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Am Kahlenberg bei Wien
E. Huber
hat seine Großmutter, die Kaiserin Maria
Theresia, eingeführt, aber nur für den Haus-
gebrauch sozusagen, für die Gesindestube. Wenn
vornehmer Besuch gekommen ist, hat man ge-
schwind Italienisch gesprochen, oder Französisch
oder Spanisch. Der Hosrat Obermayer zum
Beispiel, der aus Oberösterreich stammt, nah
der bayrischen Grenze, wenn er mit seiner Frau,
einer geborenen Wiener WirtStochter, bei Tisch
sitzt, wie reden s' vor den Leuten? Spanisch
reden s miteinander, weil das besonders fein ist.
Bitte, daS ist erwiesen, daS steht in seinen
Memoiren, ich schlagS Ihnen nachher auf,
wenn S' wollen; das war der feine Ton bei
uns, im achtzehnten Jahrhundert, Einfluß des
Hofes, bitte; Hoflieferanten, Bediente, Schau-
spieler, vom zugereisten Adel gar nicht zu reden,
lauter Ausländer, durch die Jahrhunderte. So
was färbt ab, bitte. Wie soll denn da, bitte,
eine Stadt deutsch bleiben, überhaupt, beson-
ders, wenn sie s nie gewesen ist! Wie? Ich
übertreib', sagen Sie? Im Mittelalter, sagen
Sie? Walther von der Dogelweide; die Baben-
berger, sagen Sie? Ah ja. Die schon, die
Babenberger. Das waren Deutsche. Aber die
haben ja auch nichts zu reden gehabt, in Wien
— zumindest nicht in den letzten sechshundert
Jahren, bind der Stefansturm, meinen Sie,
der Stefansturm, der schon unter den Habs-
burgern gebaut worden ist — unter ihnen, aber
nicht von ihnen, mein Lieber — der StefanS-
turm ist ein guter Deutscher? Zugegeben, daS
ist er; aber wenn Sie glauben, daß der Stefans-
turm für Wien charakteristisch ist, da sind Sie,
mein Derehrteßer, wieder ganz und gar auf
dem Holzweg. Die gotische Stesanskirche gilt
Ausland für das repräsentative Wiener
im
Bauwerk, weil sie das am wenigsten repräsen-
tative Wiener Bauwerk ist. Wien ist die am
wenigsten gotische Stadt, die ich kenne; höchstens
Chicago ist noch etwas weniger gotisch. Wien
ist eine orientalische Barockstadt. Die Karls-
kirche, mit ihren halb türkischen Minarett-
Türmen, ist für Wien charakteristisch; das
Belvedere, die Schönbrunner Gloriette, aber
nicht die Stefanskirche. Wien, sag ich Ihnen,
ist ganz und gar achtzehntes Jahrhundert, nicht
vierzehntes. Es ist so sehr achtzehntes Jahr-
hundert, daß bei uns das achtzehnte Jahr-
hundert bis ins zwanzigste reicht. Glauben Sie,
daß das angenehm ist, in einer Stadt zu leben,
die drei Jahrhunderte braucht, um eines zu
erledigen? In der jeder mit seinem Vorgänger
oder Ältervater verwechselt wird? In der Sie,
wenn z. B. der Aslan im Burgtheater den
Hamlet spielt, immer wieder in der Zeitung
lesen müssen, wie gut Joseph Wagner vor
sechzig Jahren als Hamlet war? Mit der
Währung ist es genau so. Wie ich ein Kind
war, Habens die Kronenwährung bei uns ein-
geführt; aber alle Leut' haben immer nur nach
Gulden weitergerechnet. Jetzt haben wir seit
fünf Jahren den Schilling, aber die Wiener
rechnen lustig weiter in der entwerteten Kronen-
währung. Kommt da unlängst eine alte Dame
zu uns ins Geschäft und fragt: Was kostet
diese Ledergarnitur? Ich sag': Hundertfünfzig
Schilling, gnädige Frau. Ah, sagt sie, das ist
mir zu teuer, das kann ich nicht ausgeben,
und will Weggehen. Aber, gnädige Frau! ruf'
ich ihr nach; hundertfünfzig Schilling, andert-
halb Millionen, das ist doch kein Geld! Ah so,
sagte sie und kommt zurück: Anderthalb Mil-
lionen! schaut sich die Garnitur noch einmal an
und kauftS. bind so ist alles bei uns, alles.
Die Titulaturen, zum Beispiel. Sie wissen ja,
Wien ist eine adelige Stadt, weil hier nämlich
auch die Bürger alle von Adel sind, grad wie
in Spanien, woher ja auch der binfug stammt,
jeden mit „Herr von" anzureden, der's nicht ist.
Also bei m i r haben die Leut damit kein Glück,
ich Hab' erst unlängst so einem Fadian — der
mir »och dazu Geld schuldig ist — gesagt:
„Sagen S' mir nicht Herr ,von Wieners sagen
S' mir einfach Herr Präsident." Aber ich bin
ja auch kein Wiener, bitte, das ist der blnter-
schied. Der Wiener nämlich, müssen Sie wissen,
ist der hochmütigste Mensch der Welt. Er
bildet sich tatsächlich etwas darauf ein, ein
Wiener zu sein. Auf Grund dieser Leistung
nimmt er Vorrechte für sich in Anspruch. Aber
worin hat sie denn eigentlich bestanden, diese
Leistung? Ich werd S Ihnen sagen, waS der
Wiener für Wien geleistet hat, durch die Jahr-
hunderte: Im Spalier ist er gestanden und hat
geschimpft. Darum ist er auch mit jeder Regie-
rungösorm einverstanden, vorausgesetzt daß er
darüber schimpfen kann, auch mit der Republik,
obwohl sie ihm daS Spalierstehen etwas er-
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Am Kahlenberg bei Wien
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gebrauch sozusagen, für die Gesindestube. Wenn
vornehmer Besuch gekommen ist, hat man ge-
schwind Italienisch gesprochen, oder Französisch
oder Spanisch. Der Hosrat Obermayer zum
Beispiel, der aus Oberösterreich stammt, nah
der bayrischen Grenze, wenn er mit seiner Frau,
einer geborenen Wiener WirtStochter, bei Tisch
sitzt, wie reden s' vor den Leuten? Spanisch
reden s miteinander, weil das besonders fein ist.
