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eine Dollarnote. Den Fund noch in der Hand haltend, folgte ich un-
schlüssig dem Herrn, als diesem schon wieder eine Dollarnote entfiel,
ohne daß er eS zu bemerken schien. So ging es weiter, der Mann ver-
lor alle paar Schritte einen Geldschein. Sie können sich vorstellen, mit
welcher Anhänglichkeit ich ihm nachlief. Als er gerade unter ein Haustor
trat, holte ich ihn ein und sagte: „Mein Herr, Sie haben viel Geld
verloren. Hier ist eö!"

Sie dürfen nicht glauben, daß ich in diesem Augenblick wahnsinnig
geworden war. Meiner übertriebenen Ehrlichkeit lag vielmehr der Basi-
liskenblick eines Polizisten zugrunde, der an der letzten Ecke den Vor-
gang bemerkt hatte und mir seither nachstieg. Als der Schutzmann sah,
daß ich mit dem Herrn sprach, nickte er befriedigt und entschwand.

„Bravo", sagte der wohlgenährte Herr und steckte die Dollars ein,
„kann ich vielleicht etwas für Sie tun, da Sie hier fremd zu fein
scheinen?" Ich war vor Hunger ganz grün im Gesicht und schilderte
Mr. Cornabe unverblümt meine Lage, worauf dieser sich nach meinen
Papieren erkundigte. Ich ließ sie ihn gerne sehen, da sie sich in Ordnung
befanden. Ob ich gesund wäre, wollte der Mann hierauf wissen.
Natürlich war ich das, dazu noch groß und stark wie ein Ochse. Nach-
dem ich dies erwähnt, sagte der Mann: „Mein lieber Best, ich glaube
Ihnen zwar, aber ich muß Sie dennoch ärztlich untersuchen lassen. Ich
will nur Leute um mich, die hervorragend gesund sind. Kommen Sie
einstweilen zu mir, und wenn der ärztliche Befund günstig ist, können
Sie bis an Ihr Lebensende bleiben."

„Und was muß ich dafür tun", erkundigte ich mich.

„Gar nichts. Esten, trinken und Ihren Neigungen leben", sagte der
freundliche Herr.

Die Wohnung des Mr. Cornabe befand sich im gleichen Hause und
war im neunten Stockwerk gelegen. Die Einrichtung sah großartig aus,
der Haushalt wurde von einer älteren Wirtschafterin geführt. Ich bekam
ein hübsches Zimmer und aß und trank, daß es eine Schande war. Nie
wieder im Leben traf ich einen freundlicheren Herrn als diesen Cornabe.
Jeder Wunsch, den er mir nur von den Augen ablesen konnte, wurde
sofort erfüllt. Wenn ich auSgehen wollte, drängte mir mein Gönner
stets Geld auf, so daß ich mich sehr glücklich fühlte. Am dritten. Tag
meines Wohllebens kam ein Herr rnit Spitzbart und Handtasche, horchte
und klopfte mich ab, blickte mir in den Nachen und ließ mich Kniebeuge
machen. Dann wackelte er anerkennend mit dem Bart und ging.

„Sie sind die verkörperte Gesundheit", sagte hierauf Mr. Cornabe
und umarmte mich, „gehen Sie nie wieder von mir. Ich werde Sie
von nun an für meinen Neffen auögeben, mein lieber Douglas."

Gerührt fiel ich dem neuen Onkel um den Hals.

Bald darauf wäre ich bald einem blnfall zum Opfer gefallen. Gleich
neben unserer WohnungStür befand sich der Lift. Wenn er nicht gerade
oben stand, drückte man auf einen Knopf, und er kam lautlos von unten
heraufgeschwebt. Im Innern des Aufzuges befand sich ein Spiegel.
Eines Nachts, da ich gerade zu Bett gehen wollte, kam der gute Onkel
und sprach: „Komm, lieber Douglas, wir wollen noch in eine Bar
gehen und uns einen Drink kaufen!"

