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„Wer sonst?" forschte der Alte.

„Nur Ln die Hand Hab' lch's genommen!" wurde ihm zur Antwort.
„Was wolltest du mit dem Geld in der Hand?"

„Weiß nicht!" stotterte der Bursche, „Hab noch nie eines gehabt!"
Er blickte weinerlich und hilfesuchend auf seinen Züchtiger. Der erhob
sich und brachte auf plumpe Weise hervor, daß er seinen Antrag auf
Bestrafung, den er voreilig eingebracht, zurückziehen wolle, weil der
Junge so dumm sei. „WaS soll dann sein mit dem Dieb?" fragte der
Alte, „wir sitzen da zu Gericht, so gut wie irgendwo anders — und noch
auf deinen Wunsch! Seiner Bande ist der Bursche entlaufen — und
bei dir hat es ihm gefallen. Hast du nicht schon gesagt, er stelle sich
ganz geschickt an in der Schmiede?" „Es kommt mir so vor" — sagte
der Hufschmied bedächtig. „Hat es dir bei ihm gefallen?" wurde der
Bengel befragt. Der Bursche nickte verlegen und ein scheuer Blick seiner
Augen glitt rasch über daS Angesicht der Hufschmiedsgattin, die gleich-
gültig auf ihren wölbigen Busen niederschaute, als ginge sie der ganze
Handel nichts an. „Was sagt sie dazu?" fragte „Zeus" vorsichtig.
Die Hufschmiedsgattin wiegte den Kopf, schaute den Burschen von der
Seite an und sagte: „Ich Hab' nichts gegen ihn." Da lachte der Schmied
und brachte auf spaßhafte Weise vor, daß er den Burschen überrascht
habe, wie er das Bild der Hufschmiedin in der Stube mit offenem
Munde angegafft habe, beide Hände voll mit gestohlenem Silber und
ohne ein Anzeichen schlechten Gewissens oder diebischer Scheu. Die
Hufschmiedin wurde rot, als sie das hörte und der Alte am Tisch
konnte sich ein Schmunzeln nicht verbeißen.

„Er fühlt sich also zur Familie gehörig", meinte er — und die
Häupter um den Tisch herum begannen freundlich lachend zu nicken.
Bis dahin hatte Freund Zapf mir gegenüber mit seiner Meinung über
den Borfall zurückgehalten, jetzt aber, da eine augenscheinliche Pause
in der Verhandlung des weintrinkenden Gerichtssaales eingetreten war,
schaute er mich groß an und sagte: „Eine rührend menschliche Geschichte,
inein lieber Freund! Ich möchte wetten, es steckt so eine kleine, göttliche
Liederlichkeit dahinter. Passen Sie auf!" Da klingelte wieder die Silber-
schelle. Bevor aber der Silberhaarige den Mund öffnen konnte, erhob
sich ein krummbeiniger Tischgenosse, schaute mit mißtrauischen Luchs-
augen um den Tisch herum und richtete die Bitte an ZeuS, den Misse-
täter zu fragen, warum er daS Bild der Hufschmiedin so laffenmäßig
dumm angegafft habe, wenn diese Bestätigung kein Manöver gewesen
sein sollte, daS Silber besser verschwinden zu lassen.

Ein Schweigen entstand am olympischen Tisch. Zapf machte ein
wahnwitzig kluges Gesicht hin und sagte, auf den Krummbeinigen
deutend, ein Wort, ein einziges Wort, das wie Wetterleuchten die fast
schon entwölkte Nacht beunruhigte: „Argus!"

Mit einem Schlag trat eine Wendung ein in der Verhandlung.
Argus listvolle Augen durchbohrten wie Degenspitzen die arme Huf-
schmiedin, die aufgeregt dasaß und an den Falten ihres Nockes herum-
glättete. Noch ehe ZeuS die Frage an den Burschen richten konnte, gab
dieser zur Antwort, die Hufschmiedin habe ihm vorn ersten Augenblick
an mehr als jedes andere Weib gefallen. „Jetzt soll dich der Stock
dreschen!" polterte ZeuS los, „du ganz verworfener, unzüchtiger
Lümmel!" Die Hufschmiedin saß wie übergossen mit rotem Wein, ihr
Gatte lachte auS vollem Hals. „Ich inöchte wissen, warum dir frechem
Bengel die ehrsame Frau Hufschmiedin so gut gefallen hat? DaS sagst
du mir!" unterbrach ZeuS den Sturm des Gelächters, der sich am
-bijch erhoben hatte. Der Bengel bekannte frech, die Hufschmiedin sei
e.n hübsches und wohlwollendes Weib, mit der er gerne unter einem
Dache leben möchte. „Vielleicht kennt der Bursche die Hufschmiedin?"
warf Argus listig ein, „vielleicht kennt das Ei die Henne, wenn die
Henne das Ei nicht kennen will!" „Schweig! —" herrschte Zeus den
Arglistigen an, „was willst du wissen?" — den Hufschmied fragte er
fort: „Ist dir nicht ein Junge entlaufen, vor etwa zehn Jahren, Huf-
schmied?" — Der Schmied bäumte sich wie ein Wurm unter der
^rage. klm so schneller war die Hufschmiedin mit der Antwort bereit:
Das Kind fei sicher längst tot oder verdorben, auch gleiche der Bursche
nicht sehr dem ehrsamen Hufschmied, „klm so mehr der Hufschmiedin!"
pfiff der boshafte Argus dazwischen. Da flogen die Fäuste des Schmiedes
wie Keulen durch die Luft und trafen auf Argus. Ein Tumult entstand,
in dejsen Verlauf Tische und Stühle übereinander stürzten, Krüge zer-
brachen und Bänke zerkrachten. Ein schöner, junger Gott, der bisher
schweigend dagesessen war, entschwand durch eine offene Tür in den

