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einer eleganten .Kurfürstendammwohnung hörte man plötzlich die Inter-
nationale. Die Mannen sprangen von den Lastkraftwagen und eilten
mit gezückten Totschlägern treppauf und brachen die verbrecherische
Wohnung (natürlich eine jüdische!) auf. Ein Kakadu hockte auf dem
Fensterbrett und krächzte daS landesverräterische Lied. DaS Tier wurde
im Triumph gefangen genommen und an den ersten Baum gehängt, wo
es fein junges, hoffnungsfrohes Leben aushauchte. Die Herren Levy,
Wendriner und Cohn schritten zur großen Feier. Eie hatten nun andere
Namen und hießen Hutler, Loki und Kohl. Gestern hatten sie vom
Amt die Bestätigung erhalten. Sie trugen die frisch geputzten Haken-
kreuze weithin sichtbar auf dem Revers ihrer Frühlingsmäntel aus der
Firma „Zum bekleideten Wotan". Freilich mußten sie große Vorsicht
walten lassen, wenn sie ihre Hüte beim Gruß abnehmen wollten. Herrn
Loki passierte es, daß seine semmelblonde Perücke herunterrutschte.
Einige GassenjungenS schlenderten vorbei und sangen den neuesten
Schlager Berlins: „Meine Großmama trägt auf dem Busen Hitler-
Adolfs Bild." Die jungen Mädchen mit kornblumenblauen Augen und
schwer herabwallenden Zöpfen gingen züchtiglich neben ihren Gouver-
nanten und wagten nicht, den strammen S.A.-Offizier zu grüßen, der sich
eifrig mit der Säuberung seiner Nase beschäftigte. Der „Hohenfriedberger
Marsch" rauschte durch die Straßen. Aus den Lautsprechern praßelten
gerade die letzten Worte des Redners: „Drum, deutsche Parteigenossen,
pflegt die guten deutschen Sitten. Trinkt deutschen Met, raucht deutschen
Tabak, hinweg mit der Zinsknechtschaft. Die Waffen geschmiedet gegen
Rußland, Frankreich, Schweden, Island tind Mesopotamien. Deutsch-
lands Zukunft ist unter dem Wasser. Eßt mehr Gemüse, schlagt die
Juden tot, reist nach Borkum! Deutsche Männer und Frauen! Der
Geist Armins des CheruSkerS ist unter uns. Der Feind ist geschlagen.
Auf, suchet einen neuen Feind, daß ihr ihn totschlagen könnt. Deutsche
Mädchen, gebärt viele Kinder, tragt die patentierten Fricka-Busenschützer
mit Reißverschluß. Ein großer Morgen ist angebrochen. Adolf, wir
grüßen dich!" Dann klang Blechmusik und Adolf verneigte sich vom
Balkon seines Hauses. Heissa! daS war ein Fideldumdumdum! Die
Straßen dröhnten vom Wessellied. Die Schleppenkleider der Mädchen
fegten die Straßen sauber. Die Zopfabschneider sahen sich enttäuscht,
denn die abgeschnittenen Zöpfe waren aus echtdeutschem Roßhaar, das
Stück zu drei Mark fuffzich. Die Kriegöinvalidcn schwenkten begeistert
ihre Kunstbeine und die Einäugigen warfen ihre Glasaugen zu Adolf empor.
Nun füllte sich die Terrasse des „Romanischen" und Arnolt Bronnen (einst
Bronner) betrat die Arena. Er trug einen Lorbeerkranz um die Schläfen,
und seine Glatze war mit Hakenkreuzen bemalt. Man applaudierte ihm
und drängte sich hinzu, als er die neue Version seines Stückes „Anarchie
in Sillian" vortrug. Der Chef des Walküren-Verlages verhandelte mit
dem ehemaligen Revolutionär Dobbriner, der jetzt Dobermann hieß, über
die Herausgabe seiner gesammelten Lyrik: „Mit Meier und Schwert."
