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los. Sauer

„Nee, Frollein, in der Liebe kenne ick mir aus, — da wette ick, daß die zwee
nich’ verheiratet sind oder jlauben Sie, daß der mit seiner Frau ,Zimmer mit Bad(
bestellt hätte?!“

und drunter: „Fräulein Generaldirektor Linchen
Kleemann aus Zwickau an der Cote d'Azur
am Volant ihres bleubeigefarbenen rassigen
18/75 Bertrand de Born", Ich sah so etwas
furchtbar gern und oft. fuhr ich nachts im
Traum mit dem 16/75 Bertrand de Born —
freilich für das miese Fräulein Kleemann setzte
ich dann immer jemand anders rein, meistens so
ein gutgewachsenes Fräulein, wie sie den
Strumpf- oder Trikotannoncen in den „Illu-
strierten" beigegeben sind, Ich hatte einen so
feinen Riecher für Autos, daß ich tatsächlich
nur die Augen zudrücken brauchte und aus dem
bloßen Geruch des vorbeifahrenden Wagens
feine Marke, sein Alter, sein Differential, ja,
an völlig windstillen Tagen sogar seine Zu-
lassungsnummer bestimmen konnte. Auch daS
ist nett und machte meinen Freunden immer
viel Spaß — aber damit besitzt man noch kein
Auto.

blnd doch wurde unsere Sehnsucht eines
Tages von Erfolg gekrönt. Wir lasen wie
immer die Gelegenheitskäuse im „General-
anzeiger" durch, und waS stand da auf einmal
gedruckt — in klaren und deutlichen Lettern,
waS stand da?! „Umständehalber ein belgisches
Riesenzuchtkarnickel mit Stammbaum, ein
Bilderbuch (Struwwelpeter) und ein Auto,
älteres Fabrikat, spottbilligst zu verkaufen bei
Frau SanitätSrat Hinzpeter." Spottbilligst,
das war es — billiger ging es schon nimmer.
Ich fiel also meiner Frau mit einem Freuden-
schrei um den Hals, plattelte den Schuhplattler,
den ich in der bayerischen Bierstube von Johann
Krögel unlängst gehört hatte und dann sprang
ich vor Freude an die Decke. Weil wir neu-
bauwohnen, kam ich zwar mit dem Kopf oben
bei Briefträger Brödels im Schlafzimmer durch,
aber der gütige Mann stellte mich gleich wieder
bei mir selber zu, und ich konnte, nach An-
legung eines Notverbandes, mich sofort auf den
Weg machen und zu HinzpeterS gehen. Vorher
freilich zerschlugen wir noch die Sparbüchse, die
ich meinem Sohn Karl zu Weihnachten ge-
schenkt hatte, und in die ich seine wohlhabenden
-Onkels und Tanten immer etwas hatte hinein-
werfen lassen. Wir erbeuteten 2,25 Mark.

Als wir zu Frau Hinzpeter kamen, kriegten
wir zuerst einen fürchterlichen Schreck. Frau
Hinzpeter sagte nämlich beim Öffnen der Tür:
„Sie kommen vermutlich auf den General-
anzeiger hin?" Ich bejahte, mit kaum unter-
drücktem Beben und preßte die 2,25 Mark in
meiner Hosentasche fest gegen mein Bein, um
meine Erregung nicht zu verraten. Da wurde
die SanitätSratSwitwe plötzlich ganz traurig
und sagte: „Bedaure, Sie kommen leider zu
spät." DaS gab mir einen entsetzlichen Stoß.
„Aenne", schrie ich, „das Auto ist weg." Doch
da strahlte Frau Hinzpeter schon wieder: „Ach,
Sie kommen wegen des Autos, das trifft sich
ja fein — bloß daS Kaninchen ist verkauft und
der Struwwelpeter ist verkauft, das Auto, ja,
das können Sie schon noch haben." Ha, wie
mich das aus der Verzweiflung riß. Alle
meine Träume von den Strumpfbandfräuleins
wurden mit einem Schlag wieder in mir leben-
dig. Ob es ein 18/75 Vertrand de Born war?
Minuten nur trennten mich noch von der Er-
füllung meiner Lebenssehnsucht.

Als wir vor dem Schuppen standen, sagte
ich: „Das also ist die Garage." „Wie man'S
nimmt!" erwiderte die Greisin orphisch. Es war
eigentlich der Kaninchenstall, aber das Auto
stand schon mit drin. Ein Bertrand de Born
war eS nun gerade nicht, aber immerhin, eS
hatte vier Räder und als die Frau Hinzpeter
eS unter den Kaninchen hervorgezogen hatte,
sagte sie liebevoll: „Es läuft ja so tadellos —
als Hinzpeter daS letztemal damit fuhr, rannte
es wie ein Wiesel über die Straße."' Aenne und
ich murmelten darauf etwas BeileidigeS wegen
des Herrn SanitätSrateS Hinscheiden, doch ge-
stand unS die Witwe dankend und freimütig,
sie sei schon seit 25 Jahren eine solche. Jung
wäre daS Auto eben zwar nicht zu nennen, aber
solche OualitätSarbeit würde heute — Frau
Hinzpeter sah dabei plötzlich böse aus — über-
haupt nicht mehr hergestellt. Ich bestätigte das,

indem ich stramm unterstrich, mein Detter, der
Herr Generaldirektor Knäckebrot, hätte kürz-
lich das gleiche bemerkt.

Auf diese Bemerkung hin sah unS Frau
Hinzpeter in rosigem Licht, und mir war
eigentlich nur noch wegen der Bezahlung bange.
Aber als wir darauf anspielten, sagte die Frau
SanitätSrat, sie habe Vertrauen zu mir ge-
wonnen, und eigentlich hätte ja ihr Enkel den
Wagen zum Basteln eines Radioapparates ver-
wenden wollen, aber das erlaube doch die
Pietät nicht und die Hauptsache sei, daß Hinz-
peterS Hinterlassenschaft in gute Hände käme.
Nun war es an mir, meine Hände vorzn-
weisen, in denen 2,25 Mark lagen. Da ward
die Witwe sehr vergnügt, sie nahm daS Geld,
das ans sehr vielen Zehnpfennigstücken bestand,
an sich und sagte, daß sie bei Barzahlung
natürlich auch entgegenkominen wolle und gab
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Josef Sauer: Der Kenner
 
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