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mir io Pfennige wieder zurück. Dann drückte
sie mir nach den Stammbaum deS schau ver-
kauften Kaninchens in die Hand — und ich
fuhr mit Aenne als stolzer AuLobesitzer van
dannen.

Frau Hinzpeter hatte nicht zu viel verspra-
chen. Das Auto fuhr wundervoll. Es erregte
sogar, wo wir auch hinkamen, allgemeine Auf-
merksamkeit — alle Menschen blieben stehen,
um meinem Wagen nachzuschauen. bind das
war immer mein schönster Traum gewesen. Ich
taufte den Wagen übrigens Ella, ich hatte ein-
mal eine Jugendliebe, die hatte so geheißen und
die hatte auch genau so ein putziges Hintergestell
wie das Erbe des SanitätSrateS. Meine Frau,
die mehr heldisch eingestellt war und die von
Jugendlieben nichts wissen wollte, nannte da-
gegen den Wagen prometheuS. Also hieß er
Ella Prometheus, und wir strichen ihn mit
feuerrotem Lack an.

Ostern sagte ich zu meiner ' Frau: „Wir

wollen Ella Prometheus einer LeistungSprüfung
unterziehen, wir fahren in den Feiertagen zu
Tante Titi in den Teutoburgerwald." Aenne
sagte freudig zu, denn erstens fuhr sie gern
Auto, zweitens sollte die alte Tante Titi über
einiges Darvermögen verfügen und drittens

wollte sie die Einsiedelei dieser berühmten Erb-
tante gern mal kennenlernen. Ich muß nämlich
vorausschicken, Tante Titi lebte als Tochter
eines OberwaldläufermeisterS in einem noch
völlig unentdeckten Teil des Gebirges und man
sagte, daß seit Jahrzehnten sie ihr Heim nicht
verlassen und daß niemand sie besucht hätte.
Wir standen lediglich im Briefwechsel mitein-
ander. DaS letztemal hatte ich ihr die Ge-
burtsanzeige unseres Jungen geschickt. Karl
war jetzt sieben Jahre alt.

Karl durste zu seinem größten Schmerz nicht
mit aus die große Reise gehen — eö war kein
platz für ihn im Wagen. Er durste nur am
Tage vorher mit Ankurbeln beginnen und als
wir absuhren, mußte er eine brennende Zigarre
in den AuSpuss stecken. DaS rauchte so wun-
derbar echt, blnd dann fuhren wir loS. Hei,
war das eine Lust an dem blau-blühenden
Ostertag. Ein Singen und Jubilieren in den
Lüsten, und die fröhlichen Wandersleute, die
uns überholten, grüßten uns durch muntere
Zurufe. Wir waren frohgemut und lauschten
dem beruhigend gleichmäßigen leisen Ticken
unseres braven Motors.

2^ Kilometer hinter der Stadt beginnt eine
Steigung. Ella Prometheus stieg ebenfalls,

langsam, aber prachtvoll — Meter für Meter.
Eine herrliche Maschine. Schon hatten wir
fast den Gipfel des Hügels erklommen, da
ruckelte es jedoch aus einmal und der Wagen
stand. Ich öffnete etwas, was gerade zu
öffnen ging — die Autofahrer im Film machten
das immer so — und siehe, da war etwas ge-
rissen. Da war die Antriebskette gerißen. Die
Antriebskette selbst war eigentlich nicht mehr
da, aber Hinzpeter hatte sie durch einen guten
kräftigen Bindfaden ersetzt, und der war nun
hoffnungslos geplatzt. Friedensware! — aber
mein Gott, blnmöglicheS kann man von einem
Bindfaden auch nicht verlangen. Zum Glück
hatte mein liebes Frauchen etwas Dehnbares in
ihrer Handtasche — „Straps" nannte sie eS
mit einem lustigen Ausdruck — und damit er-
setzten wir den kaputten Bindfaden. Prachtvoll
ging nach diesem Zwischenfall die Reise weiter.

Ach, und doch — wie anders verlies der
Besuch bei Tante Titi, alö ich ihn mir er-
träumt hatte. Ich hatte Tantchen, die noch
nie eine Eisenbahn, geschweige denn ein Auto
gesehen hatte, triumphal mit den Wundern der
modernen Technik überrumpeln wollen. Aber,
aber! Zwar die Wälder waren noch viel
dunkler und tiefer, als ich je gedacht hatte, doch

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Ilse Engel: Am Fenster
 
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