Ein paar S.-A.-Mannen trugen einen Stoß Bücher zusammen und
warfen sie auf einen Haufen. Darunter befanden sich Heines Werke,
Toller und alle vormärzlichen Revolutionäre. Viele von diesen standen
jetzt unter dem Zeichen des Hakenkreuzes und besangen mit Mund-
harmonikabegleitung die Taten der Chatten und Cherusker, ^n der
Staatsoper sollte am Abend die neue Oper „Schmiedet das Hakenkreuz
solange es noch warm ist" uraufgeführt werden. Der Komponist, ein
Verwandter von Wessel, war zum Galadiner bei Adolf eingeladen.
DaS Schillertheater spielte „Zriny" von Körner zum hundertsechzigsten
Male. Oh, es gab genug neue Literatur. Man nahm die berühmt
gewordenen Romane der anerkannten jüdischen oder fast-jüdischen Lite-
rateure und verwandelte sie kunst- und geschmackvoll in Kunst des Dritten
Reiches. Theodor Däubler ging ohne Bart und mit glattrasiertem
Schädel trauernd durch die Reihen der Zeitgenossen. Brecht verkaufte
Hosenträger, und im Malik-Derlag war nun das Filialgeschäft einer
bedeutenden Kanonenfabrik. Der „Völkische Beobachter" hatte eine
Auflage von zwei Millionen erreicht. Es gab nur noch hitlertreue
Zeitungen, die andere Presse stand unter Zensur und erschien nur
Montags. Die Wissenschaftler suchten zu beweisen, daß Kunst eine
jüdische Erfindung sei, und daß Hitlers Schädel dieselbe Form wie der
des jungen Bismarck habe. Über das Gehirn wußten sie jedoch nichts
zu sagen. — Ein Panzerauto rasselte durch die Straßen. Es gehörte
Herrn Mandelstamm, der sich nicht entschließen konnte, seinen poetischen
Namen zu ändern und seine stattliche Nase verkürzen zu lassen. — Die
Tanzlokale priesen die Sonderabende an. Eine brillante Kapelle war
für Polka und Menuettänze engagiert worden. Der neueste Modetanz
war der „Städtler", welcher eine Variante auf den Ländler darstellte.
Hasenmonstrositäten
neuen vollgermani
ch! in allen Landen,
weiter begannen, sich
l den Grenzen des
-eitet. Es galt, daö
lauern abzugrenzen,
ganzen Lande nicht
lnd verfrachtet, die
m den „Völkischen
mtspartei saßen in
esse an den Erretter
lische Recke an der
I ein Schild: „Heute
^llungsfeier vorüber
antel ging durch die
in S.A.-Mann, der
ich ein markerschüb
men Spaziergänger
k einiger zu Tränen
Oer Gestürzte erhob
us der ersten Etage
Auf den Trümmern des Olymp
Karl Rössing
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einer eleganten .Kurfürstendammwohnung hörte man plötzlich die Inter-
nationale. Die Mannen sprangen von den Lastkraftwagen und eilten
mit gezückten Totschlägern treppauf und brachen die verbrecherische
Wohnung (natürlich eine jüdische!) auf. Ein Kakadu hockte auf dem
Fensterbrett und krächzte daS landesverräterische Lied. DaS Tier wurde
im Triumph gefangen genommen und an den ersten Baum gehängt, wo
es fein junges, hoffnungsfrohes Leben aushauchte. Die Herren Levy,
Wendriner und Cohn schritten zur großen Feier. Eie hatten nun andere
Namen und hießen Hutler, Loki und Kohl. Gestern hatten sie vom
Amt die Bestätigung erhalten. Sie trugen die frisch geputzten Haken-
kreuze weithin sichtbar auf dem Revers ihrer Frühlingsmäntel aus der
Firma „Zum bekleideten Wotan". Freilich mußten sie große Vorsicht
walten lassen, wenn sie ihre Hüte beim Gruß abnehmen wollten. Herrn
Loki passierte es, daß seine semmelblonde Perücke herunterrutschte.
