3cf) saß am Kiel und ließ meine Deine über
die Bordwand baumeln. Dabei sah ich den
Badegästen dreist in die Augen. Plötzlich sah
ich ein Gesicht in der Menge, daS meines war.
Eine junge Dame trug mein Gesicht. Diese
Begegnung war unheimlich. Es lebt da ein
Mensch in der Welt, eine Dame, die so aussieht
wie du, sie könnte deine Schwester sein, oder
deine Mutter, als sie jung war. Jetzt nickte die
Dame mit meinem Kopf und ihre Augen be-
kamen einen warmen Glanz. Da drehte ich mich
um und rannte hinter die Säcke, bind da sagte
ich mir: „DaS alles kann doch nicht nur Zufall
sein. Sie trägt meine Augen, meine Nase,
meinen Mund, sie lacht, so wie ich es liebe. Da
muß doch auch andere Ähn-
lichkeit da sein, Ähnlichkeit deS
Herzens." lcknd ich sagte mir
weiter: „Du hast nun drei
Monate Öl für Getreide ein-
getauscht und auf morschen
Planken ein Luderleben be-
trieben. Der Alte, dieser Gau-
ner, zahlt dir niemals die Pro-
visionen, geh vom Schiss ohne
ihm etwas zu sagen. Du
brauchst ein Erlebnis!"
Ich arbeitete noch bis spät
in die Nacht. Dann packte ich
in der Kabine meinen Sack,
grüßte die Heiligenbilder und
verschwand. Der Alte mochte
toben, soviel er wollte, war er
vertragsbrüchig, durfte ich es
auch sein.
Ich sah die Dame mit
meinem Gesicht täglich. Ich
ahnte in diesem Wesen, daS ich
heiß liebte, eine Wahlschwester
und noch mehr. Ich sagte mir,
daß unsere Seelen wohl ebenso
wie unsere Mienen gleich auf
gleich gestimmt sein mußten,
wenn nicht, so war die ganze
Physiognomie ein Mumpitz.
Eine Annäherung schien un-
möglich, da ergab sich ein son-
derbarer Zufall.
bim zu Geld zu kommen,
kam ich auf den Gedanken, eine
große Tombola für Fremde,
Fischer und Bauern abzuhalten.
Ich fuhr in die nächste Stadt
und traf mit mehreren Ge-
schäftsleuten Vereinbarungen.
Sie stundeten mir Galanterie-
waren. Mit der Spielwut der
Italiener hatte ich nicht ver-
gebens gerechnet. Hunderte
strömten zur Tombola. Die
Karten waren im Nu verkauft.
Ich mußte bei diesem Trubel
alle Nerven beisammen halten.
Die Organisation der ganzen
Veranstaltung lag nur in
meinen Händen. Ich zog aus
einem Leinensack die Nummern,
ich rief sie aus, ich verteilte
auch die Preise, Taschenmesser,
Fächer, Spiegel, Notizbücher,
NippeS und Kalender, alles Schund und Ramsch.
Aber der erste Preis war durchaus nicht zu ver-
achten, er war eine sehr filigran gearbeitete Hals-
kette venezianischen Handwerks. Sie kostete un-
verhältnismäßig viel. Die Kette war für die
Dame mit meinem Gesicht bestimmt. Daß sie
jemand anderer gewinnen könnte, dachte ich gar
nicht. Die Tombola dauerte nun schon nahezu
zwei Stunden. Das Fieber war auf den Höhe-
punkt gestiegen: „Wer wird die Kette gewinnen?"
Ich sah sie. In ihren zitternden Händen hatte
sie eine einzige Karte. Ich mußte Mitleid mit
ihr haben, so wunschhaft sah sie aus.
Man war ungeduldig. Ich griff in den Sack
und zog die letzte Nummer. Ich hielt sie
geschlossen in der Hand und sah lächelnd in die
Menge. Mein Herz klopfte ebenfalls. Ich hörte,
wie sie ängstlich zu einem Herrn flüsterte:
„Wenn er jetzt die 77 bringt, Hab ich Tombola."
Ich sah die Nummer an, e6 war 29 und
plötzlich schrie ich „Nummer siebenundsiebzig,
nummero settantasette". Ich warf die Nummer
in den Haufen, niemand hatte mich kontrolliert.
Sie schrie vor Freude auf und dankte betreten,
als ich ihr den Schmuck überreichte.
Ich jubelte, nun war endlich der Kontakt
hergestellt.
