Alte Frau
Albert Burkart
hatte er Bedenken, doch da öffnete die Frau
die Tür, er blickte in das Sprechzimmer und
sah ganz rückwärts die kleine Hannelore, die
mit einem langen, innigen Blick den Mann
umfaßte.
Da riß eö ihm am Herzen, daß er schlucken
mußte und mit raschem Entschluß trat er auf
das Mädelchen zu und nahm es an der Hand.
Schnell waren die Formalitäten erledigt, das
Kleine bekam ein Bündelchen auSgefolgt und
heim gingS, nach der stillen Gasse. Stolz wurde
das Mädelchen am nächsten Morgen den Be-
kannten und Nachbarn gezeigt und Martin
Hofer nahm einen größeren Geldschein aus der
Tasche und bat seine Frau, der Hannelore
Kleider und Wäsche zu kaufen. Abends sah eS
in der bisher so einsamen Wohnung hell und
kunterbunt auS, als wäre Weihnacht. Kleider,
Wäsche, Schuhe, Spielzeug und Puppen lagen
überall herum und mitten in diesem Durch-
einander faß da6 Kind und lachte ein glückliches,
märchenhaft seliges Lachen, das erste frohe
Lachen der bisher gefangenen Seele.
Insgeheim erkundigte sich Martin Hofer
nach dem Vater seines Pflegekindes. Da er-
hielt er die frohe Zuversicht, daß er von der
Seite keinen Überfall zu fürchten habe, daß
aber auch jede Berührung des Kindes mit
jenem Manne streng vermieden werden müsse.
Schon nannte Hannelore die beiden altern-
den Menschen Vater und Mutter, schon be-
kam das zage Stimmchen einen lockenden,
fordernden Klang, schon trippelten die kleinen,
unruhigen Füßchen von Vater zu Mutter und
woben das längst zerrissene Band aufs neue,
so daß in den zwei einsamen Menschen ein
neues, tiefes, inniges Familienglück erblühte.
Sonne kam in die stumpfen Augen und Sonne
in die verbitterten Herzen.
Daö Dingelchen wuchs heran und wurde
zu einem blühenden, schlanken Mädchen.
Die Vergangenheit war begraben, Hanne-
lore war nun wirklich das Kind von Martin
und Eva Hofer.
Jahre voll Behagen und Sonnenschein
gingen dahin. Da kam eines Morgens, Martin
Hofer war gerade in den Dienst gegangen,
eine fremde, verlebte Frau an die WohnungS-
türe und fragte nach Herrn Hofer. Miß-
trauisch maß Frau Eva die Fremde, die mit
unstetem Blick die Wohnung abfuchte. Als
ihr Auge gefunden, was es suchte, ging sie
rasch auf die spielende Hannelore zu, nahm sie
in die Arme und überschüttete sie mit einem
Regen von zärtlichen Worten. Es sei ihres
Mannes Kind, die Hannelore; sie habe deS
Kindes Vater geheiratet, der nun ein braver,
fleißiger Arbeiter geworden sei; der hätte Sehn-
sucht nach dem Kind und nun möchten sie das
Mädelchen zu sich zurücknehmen. DaS alles
kam fo schnell und überstürzend aus dem Mund
jener Frau, daß ihr Eva Hofer kaum mit
ihren verängstigten Gedanken folgen konnte.
Aber da machte sich Hannelore mit jähem Ruck
von der fremden Frau los und lief weinend
und hilfesuchend zu Frau Hofer.
Die umfaßte daS Kind und sagte mit zittern-
der Stimme:
„Sie irren sich, Frau, daS ist unser Kind,
das wir mit Liebe aufgezogen haben. Neun
Jahre hat sich niemand um daS arme Wurm
gekümmert und nun kommen Sie und bean-
spruchen Rechte, die Sie nicht haben." Plötz-
lich stand Martin Hofer in der Türe. Er war
von einem jähen blnwohlsein befallen worden
und mußte den Dienst unterbrechen. So kam
er gerade zur großen Szene zurecht. Er hatte
im Nu erfaßt, was sich hier in der Wohnung
abspielte und sagte mit ruhiger, gebietender
Stimme:
„Hannelore, es nützt nichts, diese Frau ist
deine Stiefmutter, der Vater will dich zu sich
nehmen, du mußt zu ihm gehen, fo schwer eS
dir fällt..." In feiner Stimme zitterten
Tränen.
Hannelore flüchtete in die Küche und war
nicht zu bewegen, mit der Frau zu gehen. Am
nächsten Vormittag wanderten Herr und Frau
Hofer mit Hannelore zum DormundfchaftS-
gericht. Der Beamte ließ sich eingehend Bericht
erstatten und blätterte dann in dicken Proto-
kollen.
„Ja, liebe Leute, da läßt sich nichts tun.
