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Aber trotz frommem Sinn und christlich Wollen: wie Nepelbrand :jt
die Versuchung und allzeit gegenwärtig der Verführer. So mochte eö
geschehen, daß kurz vor dem Dorfe MutterS ein höllischer Unhold auf
den Wagen sprang, dem Fuhrmann in die Zügel fiel und sich vermaß,
die Mutter Gottes selbst zu fahren. Geradewegs ins Wirtshaus zum
„Goldenen Lamm".

Besser wie Wasser schmeckt gelber Terlaner und weißes Brot, in
Salz getunkt, ist Hungernden gute Wegzehrung. 3n der Gaststube sprach
Marius spärliche Worte mit der HauSmagd, äugte dann und wann
durchs Fenster nach dem Braunen, kraulte einen zottigen, schwarzen
Hund, der ihn zutraulich betatzte. Ward jäh auS Gedanken gerissen, als
plötzlich die Türe ging und einer über die Schwelle trat, höhnisches
Lachen im pockennarbigen Gesicht, mit schütterem Haar und den Augen
des Widersachers. War der Pecher Andres aus LuimeS, der „Schächer",
wie ihn das Talvolk nannte, und des TrenkwalderS grimmer Hager
seit dem Tage, an dem des Schnitzers junger Ruhm zu strahlen anhub.
OaS war, als Trenkwalder vor Jahren seinen Erstling, die berühmte
Kreuzigung, in der Pfarrkirche zu TelseS ausstellte und es sich offen-
bar: e, daß der Meister für den linken, unbußsertigen Schächer dein
Pecher Andres das Gesicht gestohlen hatte. —

Den sendet der Böse, fühlte MariuS, und ahnte mit fiebernden
Sinnen: Schicksal kam wie eine dunkle Wolke herein, roch nach Schuld
und Verhängnis, lauerte mit sehnengespannten Bogen aus allen Ecken
und Stubenwinkeln.

Schon höhnten Worte, spitz wie Jmpenangeln, vom Ofentisch her-
über an MariuS Ohr. Der empfing sie, die Faust am Weinkrug ver-
krampft, mit verbissenen Zähnen, wie schildgeschützt noch durch die
Kraft verachtender Beherrschtheit. Die HauSmagd, ein lüsternes Weibs-
stück, kam mit weingefülltem Kruge herein, warf verschleierte Blicke
nach MariuS, lobte mit geschwätziger Zunge des TrenkwalderS Madonna.

War der höllische Unhold, der Wagenteusel, im Spiele, daß bei den!
Namen der Madonna hämisches Lachen der Seelerschrockenen in die
Rede fuhr, daß der am Osentische sich vermaß, sogar die Gottesmutter
mit Lästerung und Unflat zu bespeien?

Die Magd, sündgeängstigt, wie in Abwehr der Verworfenheit des
Pecher, schlug mit hastigen, erschrockenen Fingern dreimal das Kreuz
um Stirne und Brust. Höllische Flüsterung im Ohr, den Schächer mit
Schimpf an der Madonna zu vergelten, geiferte der Pecher Worte,
nicht auszusprechen in ihrer hämischen Verruchtheit.

MariuS, zorngewürgt, vom Pfeil deS Schicksals schon getroffen, sah
nicht, daß der Teufel die Karten mischte, dem Schächer die Trümpfe in
die Hand schob: auf sprang er, den irdenen Weinkrug in der wurf-
bereiten Faust, aus heiserer Kehle Drohung und Frage stoßend:
„Elender, du lästerst die Madonna!?"

Da zischte eö dem Grimmerbleichten wie Natternzüngeln ins Gesicht:

„Die Madonna? Des TrenkwalderS Madonna? Sie ist ein Weib,
das er beschlasen!"

Rascher als Worte zu eilen vermögen, vollzieht sich das Verhängnis:
Aufsplitterte der tönerne Krug, von der Hand des Rasenden geschleudert.
Schmerzgeheul durchgellte die Stube, Blut schwamm am Boden und
mischte sich mit Wein. MariuS, wie aus weiter Ferne, hörte beten. Es
war die Magd, die neben dein Toten kauerte. —

-t-

Schon schimmerten Sterne am erloschenen Abendhimmel, als
Marius' Wagen durch die winkeligen Gassen des Haller Städtchens
holperte. Rostig schrillte der Klingelstrang der Klosterpforte. An der
Schwelle stand MariuS und wartete.

Er trug die Madonna: behutsam und in demütig gebreiteten Armen
wie eine schlafende Frau.

Illustriert von Karl Wolf

ütabonua auf

Kleine Stadt meiner Jugend!

Dein Brunnen immer noch rauscht,

Ach ich hab in der Fremde
Oft deiner Stimmen gelauscht.

Wieder durchirr ich die Gassen,

Mein Herz ist so müd und so wund,

Und die Kinder spielen am Brunnen
Kennt mich kein Mensch mehr, kein Hund.
Kleine Marie an der Brücke!

Nickst mir so traulich zu —

Hat mich die Heimat vergessen,

Kanntest mich doch noch du!

der Brücke

Und mir ist’s als ob leise —

Süße Madonna aus Stein —-
Leise du, mütterlich lächelst,

All meiner Not, meiner Pein —
Bin ich dein Kind doch geblieben,
Trotz aller Sünden und Qual...
Süße Marie auf der Brücke!
Lächle mir noch einmal.

Aus deinem bitteren Lächeln,

Mir Trost zu sterben entblüht,
Und dein weinendes Lächeln
Nimm in die Fremde ich mit.

Mit meinen Schmerzen und Stunden
Leis nun Maria geht — — —
Rausche, mein Brunnen verrausche
Mein armes Kindergebet.

Jacob Haringer

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Register
Karl Wolf: Illustrationen zum Text "Marius fährt die Madonna"
(Johann) Jakob Haringer: Madonna auf der Brücke
 
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