öffnete die Brieftasche. DaS schien ihr aber
nicht recht zu sein. Sie zeigte, ich solle ba-6
lassen, hängte sich bei mir ein und sagte:
,Fomm!‘ Ich wagte ihr nicht zu widersprechen,
aber ich war felsenfest überzeugt, daß sie sich
verkannt hatte und mich für einen anderen hielt.
Der Irrtum mußte sich aber doch schließlich
Herausstellen. Sie erzählte mir allerhand, aber
ich verstand nichts davon. Plötzlich trat sie in
ein HauStor und machte mir ein Zeichen, ihr zu
folgen. Ich überlegte, daß man am Abend doch
nicht gut einer alleinstehenden Dame einen Be-
such machen könne. Sie schien meine Schüchtern-
heit zu bemerken, nahm mich bei der Hand und
zog mich ganz einfach hinein. Wir stiegen eine
dunkle Treppe hinaus und kamen in ein Zimmer.
3n dem Zimmer war nichts als ein großes
Bett, ein kleiner Tisch, zwei Sessel und ein
Kasten. Während ich das Zimmer betrachtete,
zog sie den Mantel aus. Plötzlich stellte sie sich
vor mich hin, und, ich wäre beinahe vor Scham
in den Boden versunken, hob den Rock hoch.
Ich schloß die Augen. Da kam mir ein Ge-
danke, sie meinte vielleicht, ich sei Arzt und könne
sie untersuchen. Ich sagte ihr also, daß ich kein
Arzt sei, da begann sie fürchterlich zu lachen,
ich habe nie eine Frau so lachen gesehen. Sie
trat wieder aus mich zu und sagte, ich solle ihr
50 Francs geben. Nachdem ich ihr die 50 Francs
gegeben hatte, begann sie sich auszuziehen und
stand plötzlich splitternackt vor mir. Dabei
machte sie einige graziöse Bewegungen. Ich
wußte nicht, wie mir geschah und schloß die
Augen. Da siel mir ein, sie meinte wohl,
ich sei ein Maler und suche ein Modell oder
ich sei Direktor einer Tanzgruppe und suche
ein neues Girl. Als ich ihr sagte, daß das nicht
der Fall sei, lachte sie wieder und bat mich um
noch 50 Francs. Nachdem ich ihr das Geld
gegeben hatte, bedeutete sie mir, ich sollte mich
auch ausziehen. Ich wollte zuerst nicht, aber die
Dame begann einfach mich langsam zu ent-
kleiden. Mir war so eigen zumute. WaS sollte
das alles bedetiten? Da siel mir ein, die Dame
könne vielleicht Mitglied eines Nacktkulturklubs
sein und es ganz verständlich finden, wenn man
sich nackt gegenüberstünde. Das beruhigte mich
ein wenig, aber glaube mir, es war mir schreck-
lich, plötzlich splitternackt vor einer unbekannten
Dame zu stehen.
klnd jetzt, jetzt kommt das schreckliche Ende
der ganzen Sache", fuhr Felix fort, „die Dame
bedeutete mir etwas ganz Ungeheuerliches, und
da wurde es mir mit einem Male ganz klar:
Ich hatte es mit einer Wahnsinnigen zu tun,
die mich für ihren Mann hielt. Was machen?
Ich hätte die Türe erreichen, um Hilfe und um
die Polizei rufen können, aber ich war ja
splitternackt! Entsetzlich! DaS Weib verlangte
von mir die ehelichen Pflichten! (Er sagte mir
das mit einer trostlosen Verzweiflung!)
Ein Irrenarzt hatte mir einmal gesagt, man
dürfe den Narren nie widersprechen, und ich
habe eine solche Angst vor Tobsüchtigen. Also
ergab ich mich schließlich in mein Schicksal. Ich
wurde das Opfer einer Wahnsinnigen. Gott
allein weiß, was ich empfunden habe! Gott
allein weiß, daß meine Seele rein geblieben.ist.
