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3 6. JAHRGANG

N D

19 3 1 / NR. 47

Detter SfjaÜafion war reich. Sehr reich
sogar. Eine schöne Einzelvilla in der Avenue
Hoche umgab seine 64 Jahre mit gewohntem
Behagen. In dieser stillen Wohnung hatte
Detter Challaston )Iunstgegenstände und wert-
volle Dinge ausgehäust.

Der alte Herr hatte nämlich zwei Leiden-
schaften nur in seinem Leben besessen: Kunst-
gier und Heilkunst. Mit Kunstgier meine ich
nicht das häßliche Interesse eines alten Frauen-
jägers an Dingen, die mit Kunst zusammen-
zuhängen pflegen, ivie Modelle u. ä., sondern
die Gier nach Kunstgegenständen, von Malerei
und Münzen bis zu Porzellan und Möbeln,
klnd wenn ich Heilkunst sagte, meinte ich nicht,
daß der Alte sein Dermögen dadurch vermehrt
habe, daß er einem begabten Drogisten Geld
ins Ge sch äst gesteckt hätte. Nein!... Er hegte
einzig und allein großes Interesse für phar-
maceutische Erzeugnisse als Privatverbraucher:
er hatte nämlich, im Alter von 4Ö Jahren von
heftigem Rheumatismus gepackt, alle Mittel
versucht, alles getrunken, alles verschlungen,
alles in die Kehle gegossen, das Unmöglichste
hinuntergewürgt, — in immer erneutem Ver-
suche, sein Leiden zu heilen. Er hatte sein Kreuz
mit allen Salzen europäischer Laboratorien
gewaschen und seine Glieder mit allen Salben,
die er aus transatlantischen Heilwerkstätten
beziehen konnte, eingerieben. Er hatte an-
preisende Mittel und suggerierende Gebrauchs-
anweisungen in sämtlichen Kultursprachen
durchstudiert.

Detter Challaston hatte nur zwei natürliche

ewige

VON MAURICE DEKOBRA

Erben, die Challaston-MalaudezS, seine Groß-
vettern, und seine anderen Großvettern, die
Challasion-Chambrassols. Er hatte jedem von
ihnen einen Teil seiner Erbschaft versprochen,
klnd als ein Mann von geordneten Derhält-
nissen hatte er bereits zu seinen Lebzeiten die
Teilung seiner Güter vorgenommen. In seinem
Salon, in seinem Arbeitszimmer, in seinem
Schlafzimmer, in seinem Bildersaal, überall
konnte man sehen, etikettiert wie in einem
Museum, wie da ein Konsole Louis XV die
Karte trug: „Das soll Herr Challasion-Ma-
laudez erhalten", oder wie dort ein Stilleben
von Dollon mit einem rechteckigen Papier ver-
sehen war: „Das soll Herrn Challaston-Cham-
brassol gehören."

Die Großvettern des Alten hatten jedesmal,
wenn sie zum Diner auf die 'Avenue Hoche
kamen, die Freude, ihren zukünftigen Besitz be-
trachten zu können und die Summen zu über-
schlagen, die sie daraus nach den letzten Kursen
aus dem Kunstmarkt schlagen würden.

Diese ,.ante-p08tbume" Verteilung seiner
Reichtümer brachte dem alten Detter an-
genehme Zerstreuung, klnd da ihn sein Rheu-
matismus nicht daran gehindert hatte, seinen
Humor zu behalten, vergnügte er sich damit,
alle drei Monate die DerteilungSschilder zu
wechseln. Die gelben Gesichter der Challaston-
MalaudezS oder die unverborgene Aufregung
der Challasion-Chambrassols gab ihm unbe-
schränkten Einblick in die neidvolle Seele der
Menschen.

An diesem Abend kamen die Challaston-
MalaudezS als erste zum Diner. Der alte
Detter beendete noch in seinem Zimmer seine
Toilette. Die Challaston-MalaudezS benutzten
dies, um diskret die Sammlungen zu besich-
tigen. Mit Überraschung und Schrecken mach-
ten sie die Feststellung, daß die Konsole
Louis XVI, der Corot, die beiden Sisleys, das
Manuskript DiderotS, das Meßbuch der Anna
von Bretagne, der Holbein, die Pfeilerspiegel
FragonardS und das Spinett von 1740 jetzt den
Zettel mit dem Ramen der Challaston-Cham-
brassols trugen.

Die Großkusine Simone betrachtete ihren
Mann, der entsetzt und kreideweis dastand, und
zischte:

„Andre!... Was soll das wieder heißen!..

„Das soll heißen, daß der Alte uns nur den
alten, wertlosen Meissonier und den neugoti-
schen Bücherschrank vermachen will. DaS ijt
unerhört! ..."

„Da ist irgend was los... Das geht doch
nicht, daß die Chambrast'ols alles fortschlep-
pen, was irgendwie von Wert ist hier! ..."

Andre biß sich aus die Lippen; hinter seinem
Rücken rang er die Hände. Rach einer Stille
bemerkte er:

„Ich ahne wohl, was da losgewesen ist! ..

„WaS?... Was haben die Chambragols
für den Alten getan? ..."

„Das ist SuzannenS Werk, meine Liebe!"

„Wie?"

„Mein Gott! ... DaS kann sich doch ein
Kind von zehn Jahren zusammenreimen...

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Théophile Alexandre Steinlen: Zeichnung ohne Titel
 
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