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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 35.1930, (Nr. 1-52)

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D i e K a r t e n s p i e l e r i n

Kurt W e i n h o l d

Jpmiö, und wir teilten die letzten Zigaretten.
Dann kamen wieder irgendwoher fünftausend
Mark, und das Leben ging weiter. Übrigens
nahm ich an den Vergnügungen meines ,Chefs'
nur selten teil. Wenn ich zum Beispiel spät nach
Hause kam und den Grafen in einem lustigen
Kreise vorfand, blieb ich wohl einige Minuten
oder auch eine halbe Stunde dabei und zog mich
dann in mein Zimmer zurück. Es lag aber
durchaus kein Programm darin.

Man kann sich denken, daß bei solchen Aben-
den auch Frauen anwesend waren: Schauspiele-
rinnen etwa oder Freundinnen der Freunde des
Grasen. Hübsche Mädchen und manchmal auch
kluge Frauen, denn Gras Forchheim war ein
außergewöhnlich kultivierter Mensch, und ich
kann mir wirklich niemanden denken, der sich in
seiner Wohnung nicht wohlgefühlt hätte. Natür-
lich gab es auch von Zeit zu Zeit Junggesellen-
abende, aus denen es etwas wild herging. Es
war dann nichts blngewöhnliches, daß einzelne
Teilnehmer des Festes den Nachhauseweg nicht
mehr fanden, sich aus den vorhandenen SofaS
lind Divans langlegten, ausschliefen, sich am
nächsten Ntorgen im Baderaum abduschten und
gemeinsam frühstückten, ehe sie auseinander-
gingen. Über solchen improvisierten Frühstücken
lag ein ganz eigentümlicher Reiz. Die erhöhte
Stimmung der verflossenen Nacht wirkte noch
nach. Dazu kam die unaufgeräumte Wohnung,
die eigenartige Morgenbeleuchtung, die Lösung
aus der gewohnten Ordnung. Der Trall schlug
hohe Wogen. Dabei mußte ich dann bereits
ansangen, Telephongespräche zu führen, wobei
die Ünterhaltung zu verstummen hatte. Die
durchtollte Nacht und der nüchterne Vormittag
schlangen sich eigenartig ineinander. Die hübschen
Mädchen hatten sich Schlafanzüge des Haus-
herrn angezogen und tanzten barfuß auf den
Teppichen. Man kann schon sagen, daß in
solchen Stunden manchmal Tausendundeine-
nacht zur Wirklichkeit wurde.

Eines Abends kam ich ziemlich spät nach
Hause und bemerkte schon an den erleuchteten
Fenstern, daß Gäste da waren. Ich trat in das
Eßzimmer ein. Tiefes Schweigen uinfing mich.
Auf dem altertümlichen Paneelsofa lag ein
Mann und schnarchte. Ich ging in die andern
Zimmer. Alle Sofas und Divans, deren es eine
nicht geringe Anzahl gab, waren in gleicher
Weise besetzt oder vielmehr belegt. Nur unter
der Stehlampe im Arbeitszimmer saßen der
Gras und ein mir bereits bekannter Herr in
einem philosophischen Gespräch beieinander und
ließen sich durch meinen Eintritt in keiner Weise
stören. Ich merkte sogleich: es hatte einen Jung-
gesellenabend gegeben, ünter dem Flügel hatten
sich zwei Mädchen in den großen Astrachan-
teppich gehüllt und schliefen reglos. An der
großen Kristallschale voll geschmolzenem EiS
aus dem Frigidaire und den Gläsern und
Flaschen erkannte ich, daß man Schwedenpunsch
getrunken hatte. Ich setzte mich still an den
Tisch und schlürfte durch den Strohhalm auch
noch zwei Gläser, um dieser verzauberten Um-
gebung doch wenigstens von ferne und ungefähr
ähnlich und würdig zu werden. Dann ging ich
durch den hinteren Korridor zu meinem Zimmer.

Ich weiß nicht, weshalb ich zunächst das

Licht nicht andrehte. Mir schien die Luft irgend-
wie schwer und sengend zu sein. Ich ging anS
Fenster und öffnete es. Hinter den Dächern
stand der Mond, und die Linien hoben sich scharf
gegen den erhellten Himmel ab. Indes meine
Augen diesen Anblick genossen, kleidete ich mich
aus und drehte erst das Licht an, als ich nach
dem Mundwasser suchte. Die Zahnbürste lag
unter dem Spiegel des Waschtischs. Ich sah
hinein und wußte schon, daß da mein Bett im
Spiegelbild sichtbar werden würde. Es lag kein
Grund vor, besonders hinzusehen. Es war eben
mein Bett, von Änne, dem Stubenmädchen, zum
Schlafen hergerichtet. Ein Bett, leider ganz
ohne Sensationen. Aber plötzlich sah ich doch
näher hin, denn dieses Bett schien mir, wenig-
stens im Spiegel, ganz eigenartig verändert.
Und ich sah, daß schon jemand darin lag.
Meine Bemerkungen vollzogen sich mit Windes-
eile. Eigentlich bemerkte ich zuerst in dem
Spiegel das mir in allen seinen Linien vertraute
Gesicht Ediths, und dann erst sah ich mein Bett,
und dann erst, daß es seltsam verändert war.
Das Gesicht Ediths war das Erste.

Es konnte gar keinen Zweifel geben: Edith,
die von mir seit Wochen angebetete Edith, lag

in meinem Bett. Das Merkwürdige ist, daß ich
gar nichts Besonderes darin sehen konnte.
Meine Augen, mein Herz, meine Nerven kon-
statierten einfach: Da liegt Edith! Die zwei
Glas Schwedenpunsch, die ich ziemlich rasch
hinuntergestürzt hatte, inachten sich offenbar
auch bei mir geltend.

Natürlich dachte ich auch an eine Halluzina-
tion. Seit Wochen waren meine Gedanken von
Edith erfüllt. Ich inachte mir auch in nüchterner
Überlegung klar, wie eine Frau in mein Bett
kommen konnte: Sie war im Verlaus des
Abends müde geworden, hatte sich von der
Gesellschaft zurückziehen wollen und war, durch
eine Verwechslung der Türen, in mein Zimmer
geraten. In ihrer Müdigkeit hatte sie der Ver-
lockung eines zum Schlafen zubereiteten Bettes
nicht widerstehen können. Vielleicht hatte sie sich
auch unter der Wirkung des SchwedenpunjcheS
eingebildet, zu Hause zu sein. Durch den Spiegel
sah ich, daß ihre Kleidungsstücke auf dem Stuhl
lagen.

Das alles machte ich mir höchst verständig
klar, und auch, daß es kein Wunder war, daß
mein Graf ihre Bekanntschaft gemacht hatte.
Wahrscheinlich würde Baron Greissenberg, ihr
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Kurt Weinhold: Die Kartenspielerin
 
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