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Albert Burkart
hatte er Bedenken, doch da öffnete die Frau
die Tür, er blickte in das Sprechzimmer und
sah ganz rückwärts die kleine Hannelore, die
mit einem langen, innigen Blick den Mann
umfaßte.
Da riß eö ihm am Herzen, daß er schlucken
mußte und mit raschem Entschluß trat er auf
das Mädelchen zu und nahm es an der Hand.
Schnell waren die Formalitäten erledigt, das
Kleine bekam ein Bündelchen auSgefolgt und
heim gingS, nach der stillen Gasse. Stolz wurde
das Mädelchen am nächsten Morgen den Be-
kannten und Nachbarn gezeigt und Martin
Hofer nahm einen größeren Geldschein aus der
Tasche und bat seine Frau, der Hannelore
Kleider und Wäsche zu kaufen. Abends sah eS
in der bisher so einsamen Wohnung hell und
kunterbunt auS, als wäre Weihnacht. Kleider,
Wäsche, Schuhe, Spielzeug und Puppen lagen
überall herum und mitten in diesem Durch-
einander faß da6 Kind und lachte ein glückliches,
märchenhaft seliges Lachen, das erste frohe
Lachen der bisher gefangenen Seele.
Insgeheim erkundigte sich Martin Hofer
nach dem Vater seines Pflegekindes. Da er-
hielt er die frohe Zuversicht, daß er von der
Seite keinen Überfall zu fürchten habe, daß
aber auch jede Berührung des Kindes mit
jenem Manne streng vermieden werden müsse.
Schon nannte Hannelore die beiden altern-
den Menschen Vater und Mutter, schon be-
kam das zage Stimmchen einen lockenden,
fordernden Klang, schon trippelten die kleinen,
unruhigen Füßchen von Vater zu Mutter und
woben das längst zerrissene Band aufs neue,
so daß in den zwei einsamen Menschen ein
neues, tiefes, inniges Familienglück erblühte.
Sonne kam in die stumpfen Augen und Sonne
in die verbitterten Herzen.
Daö Dingelchen wuchs heran und wurde
zu einem blühenden, schlanken Mädchen.
Die Vergangenheit war begraben, Hanne-
lore war nun wirklich das Kind von Martin
und Eva Hofer.
Jahre voll Behagen und Sonnenschein
gingen dahin. Da kam eines Morgens, Martin
Hofer war gerade in den Dienst gegangen,
eine fremde, verlebte Frau an die WohnungS-
türe und fragte nach Herrn Hofer. Miß-
trauisch maß Frau Eva die Fremde, die mit
unstetem Blick die Wohnung abfuchte. Als
ihr Auge gefunden, was es suchte, ging sie
rasch auf die spielende Hannelore zu, nahm sie
in die Arme und überschüttete sie mit einem
Regen von zärtlichen Worten. Es sei ihres
Mannes Kind, die Hannelore; sie habe deS
Kindes Vater geheiratet, der nun ein braver,
fleißiger Arbeiter geworden sei; der hätte Sehn-
sucht nach dem Kind und nun möchten sie das
Mädelchen zu sich zurücknehmen. DaS alles
kam fo schnell und überstürzend aus dem Mund
jener Frau, daß ihr Eva Hofer kaum mit
ihren verängstigten Gedanken folgen konnte.
Aber da machte sich Hannelore mit jähem Ruck
von der fremden Frau los und lief weinend
und hilfesuchend zu Frau Hofer.
Die umfaßte daS Kind und sagte mit zittern-
der Stimme:
„Sie irren sich, Frau, daS ist unser Kind,
das wir mit Liebe aufgezogen haben. Neun
Jahre hat sich niemand um daS arme Wurm
gekümmert und nun kommen Sie und bean-
spruchen Rechte, die Sie nicht haben." Plötz-
lich stand Martin Hofer in der Türe. Er war
von einem jähen blnwohlsein befallen worden
und mußte den Dienst unterbrechen. So kam
er gerade zur großen Szene zurecht. Er hatte
im Nu erfaßt, was sich hier in der Wohnung
abspielte und sagte mit ruhiger, gebietender
Stimme:
„Hannelore, es nützt nichts, diese Frau ist
deine Stiefmutter, der Vater will dich zu sich
nehmen, du mußt zu ihm gehen, fo schwer eS
dir fällt..." In feiner Stimme zitterten
Tränen.
Hannelore flüchtete in die Küche und war
nicht zu bewegen, mit der Frau zu gehen. Am
nächsten Vormittag wanderten Herr und Frau
Hofer mit Hannelore zum DormundfchaftS-
gericht. Der Beamte ließ sich eingehend Bericht
erstatten und blätterte dann in dicken Proto-
kollen.
„Ja, liebe Leute, da läßt sich nichts tun.
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