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Landschaftsstudie

Ch. Simpson

zianerin an, die meine Anwesenheit scheinbar
vergessen hatte und sich heftig dein an der Wand
mit mattem Glanz blinkenden Spiegel zu-
wandte. Sie fuhr fort:

„Obgleich ich den bescheidenen Namen des
Advokaten Moricci trage, gehöre ich einem be-
rühmten venezianischen Geschlecht an. Meine
Großmutter war eine Angaran, und sie hatte
diesen Spiegel und diese Sachen von ihrer
Mutter geerbt. Wenn Sie ein Gelehrter sind,
so werden Sie in den Archiven von San
Marco Elisabetha Angaran als eine tugend-
hafte Frau und Gattin verzeichnet sehen. Meine
Großmutter war nicht besser und nicht schlechter
als andere, und die damalige Sitte befahl ihr,
einen „Cavaliere servente“ zu haben. Ein un-
schuldiges, nur in den Augen unserer spöttischen
Zeit zu verurteilendes Band vereinigte sie wäh-
rend dreier ^zahre mit Angelo Gritti. Der
Cavaliere Gritti war zu ehrlich und zu klug,
um nicht zu verstehen, wenn die selbstlose Hul-
digung, die jene Menschen dem Schönen zollten,
als schwere Last sich auf sein Herz legte. Die
einfache Höflichkeit, die echte Freundschaft mach-
ten tieferen und gefährlicheren Gefühlen Platz.
Da wollte Angelo Gritti, ohne zu wanken,
seine Pflicht erfüllen: er bat die Republik um
einen Posten in Brescia. Am Tage der Abfahrt
saß er in dem kleinen Salon der Elisabetha

DER SPIEGEL

Von Herbert St r u t z

Wie in ein Bad, so steigt ihr schmaler
geliebter Leib vom Teppichrand
ernst in den Spiegel, der auf fahler
Tapete seine Flügel spannt.

Ihr Schritt ist sicher. Ihren Händen
entfallen Rosen vor dem Schoß.

Ein Schmuck umgürtet ihre Lenden
und ihre Augen strahlen groß.

Nur einmal zuckt ein leises Beben
um ihren Mund, der schmerzlich sinnt:
wenn sie bedenkt, wie rasch das Leben
im tiefen Meer der Zeit verrinnt,

wenn sie bedenkt: dies wird vergilben,
dies Fleisch, das jetzt noch weiß und zart,
der Mund, in dem ein Schatz von Silben
noch glücklicher Verschwendung harrt,

wenn sie erkennt, dies wird verfallen
und nichts wird bleiben mehr von ihr
als nur der schmale Kranz Korallen
und seine Schließe aus Saphir.

Angaran mit gesenktem Kopf und umklam-
inerte sein Stöekchen mit kalten Fingern, wäh-
rend sein dreieckiger Hut auf den Teppich ge-
fallen war.

Meine Großmutter hatte sich weggedreht,
mit verhaltenen Tränen blickte sie durch das
Fenster. Die Abschiedsworte waren ausgespro-
chen. Angelo Gritti erhob sich, um die kleine,
zitternde Hand zu küssen und die letzte tiefe
Verbeugung zu machen. Er stand von dem
Sessel auf, sein Blick glitt über die Wände.
Seine Augen blieben auf diesem Glas haften.
Gritti zuckte zusainmen und näherte sich dem
Spiegel, wie von einem Magnet angezogen.

Als er sich wieder zu Elisabetha umdrehte,
war sein Gesicht begeistert und furchtbar. Sie
deckte erschrocken mit beiden Händen ihr Ge-
sicht zu. Angelo Gritti machte ein paar Schritte,
nahm mit zärtlicher Gewalt ihre kleinen Hände
weg und küßte sie ans die Lippen..."

Signora Moricci fuhr mit immer wachsen-
der Erregung fort:

„Angelo Gritti reiste nicht ab!" rief sie.
„Wenn Sie in dem Archiv von San Marco
auf den Namen Elisabetha Angaran stoßen,
glauben Sie ihm nicht mehr. Sie hatte die
Süße des einen Verrats gekostet und die Oualen
des anderen erfahren. Der Cavaliere Gritti ist
eines gewaltsamen Todes gestorben, dessen Ge-

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Ch. Simpson: Landschaftsstudie
Herbert Strutz: Der Spiegel
 
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