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J u G E

3 9. JAHRGANG

N D

1 9 3 4 / N R. 1 5

3d) will mich zum erstenmal in dem neuen
ArbeitSwinkel ans Werk begeben. Wir sind
umgezogen; daS Sommerhäuschen hatte zu
viel Rosen, jetzt Lst's ein kleiner Hof mit Kuh
und Pferd, in dem man mit alterworbenem
Sachverstand selbst anpacken und ZinS und
Brot herauswirtschaften wird.

Dennoch, der Schreibtisch bleibt die wich-
tigere Ecke im HauS und die Abendstunden
unter der Lampe sind freigebiger als die Zeit
auf den Koppeln. So begibt man sich, nicht
ohne Befangenheit, zum erstenmal im neuen
HauS ans Werk. Es ist, als muffe man sich
dabei selbst guten Segen wünschen oder mit
einem leisen Stoßgebet die Arbeit einweihen.

Draußen — noch sind die Läden offen —
ruht das Dämmern spät und tief über den
Feldern. Die Sterne sind noch nicht aufge-
wacht; nur der obere Rand der Abendwolke
leuchtet als einzige Bewegung, blnd der Wind
rauscht in den Linden; eS ist wie eine ewige
Brandung, die über daS HauS entlang rollt.

Das Licht der Lampe fällt in kreisrundem
Schein über den Schreibtisch, es fällt auf die
noch leere grüne Fläche, auf einige Stifte, auf

meine Hände, die sie ordnen und die doch noch
nicht zu beginnen wagen, abergläubisch war-
tend, daß draußen oder drinnen etwas geschähe,
was den Beginn der Arbeit erlaubt.' blnd ich
horche ins dunkle Zimmer, aus dessen Schatten
daS fahle Licht eines Bildes oder einer Bücher-
reihe zu mir niederfällt, ich horche auf einen
späten Vogel, der draußen in den Hecken dem
Licht nachruft, ich sehe dem alten Bauer nach,
der mit seiner Kuh längs der Dorfstraße
trottet, und horche wieder in den Wind, und
wage in wunderlichem Festgefühl nichts in den
hellen Schein der Lampe zu legen, kein Blatt
Papier, keines der kleinen Rotizblätter, auf
denen unvollendet die hingeworfenen Zeilen eines
Gedichtes stehen. Ich wage noch weniger die
fingerdicke Mappe mit dem Entwurf einer
großen Arbeit in diesen kreisrunden Lichtkegel
zu ziehen, der mich befangen macht. Ich spiele
lieber noch wartend mit dem Bleistift, ich lächle
über die Spiegelung im Knopf des Tinten-
löfcherS, der mir mich selbst und meine Hände
abenteuerlich lang Widerscheinen läßt; ich zeichne
kleine Striche über den Fuß der Lampe, ich
schiebe den Aschenbecher rechts, ich schiebe ihn

links, und immer noch ist eS, als fei eS nicht
die rechte Stunde, zu beginnen.

Es wird dunkler draußen; jetzt stehen drei
Sterne über dem erloschenen Wolkenrand.
Schwerer rollt der Wind durch die Wipfel
und hinter Wald und See entzünden sich einige
Fenster. Die Hügel buckeln sich hoher, eine
Eule streicht dick und plump vorüber, und am
Himmel ziehen kleine, blaßhelle Schatten wie
Gespensterschwärme über den Rand der unbe-
weglichen Abendwolke dahin.

Warum beginne ich nicht zu arbeiten? Was
hält mich ab? Ich fühle aber deutlich, mir
fehlt ein Zeichen, an das ich glaube, etwas
Schönes — vielleicht nur ein Seufzer, der
Gutes fügt, eine Hand, die sich unsichtbar über
meine faltet — oder was mag ich erwarten?
Mir ist feierlich zumute, als müsse ein Ruf aus
der Wolke kommen, oder als wolle einer der
Geister der Bilder über mir niedersteigen.

Dann, auf einmal war der Falter da. Ein
großes Rachtpfauenauge, irgendwoher auS-
gefchlüpft — vielleicht kam eS auch durch die
offene Tür — umhuscht die Lampe wie ein
Spuk, fällt nieder und hockt nun in wunder-

226
Register
Hans Friedrich Blunck: Umzug
Josef Sauer: Zeichnung ohne Titel
 
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