Da erschrak ich plötzlich: Vor mir stand mit
einem grimmigen Gesicht der Kapitän der
„Madonnina". „Hab ich dich endlich, du Aus-
Käthe K 0 l l w i tz
die Bordwand baumeln. Dabei sah ich den
Badegästen dreist in die Augen. Plötzlich sah
ich ein Gesicht in der Menge, daS meines war.
Eine junge Dame trug mein Gesicht. Diese
Begegnung war unheimlich. Es lebt da ein
Mensch in der Welt, eine Dame, die so aussieht
wie du, sie könnte deine Schwester sein, oder
deine Mutter, als sie jung war. Jetzt nickte die
Dame mit meinem Kopf und ihre Augen be-
kamen einen warmen Glanz. Da drehte ich mich
um und rannte hinter die Säcke, bind da sagte
ich mir: „DaS alles kann doch nicht nur Zufall
sein. Sie trägt meine Augen, meine Nase,
meinen Mund, sie lacht, so wie ich es liebe. Da
muß doch auch andere Ähn-
lichkeit da sein, Ähnlichkeit deS
Herzens." lcknd ich sagte mir
weiter: „Du hast nun drei
Monate Öl für Getreide ein-
getauscht und auf morschen
Planken ein Luderleben be-
trieben. Der Alte, dieser Gau-
ner, zahlt dir niemals die Pro-
visionen, geh vom Schiss ohne
ihm etwas zu sagen. Du
brauchst ein Erlebnis!"
Ich arbeitete noch bis spät
in die Nacht. Dann packte ich
in der Kabine meinen Sack,
grüßte die Heiligenbilder und
verschwand. Der Alte mochte
toben, soviel er wollte, war er
vertragsbrüchig, durfte ich es
auch sein.
Ich sah die Dame mit
meinem Gesicht täglich. Ich
ahnte in diesem Wesen, daS ich
heiß liebte, eine Wahlschwester
und noch mehr. Ich sagte mir,
daß unsere Seelen wohl ebenso
wie unsere Mienen gleich auf
gleich gestimmt sein mußten,
wenn nicht, so war die ganze
Physiognomie ein Mumpitz.
Eine Annäherung schien un-
möglich, da ergab sich ein son-
derbarer Zufall.
bim zu Geld zu kommen,
kam ich auf den Gedanken, eine
große Tombola für Fremde,
Fischer und Bauern abzuhalten.
Ich fuhr in die nächste Stadt
und traf mit mehreren Ge-
schäftsleuten Vereinbarungen.
Sie stundeten mir Galanterie-
waren. Mit der Spielwut der
Italiener hatte ich nicht ver-
gebens gerechnet. Hunderte
strömten zur Tombola. Die
Karten waren im Nu verkauft.
Ich mußte bei diesem Trubel
alle Nerven beisammen halten.
Die Organisation der ganzen
Veranstaltung lag nur in
meinen Händen. Ich zog aus
einem Leinensack die Nummern,
ich rief sie aus, ich verteilte
auch die Preise, Taschenmesser,
Fächer, Spiegel, Notizbücher,
NippeS und Kalender, alles Schund und Ramsch.
Aber der erste Preis war durchaus nicht zu ver-
achten, er war eine sehr filigran gearbeitete Hals-
kette venezianischen Handwerks. Sie kostete un-
verhältnismäßig viel. Die Kette war für die
Dame mit meinem Gesicht bestimmt. Daß sie
jemand anderer gewinnen könnte, dachte ich gar
nicht. Die Tombola dauerte nun schon nahezu
zwei Stunden. Das Fieber war auf den Höhe-
punkt gestiegen: „Wer wird die Kette gewinnen?"
Ich sah sie. In ihren zitternden Händen hatte
sie eine einzige Karte. Ich mußte Mitleid mit
ihr haben, so wunschhaft sah sie aus.
Man war ungeduldig. Ich griff in den Sack
und zog die letzte Nummer. Ich hielt sie
geschlossen in der Hand und sah lächelnd in die
Menge. Mein Herz klopfte ebenfalls. Ich hörte,
wie sie ängstlich zu einem Herrn flüsterte:
„Wenn er jetzt die 77 bringt, Hab ich Tombola."
Ich sah die Nummer an, e6 war 29 und
plötzlich schrie ich „Nummer siebenundsiebzig,
nummero settantasette". Ich warf die Nummer
in den Haufen, niemand hatte mich kontrolliert.
Sie schrie vor Freude auf und dankte betreten,
als ich ihr den Schmuck überreichte.
Ich jubelte, nun war endlich der Kontakt
hergestellt.
Da erschrak ich plötzlich: Vor mir stand mit
einem grimmigen Gesicht der Kapitän der
„Madonnina". „Hab ich dich endlich, du Aus-
Käthe K 0 l l w i tz