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J U G

3 7. JAHRGANG

END

193 2 / N R. 5

venoun

ene

KEIN MÄRCHEN

VON F R ÄN ZE HERZFELD

Man erzählt, daß in unseren Zeiten zwei
junge Leute lebten, Nujan und Jsrit, die sich
ausrichtig liebten! Sie waren schön und von
edlem Angesicht, dunkelhaarig und von eben-
mäßiger Gestalt, recht wie die Prinzen im
Märchen. Aber im Märchen von heute. Sie
lebten zusammen, malten Bilder, schrieben
Verse lind waren dabei, eben wie rechte Prin-
zen, aus die gleiche Art unbesangen, kühn unb
von der einsachen Ausrichtigkeit der Edlen. Fast
sahen sie sich ähnlich, mit den mandelsörmigen
Augen, den langen schmalen Brauen, den voll-
kommenen Gliedern. Nur war die Prinzessin
weiß von Hautfarbe, zart, mit Haaren schwarz
und glatt wie Ebknholz, von stillem, sanft-
mütigem Wesen. Rujan hingegen war sonnen-
gebräunt, breitschultrig, unruhig und vielfach
wechselnd zwischen Unmut und Glüekseligkeit.
Da die Prinzessin zu Beginn jedes
Mondes etliches Gold von ihrem
Vater empfing, einem Jndustrie-
könig aus Amerika, verlebten sie
glückliche Tage in Schlössern, die
gemietete Dauernhäuser waren, in
den Bergen, an den Seen, am
Meer, an südlichen Küsten. Immer
waren ihre Sinne dem Gleichen
zugewandt. Bald waren es Bilder,
bald Gedanken, die Meere, die
Kreaturen des Schöpfers, vor-
nehmlich Tiere und Kinder. Bald
fanden sie sich in kindlicher Einfalt,
bald über tiefsinniger Weisheit.

Aber eines Tages befahl der
Jndustriekönig aus Amerika seine
Tochter für kurze Zeit zu sich nach
Hause. Und, weil die Prinzessin
keinen Zweifel kannte an ihrem
Glück und an der Treue ihres
Geliebten, fuhr sie ohne Bedenken
in einem wahren Märchenschiss
davon über das Meer. Der Prinz
aber blieb allein in Berlin. Und,
weil er so alleine war, begab er
sich in Gesellschaft. Und daselbst
begegnete ihm ein Mädchen, ein
blondes Kind aus dem Volke,
breitknochig, irdisch, sehr begierig,
lind ganz und gar keine Prinzessin.

blnd Rujan — er wußte überhaupt nicht
warum — verliebte sich sehr in das Mädchen
ganz wider sein besseres Wissen. Es bemäch-
tigte sich seiner eine sinnlose Leidenschaft, blnd
daS Mädchen erhörte ihn.

Als Jsrit heimkam, erkannte sie bald, daß
eine böse Fee ihren Liebsten verzaubert hatte.
Auch machte der edle Prinz keinen Hehl auS
seinein verirrten Herzen. So kam es, daß er
von nun ab in wirrer Leidenschaft hin und her
irrte zwischen der Zauberin und der Prinzessin.
Diese aber weinte viel heimliche Tränen. Ihr
reiner Sinn lernte das Ungereimte begreifen,
daß ein edles Herz lieben konnte, wo es ver-
ehrte. Aber die Prinzessin klagte nicht und trug
ihr Leiden mit Sanftmut.

Und dann geschah es gar, daß der Prinz
mit jenem Mädchen seinen Einzug hielt in die

ländliche Stätte, wo er mit Jsrit jene glück-
lichen Tage verbracht. Als aber die Prinzessin
und das Mädchen das Vordergemach jenes
Hauses betraten, fiel dort mit leisem Klirren
ein Kinderbild Jsrits zu Boden. Rujan erbebte
vor Schrecken. Er bekam als ein moderner
Prinz eine Art Nervenanfall, und er nahm da-
gegen keinen Zaubertrank, sondern vier Dero-
naltabletten auf einmal. Davon wurde er
krank und verfiel in Dämmerzustände. Dem
Mädchen aus dem Volk aber mißfiel die
prinzliche Sitte, blnd es sprach die gänzlich
profanen Worte: „Jetzt aber basta. Hysteriker
liebe ich nicht. Ich gehe!" — Als Rujan sich
inühsam an das Fenster schleppte, sah er das
herzlose Weib, den Koffer im Arm, durch den
Gemüsegarten davongehen. Da geriet sein
fürstliches Blut in Wallung. Die Wut des in
einen Sklaven verwandelten Prin-
zen ergriff ihn. Er jagte ihr nach,
und er schlug auf sie ein, daß ihr
der Koffer entfiel und das Blut
aus der Nase strömte. Selbst den
Nasenknochen zerbrach er. Dann
kehrte er zurück zur Prinzessin.
„Hier bin ich, einzige Herrin, und
bleibe bei dir. Fluch der verruchten
Hure, die meine Seele verabscheut."
bind die sanfte Prinzessin nahm
ihren Prinzen wieder aus, bezau-
bernd und milde wie immer, blnd
Rujan erfreute sich doppelt ihrer
Güte und ihrer huldvollen Anmut,
bind, um ihr verletztes Herz zu
versöhnen, erschlug er zwar keinen
Drachen, aber er machte mit vieler
Mühe eine bescheidene Erbschaft
flüssig, ihr einen Fordwagen zu
schenkenden sie sich lange wünschte.
Er ließ ihn in JsritS LieblingS-
farbe streichen, einem lichten Silber-
grau, wie Fordwagen sonst nie
auösehen, und gab ihm noch eine
kostbare Stahlverzierung. So fuhr
er stolz bei ihr vor. Es braucht
nicht gesagt zu werden, mit wieviel
Huld und Anmut und mit wieviel
herzlichem Dank Jsrit die Gabe
empfing. Auch wollte sie den

V/. B i s c h o f f
Register
W. Bischoff: Zeichnung ohne Titel
Fränze Herzfeld: Der verwunschene Prinz
 
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