Schließlich kleideten wir uns wieder an. Sie
schien mich sehr, sehr lieb zu haben, denn sie
umarmte mich noch einmal und griff mir dabei
zärtlich in meinen Rock, ich glaube wohl um
den Schlag meines Herzens fühlen zu können.
Als wir wieder aus der Straße waren, sagte
sie plötzlich: ,An revoir, cheri!‘ und ließ mich
stehen. Da siel mir ein, ich wisse ja eigentlich
gar nicht, wer sie sei. Ich ries ihr nach, da
begann sie zu lausen, ich lies ihr nach. Schließ-
lich verschwand sie in einer der Nebengassen und
AUF EINE KRANKE SCHANKMAGD
VON THEODOR KRAMER
Die Magd, die ins Spital man heut
schasst aus dem Schank am Rand,
es haben sie int Feld die Leut
nur allzu gut gekannt;
sie hielt Derschlag und Diele rein
im Schank das letzte Jahr,
der zwischen öden Ziegelei n
der Leute Zuflucht war.
Sie war es, die Konfekt und Tand
anbot, entblößt die Knie,
und Bank und Wand, mit Plüsch bespannt,
den letzten Glanz verlieh;
sie war eS, in der Schirme Schein
geziert und rosensarb,
die man für drei Bouteillen Wein
den Rest der Nacht erwarb.
Kaum einer war, der schwer nicht hing
an ihrer Brauen Tusch,
der nicht sich sorgsam, eh er ging,
in ihrer Schüssel wusch,
kaum einer, dem sie vor dem Spiitd
vom Rock nicht blies das Haar
und der nicht aus dem Weg im Wind
nach Hause glücklich war.
Den Gaumen wund, die Wangen klein
und ohne Schminke fahl,
sie müßten Obst, Aspik und Wein
dir schicken ins Spital,
sie müßten dir den schönen Schein,
wie dtl ihn dem Derschlag
gabst zwischen öden Ziegelei'n,
vergelten jeden Tag.
Otto Schoss
nicht recht zu sein. Sie zeigte, ich solle ba-6
lassen, hängte sich bei mir ein und sagte:
,Fomm!‘ Ich wagte ihr nicht zu widersprechen,
aber ich war felsenfest überzeugt, daß sie sich
verkannt hatte und mich für einen anderen hielt.
Der Irrtum mußte sich aber doch schließlich
Herausstellen. Sie erzählte mir allerhand, aber
ich verstand nichts davon. Plötzlich trat sie in
ein HauStor und machte mir ein Zeichen, ihr zu
folgen. Ich überlegte, daß man am Abend doch
nicht gut einer alleinstehenden Dame einen Be-
such machen könne. Sie schien meine Schüchtern-
heit zu bemerken, nahm mich bei der Hand und
zog mich ganz einfach hinein. Wir stiegen eine
dunkle Treppe hinaus und kamen in ein Zimmer.
3n dem Zimmer war nichts als ein großes
Bett, ein kleiner Tisch, zwei Sessel und ein
Kasten. Während ich das Zimmer betrachtete,
zog sie den Mantel aus. Plötzlich stellte sie sich
vor mich hin, und, ich wäre beinahe vor Scham
in den Boden versunken, hob den Rock hoch.
