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J u G

3 9. JAHRGANG

END

19 34 / NR. io

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VON CSCtKQ SC MARZ

Zapf? 2Bar eS möglich! Zapf? — Der Weinhanaler? — Tänzelnd
wie eine Bajadere kam er daher, schwang sein Stöckchen und ließ eS
wie einen Windmühlenflügel um den Finger kreisen.

„Es lebe Bacchus!" lautete sein Gruß, waS mich an ihm nicht
wunderte, denn er war humanistisch gebildet. Da lag er mir auch schon
in den Armen und behauchte mein Gesicht mit warmem Weindunst.

„Luder", flüsterte ich sanft und noch ganz benommen, „wo kommst
du her und wo willst du hin?" Da schwang er sein Stöckchen und
deutete auf die „Alte Post" gegenüber, hielt eine lange Rede, schwatzte
von einem Tag der Götter, von Bacchus und seinem Gefolge, bestand
darauf, daß man sich heute das Haupt mit Weinlaub bekränze, hängte
bei mir ein und überließ sich meiner Führung.

Der Postwirt stand schon an der Tür und nahm uns höflich in
Empfang; i ch bat ihn, mir bei der Beförderung meines schweren
Begleiters behilflich zu fein. Doch war es nicht leicht, unseren schwatz-
haften, befrackten Eilen, der immerzu lateinische Floskeln zum besten gab,
von der Stelle zu bringen. „Ein stilles Plätzchen im Nebenzimmer!"
keuchte der Postwirt neben mir, verschwand plötzlich und ließ uns im
dunkeln Flur mit den Köpfen an eine harte Türe anrumpeln. Mit
Mühe fanden wir durch und betraten das Gelaß. Alsbald erschien ein
weißgeschürztes Mädchen und setzte uns die funkelnde Göttergabe auf
den Tisch. Der Anblick ihrer Holdseligkeit entnebelte die trunkenen Sinne
meines Nachbars für einen Augenblick. Sein in antiken Gefilden sich
tummelnder Geist kehrte für eine rasche Sekunde in das verfluchte
Jahrhundert zurück. Ich sah, wie er sich schwankend erhob, um
schnell nach einem schmalen, weißen Zipfel Wirklichkeit in Gestalt einer
Schürze zu haschen, als ihn eine kleine Hand auch schon liebevoll zurück-
stieß, daß er augenblicklich mit leisem Aufschrei auf den Boden rumpelte.
Die leichtfüßige Hebe entschwand und hinterließ ein silberhelles Gelächter.
Fürs erste wagte mein schöner Freund sich nicht zu erheben. Als aber
die Hebe ganz unerwartet wieder erschien, feierlich die Türe öffnete und
sich auf die Seite stellte, schwang er sich an einem Stuhlbein hoch und
stand in gekrümmter Haltung — erstarrt! Denn was sich nun zwischen
Tür und Tür abspielte, die kleine Stube betrat und wieder verließ, um
in den benachbarten Saal einzumarschieren, war ein Fries, wie mir
Freund Zapf in höchster Erregung zuflüsterte, eine Reihe augenscheinlich
leibgewordener Vorstellungen höherer Lebewesen, wie er solche
von Jugend an in seinem Geiste genährt hatte. Götter! Mir wollten
sie zwar nur wie einfache natürliche Bauern Vorkommen. „Haben Sie
ihn gesehen" — blitzte mich Zapf aus begeistert schauenden Augen an —

„haben Sie den Alten gesehen mit dem schneelockigen Haupt und der
Stirne wie ein Turm? Donner sein Schritt und Blitz das Licht seiner
Augen! Zeus! mein Freund, kein anderer! Sagen Eie, was Sie
wollen!" Zapfs dröhnende Worte schmetterten mich nieder. Ich fand
manches Wahre an seiner Feststellung. Der Alte war eine prächtige,
ausdrucksvolle Gestalt. Wie er mit wuchtigen Schritten den hallenden
Saal durchmaß und sich in einem behäbigen Sessel niederließ, der die
Mitte eines langen Tisches einnahm, das war majestätisch, eines
Mannes würdig, der die Macht hat, zu gebieten. Sein rotes, bärtiges
Gesicht, die wuchtige Stirn, von einer Fahne weißen Haares umweht,
die Augen, blaue Blitze sendend, gemahnten, beim Zeus! — (Ich hatte
erst den zweiten Schoppen hinter mir —) an den höchsten Herrn der
Götter! „Sehen Sie den rußigen Bengel dort, mit seinem Brustkorb
so wölbig breit wie ein Regenfaß?!" rief Zapf laut und deutete mit
schwankender Hand auf einen unförmigen Kerl, der auf kleinen,
schwachen Beinen seinen mächtigen Oberleib um den Tisch herum
bewegte. „Hephäst, das athletische Ungeschick! Wir haben eS gut
getroffen, heute, mein Freund! Göttergesellschaft! Wollen
Sie mehr?" Er schüttelte mich heftig an den Schultern, zerrte mich an
den Tisch, hob sein GlaS und trank mir zu. Auf seinen Wunsch setzte
ich mich zu ihm an die offene Tür, wo wir überblicken konnten, waS im
Saal geschah. Als die mir absonderlich vorkommende Gesellschaft Platz
gefunden hatte, „Zeus" in der Mitte, klingelte eine schrille Schelle und
der Götterfürst erhob sich. Augenblicklich trat Ruhe ein. „Bring ihn
her!" rief die Stimme des Donnerers. Ein eilfertiger Diener in blauer
Amtstracht lief an die Tür. „Merkur!" zischte Zapf und stieß mich
in die Seite. Ein gesunder Bengel, der etwas verwahrlost aussah,
erschien im Saal. „Merkur" faßte ihn am Rockkragen und stieß ihn
nach vorne an den Tisch, mit dem Knie nachhelfend. Da stand ein
scheuer unbeholfener Bursche, die Hand in der Hosentasche und nahm
eine wenig vorteilhafte Haltung ein. „Stock her!" dröhnte „Zeus" und
„Merkur" buckelte dienstfertig und machte Anstalten. Da erhob sich der
Hinkfuß. Er machte eine ablehnende Handbewegung und sagte: „Seine
Hiebe hat er von mir!" und wies seine unförmigen, schwarzen Pratzen
vor, denen man ansah, daß sie ihr Geschäft gut verrichteten. Ein Blick
aus feinen rotgeränderten Augen streifte den Burschen und zärtlicher
Ingrimm, der längst vergeben hatte, drückte sich darin auS. „Du willst
daS Silber nicht gestohlen haben, du Tagdieb?" fragte Zeus den
Burschen. Der Bursche biß sich auf die Lippen.

„Ich Hab' eS nicht gestohlen!"

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Register
Georg Schwarz: Götter in der Schenke
Anton Leidl: Illustration zum Text "Götter in der Schenke"
 
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