Garten hinter der Schenke. Während des Getümmels, in dessen Mittel-
punkt besänftigend und abwehrend die schöne Hufschmiedin stand, ergriff
mich Freund Zapf rasch am Nockärmel und riß mich dem Schönen
nach ins Freie. Wir taumelten durch eine lichte, herbstbraune Laube
zwischen leeren Fässern und Tischen hindurch, in deren Mitte ein
bärtiger, dickleibiger Weintrinker an einem ungedeckten Tisch saß und uns
einen wohlklingenden, fremdartigen Gruß zurief, den mir Zapf in der
Eile nur ungenügend übersetzte. Wo Zapf hinstreben wollte, wurde
mir nicht klar. Ich befreite mich für alle Fälle aus der Klammer
seiner Hand und folgte seiner Spur durch daS hohe Gras zwischen
Zwetschgenbäumen und Johannisbeerbüschen hindurch. Da sahen wir
den schönen Gott, der auS der Gesellschaft der andern geflohen war,
hinter Büschen auf einem Kiesweg auf- tind abwandeln und Zapf gab
mir zu verstehen, daß wir unS niederlegen müßten, um verborgen zu
bleiben. Wir betteten uns ins hohe Gras und eS dauerte nicht lange:
Da erschien die schöne Hufschmiedin. Sie schnaufte laut vor Zorn, was
ihr nicht übel anstand und ZapfS Entzücken an seiner wohlbeleibten
Göttin nur erhöhte. Im Dickicht der Johannisbeerbüsche stand eine
Bank, auf der sich der schöne Gott mit ihr niederließ. Was sie nun
redeten, klang laut genug, daß wir eS verstanden. Die Hufschmiedin
grollte. Der schöne Gott beklagte sein Geschick, mehr noch die läppische
Gutmütigkeit des Hufschmiedes, dem nichts Besseres einfiel, als den
hergelaufenen Burschen in sein Haus aufzunehmen. „Der Bengel darf
nicht ins Haus!" schimpfte der Schöne. Die Hufschmiedin antwortete
mit verächtlichem Schweigen. Ihre Beharrlichkeit brachte ihn in die
Wolle. Er schwur ihr, keinen Tag länger mehr im Dorf zu bleiben,
die Schande von sich abzuwälzen. Da bekain eS die Hufschmiedin mit
der Angst und sie verlegte sich aufs Bitten. Aber der Schöne war
nicht zu erweichen und seufzte laut zu wiederholten Malen. Während
sich nun daS hübsche Paar unschlüssig herumstritt, rauschte eS neben
uns im Gebüsch. Der blondhaarige Gegenstand des Streites selbst
erschien und steuerte auf die Bank zu. Bei seinein Anblick erschrak die
Hufschmiedin so sehr in ihrer mütterlichen Seele, daß sie jede Fassung
verlor, den Bengel stürmisch umarmte, seine hübschen Züge mit denen
des Gottes verglich, seufzte und weinte. Dabei entfuhr ihr der holde
Name: Fritz. Der Bursche stand dem Gefühlsausbruch verständnislos,
beinahe kalt gegenüber und zögerte zwischen Verlegenheit und Angst
hin und her. Da er aus der Miene des schönen Gottes überdies nur
Abweisung für sich lesen konnte, die keines Wortes mehr bedurfte,
trollte er sich gleichgültig fort, die arme Hufschmiedin in heftigen
Anwandlungen zärtlicher Mutterverzweiflung hinterlassend. „Es iss
mein Fritz!" rief das Weib dein Schönen zornig ins Gesicht, „wissen
will ich, ob du den Mut hast, dem Schmied alles zu sagen — oder

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Anton Leidl: Götter in der Schenke
 
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