Ich schloß die Augen. Da kam mir ein Ge-
danke, sie meinte vielleicht, ich sei Arzt und könne
sie untersuchen. Ich sagte ihr also, daß ich kein
Arzt sei, da begann sie fürchterlich zu lachen,
ich habe nie eine Frau so lachen gesehen. Sie
trat wieder aus mich zu und sagte, ich solle ihr
50 Francs geben. Nachdem ich ihr die 50 Francs
gegeben hatte, begann sie sich auszuziehen und
stand plötzlich splitternackt vor mir. Dabei
machte sie einige graziöse Bewegungen. Ich
wußte nicht, wie mir geschah und schloß die
Augen. Da siel mir ein, sie meinte wohl,
ich sei ein Maler und suche ein Modell oder
ich sei Direktor einer Tanzgruppe und suche
ein neues Girl. Als ich ihr sagte, daß das nicht
der Fall sei, lachte sie wieder und bat mich um
noch 50 Francs. Nachdem ich ihr das Geld
gegeben hatte, bedeutete sie mir, ich sollte mich
auch ausziehen. Ich wollte zuerst nicht, aber die
Dame begann einfach mich langsam zu ent-
kleiden. Mir war so eigen zumute. WaS sollte
das alles bedetiten? Da siel mir ein, die Dame
könne vielleicht Mitglied eines Nacktkulturklubs
sein und es ganz verständlich finden, wenn man
sich nackt gegenüberstünde. Das beruhigte mich
ein wenig, aber glaube mir, es war mir schreck-
lich, plötzlich splitternackt vor einer unbekannten
Dame zu stehen.
klnd jetzt, jetzt kommt das schreckliche Ende
der ganzen Sache", fuhr Felix fort, „die Dame
bedeutete mir etwas ganz Ungeheuerliches, und
da wurde es mir mit einem Male ganz klar:
Ich hatte es mit einer Wahnsinnigen zu tun,
die mich für ihren Mann hielt. Was machen?
Ich hätte die Türe erreichen, um Hilfe und um
die Polizei rufen können, aber ich war ja
splitternackt! Entsetzlich! DaS Weib verlangte
von mir die ehelichen Pflichten! (Er sagte mir
das mit einer trostlosen Verzweiflung!)
Ein Irrenarzt hatte mir einmal gesagt, man
dürfe den Narren nie widersprechen, und ich
habe eine solche Angst vor Tobsüchtigen. Also
ergab ich mich schließlich in mein Schicksal. Ich
wurde das Opfer einer Wahnsinnigen. Gott
allein weiß, was ich empfunden habe! Gott
allein weiß, daß meine Seele rein geblieben.ist.
Schließlich kleideten wir uns wieder an. Sie
schien mich sehr, sehr lieb zu haben, denn sie
umarmte mich noch einmal und griff mir dabei
zärtlich in meinen Rock, ich glaube wohl um
den Schlag meines Herzens fühlen zu können.
Als wir wieder aus der Straße waren, sagte
sie plötzlich: ,An revoir, cheri!‘ und ließ mich
stehen. Da siel mir ein, ich wisse ja eigentlich
gar nicht, wer sie sei. Ich ries ihr nach, da
begann sie zu lausen, ich lies ihr nach. Schließ-
lich verschwand sie in einer der Nebengassen und
AUF EINE KRANKE SCHANKMAGD
VON THEODOR KRAMER
Die Magd, die ins Spital man heut
schasst aus dem Schank am Rand,
es haben sie int Feld die Leut
nur allzu gut gekannt;
sie hielt Derschlag und Diele rein
im Schank das letzte Jahr,
der zwischen öden Ziegelei n
der Leute Zuflucht war.
Sie war es, die Konfekt und Tand
anbot, entblößt die Knie,
und Bank und Wand, mit Plüsch bespannt,
den letzten Glanz verlieh;
sie war eS, in der Schirme Schein
geziert und rosensarb,
die man für drei Bouteillen Wein
den Rest der Nacht erwarb.
Kaum einer war, der schwer nicht hing
an ihrer Brauen Tusch,
der nicht sich sorgsam, eh er ging,
in ihrer Schüssel wusch,
kaum einer, dem sie vor dem Spiitd
vom Rock nicht blies das Haar
und der nicht aus dem Weg im Wind
nach Hause glücklich war.
Den Gaumen wund, die Wangen klein
und ohne Schminke fahl,
sie müßten Obst, Aspik und Wein
dir schicken ins Spital,
sie müßten dir den schönen Schein,
wie dtl ihn dem Derschlag
gabst zwischen öden Ziegelei'n,
vergelten jeden Tag.
Otto Schoss