Bitte, daS ist erwiesen, daS steht in seinen
Memoiren, ich schlagS Ihnen nachher auf,
wenn S' wollen; das war der feine Ton bei
uns, im achtzehnten Jahrhundert, Einfluß des
Hofes, bitte; Hoflieferanten, Bediente, Schau-
spieler, vom zugereisten Adel gar nicht zu reden,
lauter Ausländer, durch die Jahrhunderte. So
was färbt ab, bitte. Wie soll denn da, bitte,
eine Stadt deutsch bleiben, überhaupt, beson-
ders, wenn sie s nie gewesen ist! Wie? Ich
übertreib', sagen Sie? Im Mittelalter, sagen
Sie? Walther von der Dogelweide; die Baben-
berger, sagen Sie? Ah ja. Die schon, die
Babenberger. Das waren Deutsche. Aber die
haben ja auch nichts zu reden gehabt, in Wien
— zumindest nicht in den letzten sechshundert
Jahren, bind der Stefansturm, meinen Sie,
der Stefansturm, der schon unter den Habs-
burgern gebaut worden ist — unter ihnen, aber
nicht von ihnen, mein Lieber — der StefanS-
turm ist ein guter Deutscher? Zugegeben, daS
ist er; aber wenn Sie glauben, daß der Stefans-
turm für Wien charakteristisch ist, da sind Sie,
mein Derehrteßer, wieder ganz und gar auf
dem Holzweg. Die gotische Stesanskirche gilt
Ausland für das repräsentative Wiener
im
Bauwerk, weil sie das am wenigsten repräsen-
tative Wiener Bauwerk ist. Wien ist die am
wenigsten gotische Stadt, die ich kenne; höchstens
Chicago ist noch etwas weniger gotisch. Wien
ist eine orientalische Barockstadt. Die Karls-
kirche, mit ihren halb türkischen Minarett-
Türmen, ist für Wien charakteristisch; das
Belvedere, die Schönbrunner Gloriette, aber
nicht die Stefanskirche. Wien, sag ich Ihnen,
ist ganz und gar achtzehntes Jahrhundert, nicht
vierzehntes. Es ist so sehr achtzehntes Jahr-
hundert, daß bei uns das achtzehnte Jahr-
hundert bis ins zwanzigste reicht. Glauben Sie,
daß das angenehm ist, in einer Stadt zu leben,
die drei Jahrhunderte braucht, um eines zu
erledigen? In der jeder mit seinem Vorgänger
oder Ältervater verwechselt wird? In der Sie,
wenn z. B. der Aslan im Burgtheater den
Hamlet spielt, immer wieder in der Zeitung
lesen müssen, wie gut Joseph Wagner vor
sechzig Jahren als Hamlet war? Mit der
Währung ist es genau so. Wie ich ein Kind
war, Habens die Kronenwährung bei uns ein-
geführt; aber alle Leut' haben immer nur nach
Gulden weitergerechnet. Jetzt haben wir seit
fünf Jahren den Schilling, aber die Wiener
rechnen lustig weiter in der entwerteten Kronen-
währung. Kommt da unlängst eine alte Dame
zu uns ins Geschäft und fragt: Was kostet
diese Ledergarnitur? Ich sag': Hundertfünfzig
Schilling, gnädige Frau. Ah, sagt sie, das ist
mir zu teuer, das kann ich nicht ausgeben,
und will Weggehen. Aber, gnädige Frau! ruf'
ich ihr nach; hundertfünfzig Schilling, andert-
halb Millionen, das ist doch kein Geld! Ah so,
sagte sie und kommt zurück: Anderthalb Mil-
lionen! schaut sich die Garnitur noch einmal an
und kauftS. bind so ist alles bei uns, alles.
Die Titulaturen, zum Beispiel. Sie wissen ja,
Wien ist eine adelige Stadt, weil hier nämlich
auch die Bürger alle von Adel sind, grad wie
in Spanien, woher ja auch der binfug stammt,
jeden mit „Herr von" anzureden, der's nicht ist.
Also bei m i r haben die Leut damit kein Glück,
ich Hab' erst unlängst so einem Fadian — der
mir »och dazu Geld schuldig ist — gesagt:
„Sagen S' mir nicht Herr ,von Wieners sagen
S' mir einfach Herr Präsident." Aber ich bin
ja auch kein Wiener, bitte, das ist der blnter-
schied. Der Wiener nämlich, müssen Sie wissen,
ist der hochmütigste Mensch der Welt. Er
bildet sich tatsächlich etwas darauf ein, ein
Wiener zu sein. Auf Grund dieser Leistung
nimmt er Vorrechte für sich in Anspruch. Aber
worin hat sie denn eigentlich bestanden, diese
Leistung? Ich werd S Ihnen sagen, waS der
Wiener für Wien geleistet hat, durch die Jahr-
hunderte: Im Spalier ist er gestanden und hat
geschimpft. Darum ist er auch mit jeder Regie-
rungösorm einverstanden, vorausgesetzt daß er
darüber schimpfen kann, auch mit der Republik,
obwohl sie ihm daS Spalierstehen etwas er-
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