Einige GassenjungenS schlenderten vorbei und sangen den neuesten
Schlager Berlins: „Meine Großmama trägt auf dem Busen Hitler-
Adolfs Bild." Die jungen Mädchen mit kornblumenblauen Augen und
schwer herabwallenden Zöpfen gingen züchtiglich neben ihren Gouver-
nanten und wagten nicht, den strammen S.A.-Offizier zu grüßen, der sich
eifrig mit der Säuberung seiner Nase beschäftigte. Der „Hohenfriedberger
Marsch" rauschte durch die Straßen. Aus den Lautsprechern praßelten
gerade die letzten Worte des Redners: „Drum, deutsche Parteigenossen,
pflegt die guten deutschen Sitten. Trinkt deutschen Met, raucht deutschen
Tabak, hinweg mit der Zinsknechtschaft. Die Waffen geschmiedet gegen
Rußland, Frankreich, Schweden, Island tind Mesopotamien. Deutsch-
lands Zukunft ist unter dem Wasser. Eßt mehr Gemüse, schlagt die
Juden tot, reist nach Borkum! Deutsche Männer und Frauen! Der
Geist Armins des CheruSkerS ist unter uns. Der Feind ist geschlagen.
Auf, suchet einen neuen Feind, daß ihr ihn totschlagen könnt. Deutsche
Mädchen, gebärt viele Kinder, tragt die patentierten Fricka-Busenschützer
mit Reißverschluß. Ein großer Morgen ist angebrochen. Adolf, wir
grüßen dich!" Dann klang Blechmusik und Adolf verneigte sich vom
Balkon seines Hauses. Heissa! daS war ein Fideldumdumdum! Die
Straßen dröhnten vom Wessellied. Die Schleppenkleider der Mädchen
fegten die Straßen sauber. Die Zopfabschneider sahen sich enttäuscht,
denn die abgeschnittenen Zöpfe waren aus echtdeutschem Roßhaar, das
Stück zu drei Mark fuffzich. Die Kriegöinvalidcn schwenkten begeistert
ihre Kunstbeine und die Einäugigen warfen ihre Glasaugen zu Adolf empor.
Nun füllte sich die Terrasse des „Romanischen" und Arnolt Bronnen (einst
Bronner) betrat die Arena. Er trug einen Lorbeerkranz um die Schläfen,
und seine Glatze war mit Hakenkreuzen bemalt. Man applaudierte ihm
und drängte sich hinzu, als er die neue Version seines Stückes „Anarchie
in Sillian" vortrug. Der Chef des Walküren-Verlages verhandelte mit
dem ehemaligen Revolutionär Dobbriner, der jetzt Dobermann hieß, über
die Herausgabe seiner gesammelten Lyrik: „Mit Meier und Schwert."
Ein paar S.-A.-Mannen trugen einen Stoß Bücher zusammen und
warfen sie auf einen Haufen. Darunter befanden sich Heines Werke,
Toller und alle vormärzlichen Revolutionäre. Viele von diesen standen
jetzt unter dem Zeichen des Hakenkreuzes und besangen mit Mund-
harmonikabegleitung die Taten der Chatten und Cherusker, ^n der
Staatsoper sollte am Abend die neue Oper „Schmiedet das Hakenkreuz
solange es noch warm ist" uraufgeführt werden. Der Komponist, ein
Verwandter von Wessel, war zum Galadiner bei Adolf eingeladen.
DaS Schillertheater spielte „Zriny" von Körner zum hundertsechzigsten
Male. Oh, es gab genug neue Literatur. Man nahm die berühmt
gewordenen Romane der anerkannten jüdischen oder fast-jüdischen Lite-
rateure und verwandelte sie kunst- und geschmackvoll in Kunst des Dritten
Reiches. Theodor Däubler ging ohne Bart und mit glattrasiertem
Schädel trauernd durch die Reihen der Zeitgenossen. Brecht verkaufte
Hosenträger, und im Malik-Derlag war nun das Filialgeschäft einer
bedeutenden Kanonenfabrik. Der „Völkische Beobachter" hatte eine
Auflage von zwei Millionen erreicht. Es gab nur noch hitlertreue
Zeitungen, die andere Presse stand unter Zensur und erschien nur
Montags. Die Wissenschaftler suchten zu beweisen, daß Kunst eine
jüdische Erfindung sei, und daß Hitlers Schädel dieselbe Form wie der
des jungen Bismarck habe. Über das Gehirn wußten sie jedoch nichts
zu sagen. — Ein Panzerauto rasselte durch die Straßen. Es gehörte
Herrn Mandelstamm, der sich nicht entschließen konnte, seinen poetischen
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war der „Städtler", welcher eine Variante auf den Ländler darstellte.
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Auf den Trümmern des Olymp
Karl Rössing