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J U G E

3 9. JAHRGANG

N D

1 9 3 4 / NR. 26

D, dieser Tage heimliches Entglühen,

Wenn Weg und Walt) und Wolke sich erhellen,
Die Vögel rufend durch den Himmel schnellen
Und auf der Erde duftend Gräser blühen.

.Ttim hebt der dunkle Ackerstrich daS Lid
Und schlägt den Blick der grünen Saaten auf,
Die Grillen seufzen und der Sonnenknauf
Hängt weiß und golden über Bach und Ried.

Die Wellen ziehen glänzend ihre Lahn
klnd haben alles tausendfach gewahrt,

Der Bäume Grünen und der Wolken Fahrt,
klnd fangen immer neu zu schauen an.

H. Rusch

Marius fährt die Madonna

Lrzählung aus dem Stubai von Rudolf Kreutzer, Dorfen

Dominikus Trenkwalder, Meister der Schnitzkunst zu Reustift ini
Stubai, faltete lind siegelte ein Schreiben an die ehrwürdigen Schwestern
vom Herzen Jesu in Hall: Da Wunsch und Auftrag, der an ihn er-
gangen, die Schaffung einer Madonna mit dem Jesuskinde fei, in Holz
geschnitzt und fein bemalt, auch nicht zu gering von Ausmaßen, an-
sonsten aber die frommen Schwestern ihm keinerlei Bedingnisie auf-
erlegt, vielmehr die Ausführung ihres Auftrages feiner künstlerischen
Eingebung und göttlichen Begnadung überlassen hätten, so habe er sich
bedacht, die heilige GorteSgebärerin nicht wie in seinen bisherigen Schöp-
fungen als die Ätutter der sieben Schmerzen zu gestalten, sondern als
die holdselige Jungfrau und geistliche Rose der lauretanischen Litanei.
Ob eS seinen schwachen Menschenhänden gelungen, dem Geiste dieser
Eingebung nahezukommen, das zu befinden, stelle er bescheiden in daS
Wohlmeinen der frommen Schwestern.

Des Meisters Altgeselle MariuS hatte indessen den Braunen ge-
schirrt, die Wagenplanken mit Heu auSgepolstert und das Madonnen-
bildnis sorgsam dareingebettet. Am Wagensih empfing er des Meisters

Sendschreiben samt guten Ratschlägen für die Fahrt und nahm Abschied
t on seinem Herrn.

Es ist ein achtsames Fahren im Frühjahr, wenn der Föhn zu fegen
beginnt. Berge belauern das Tal und stets am Sprunge dräuen Lahn
und Muhr. Lei Fulpmes, wo das Tal sich weitet, waren die Hänge
schon aper und von KrokuS und Primeln bestanden. Frühlingsgewölk
stieg über den finsteren Hager und die Silberferner des Freigers und des
Wilden Pfaff.

Hinter einem fast erklommenen Bühel stach nadelspitz der halbe Kirch-
turm des Ortes Telfes in die flimmernde Luft. MariuS stieg vom
Wagen und ließ den Braunen schnaubend und mit gelegten Ohren die
letzte Steile überwinden.

Unter der Türe deö Widums, schräg gegenüber der Kirchhofniauer,
die dem tapferen Bergsträßlein entgegenspringt wie eine ungeschlachte
Felspranke, stand der greise Kurat barhäuptig und in frommer Er-
wartung. Der trat zum Wagen und beugte in Demut und seliger
Gottesbereitschaft den silbernen Scheitel vor dem lächelnden Gottessöhn-
lein und seiner jungfräulichen Mutter. Dann, indes der Braune rast-
vergnügt an den verfrühten Halmen knapperte, die da und dort aus
den Ritzen des zerbröckelten Gemäuers lugten, betastete er den edlen,
wie von einem leisen Lüftlein belebten Fall deS Faltenwurfes; strich
mit scheuen, behutsamen Fingern liebkosend über Mariä taubenmilde,
schmalgliedrige Hände, aus deren einer hold und unirdifch rvie ein
Wunder Gottes eine dtinkle Rose blühte; ward verwirrt in der Tiefe
seines gottgetroffenen Herzens von der Süße ihres Frauenlächelns, das
daS Jesuskind mit kleinen, fingernden Händlern empfing.

Hinter TelfeS, wo das Sträßchen sanft zu fallen beginnt, besann sich
der Braune zu leichtem Trab. Lärchemvälder stiegen hoch, umweht von
einem Duft nach Frühling und Harz, geheimnisvoll umfchleiert von
einer Ahnung lverdenden Grüns. Hämmerten Spechte? Leise Iorftc der
Gagetzer.

MariuS geriet ins Sinnieren: Die staunenden Augen des Kuraten
fielen ihm ein, das Zittern seiner welken Hände und seine Demut vor-
der Gottbegnadetheit der Kunst des Trenkwalder. Kunst ist Inbrunst in
Gott, so fühlte er, und nur der Fromme leidet die Begnadung.

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Register
Rudolf Kreutzer: Marius fährt die Madonna
Karl Wolf: Illustration zum Text "Marius fährt die Madonna"
 
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