Isartal, oder Botanischer Garten?" Ach,
es war eine Lust, auf solch kindliche Art die eingestandenermaßen er-
stohlene Viertelstunde mit Unsinn auszufüllen!

Hier im Hofgarten i)f die Note der Feiertäglichkeit besonders betont.
Sieht man einen Menschen, der es eilig hätte? Nein, sie lustwandeln
über die gepstegten Kieswege und scheinen nur noch Sinn zu haben für
die in voller Blüte stehenden Beete, für ein gutes Ruheplätzchen, für
das Rauschen der Fontänen — und dann allerdings, wenn sie von dieser
Beschaulichkeit müde geworden sind, landen sie auf den weißen Stühlen
der Cafes.

war nahe daran, hier zu vergessen, daß ich nicht zu diesen
Menschen gehöre. Ein Fluidum von Sorglosigkeit strömte von ihnen
zu mir herüber. Ich nahm wieder das Gespräch mit meiner st'ngierten
Begleiterin auf, mir war so leicht zumute, als trüge mich der Sommer-
tag auf weichen Schwingen dahin, ich war schon fast ein Fremder, der
diese Stadt schwärmerisch liebgewonnen hat, und der es sich leisten darf,
sich dieser Liebe hinzugeben, solange es dem Wunsche nur beliebt. Mir
blieben nur noch wenige Minuten Zeit, ich setzte mich auf eine Bank
und schmorte in der Sonne.

Das Cafe drüben war auch zu verführerisch! Ich gab der Lockung
nach, nahm an einem der Tische Platz und bestellte mir ein Eis. Ich
dachte weder an meinen schäbigen Anzug, noch daran, daß die von mir
selber bemessene Frist nahezu verstrichen war. Ganz wie ich es bei den
andern sah, streckte ich die Beine in vornehmer Lässigkeit von mir,

löffelte von der süßen Kühlung und ließ, wie man so sagt, den lieben
Gott einen guten Mann sein.

jemand näherte sich meinem Tisch. „Gestatten Sie?" wurde ich
gefragt, und ehe ich noch nicken konnte, saß mir schon ein Herr gegen-
über. Als ich aufsah, bemerkte ich — seltsamerweise ohne erstaunt zu
sein —, daß dieser Herr mir zum Verwechseln ähnlich sah. Er hatte
das gleiche Haar und das gleiche Gesicht, sogar die kleine Narbe unter
dem linken Auge. Es war, als sähe ich in einen Spiegel. Aber daü
stimmt nicht ganz: der Herr war ungeheuer elegant, trug einen Anzug
nach letztem Schnitt, ein seidenes Hemd und einen vornehmen hellen Hut.
Er sah mich lächelnd an, seine Augen waren spöttisch aus mich gerichtet.
Er winkte dem Kellner, bestellte gleich mir ein Eis, und in diesem Augen-
blick mußte ich wahrnehmen, daß er auch meine Stimme hatte. Es war
eine eigenartige Situation. Ncan denke darüber wie man wolle, aber
ich saß mir selber gegenüber. Das war mehr als Doppelgängertum!
Der Herr war ich, mein besseres, oder sagen wir mein bester ange-
zogenes Ich.

Ich finde es reizend, daß wir einander hier begegnen", sagte er.
„Schon lange hatte ich darauf gehofft, aber Sie rühren sich ja nicht
aus Ihrem Kästg heraus."

„Ich habe wenig Zeit", wendete ich schüchtern ein.

„Daran sind Sie selber schuld, mein Lieber. Immer Zeit zu haben,
das ist die Zauberformel der Lebenskunst. Natürlich haben Sie Zeit.
Nehmen Sie sich doch welche!"

„Woher?"
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Karl Blocherer: Schwabinger Kirche
 
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