Warum auch nicht? Ich kleidete mich an und dann gingen wir beide
zum Lift. In der Stiegenhalle herrschte nur schwaches Licht, das von
einer unteren Etage heraufdrang. Der Onkel öffnete die Tür zum Auf-
zugschacht und als ich ihm den Dortritt lasten wollte, sagte er:

„Bitte nach dir, mein lieber Douglas!"

Ich sah trotz der schlechten Beleuchtung ganz deutlich den Spiegel lind
trat bedenkenlos ein, um die Lampe im Lift einzuschalten, ich trat aber
ins Leere — schwups — und schon stürzte ich. Instinktiv griff ich nach
einem Halt und bekam glücklich das Drahtseil zu fassen. Ich rutschte
so an die zehn Meter tief und ließ nicht mehr los. Als ich mich, am
Drahtseil hängend, so halbwegs in geordneten Verhältnissen befand,
kletterte ich langsam abwärts, bis ich das Dach des Aufzuges er-
reichte, der im Erdgeschoß stand. Da kam auch schon händeringend Mr.
Cornabe die Treppe heruntergerast und half bei meiner Befreiung auS
dem Liftschacht. Mit Tränen in den Augen verband er meine ver-
brannten und zerschundenen Handflächen und schenkte mir hundert Dol-
lars. Hierauf ging ich, um mir die Geschichte mit dem Spiegel anzu-
sehen. Der Lift stand noch unten, trotzdem konnte man in der neunten
Etage die Tür zum Schacht öffnen; wohl infolge eines mechanischen
Fehlers. Illnd richtig, an der gegenüberliegenden Wand des Schachtes
hing ein Spiegel. Herr Cornabe meinte, dies fei ein sehr schlechter Scherz.

Mein neuer Onkel ging keinem Beruf nach und langweilte sich. Ein-
mal sagte er mir, er würde jetzt naturwissenschaftliche Studien betreiben.
In der Folge kamen häßliche Reptilien ins Haus, die in Glaskästen im
Arbeitszimmer wohnten. Eines Nachts erwachte ich, da ich etwas Naß-
kaltes bei meinen Beinen spürte. Ich machte Licht und fand im Bett
zwei ebenso kleine wie giftige Schlangen und einen Skorpion. Natürlich
waren die Biester aus einem schlecht verschlossenen Kasten entkommen.
Nach dieser unerfreulichen Entdeckung ließ Mr. Cornabe das Viehzeug
aus dem Haus schaffen.

Ein andermal saß ich in der Badewanne und wollte gerade in die
Seifenschüssel greifen, als ich dort ein blankes Drahtende gewahrte. Ich
verfolgte das Kabel und kam darauf, daß es von der Lichtleitung ab-
zweigte. Natürlich hütete ich mich, das Ende in der Seifenfchüstel zu
berühren, denn hätte ich, im Wasser sitzend, dies getan, würde mein
Körper in Verbindung mit dem Abflußrohr der Wanne die direkte Erd-
leitung hergestellt und ich meine Seele ausgehaucht haben. Ich machte
meinen Onkel auf die schadhafte Leitung aufmerksam, worauf er mir
wieder hundert Dollars schenkte. Ich konnte damals schon bedeutende
Ersparnisse Nachweisen. Mr. Cornabe war anzusehen, daß ihn irgendein
Herzenskummer bedrückte, denn er zeigte sich in letzter Zeit nervös und
sah schlecht aus, wogegen ich an Leibesfülle stetig zunahm. Als ich ein-
mal während des Bades rechtzeitig bemerkte, daß zufällig gerade der
Badeofen schadhaft geworden sei, so daß daS Gas ausströmte, stieg die
Bestürzung meines Gönners ins Grenzenlose. Er meinte, er hätte eigent-
lich nichts mehr dagegen, wenn ich mich auf Goldsuche in Alaska aus-

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Otto Nückel: Der Hinauswurf
 
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