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J U G E

3 9. JAHRGANG

D

N R. 2 8

ABRAXAS

oder

Man kann nie wissen!

VON MAX MEZGER

„Liebes Kind — ich weiß, du
meinst eS ja sooo gut —, aber
könntest du nicht warten, bis ich
die Abhandlung über die Folge-
richtigkeit des Unbewußten zu
Ende-?"

„Ouatsch", sagte Frau Inge-
borg blhlenkainp, „abgestaubt
muß werden, sonst segst du in
deiner folgerichtigen blnbewußt-
heit den Staub mit den Fingern
weg und putzst sie dann an der
grauen Flanellhose ab!"

Mit der Unbestechlichkeit blon-
der Schicksale stellte Frau Inge-
borg auf dem Schreibtisch ihres
Mannes jene keiinsreie Ordnung
her, die aus embryonale Ideen lvie Flyt auf
Fliegen wirkt. Sie schob die scheinbar zerstreut
umherliegenden Manuskriptseiten ohne Rück-
sicht auf die Reihenfolge ineinander, stieß den
Packen an den Kanten aus, so daß die Blätter
genau übereinander zu liegen kamen, klappte
die Nachschlagewerke, ohne Merkzeichen hin-
einzulegen, zu, türmte die Bände aus das
Manuskript, fuhr mit dem Mischtuch über
Tischplatte und Schreibgerät, wobei die Spitze
des Bleistifts abbrach, stieß mit dem Staub-
pinsel in die Schreibmaschine, was dein ohne-
dies revolutionär gesinnten Farbband zur Locke-
rung seiner gesetzmäßigen Verhaftung half,
gab Wolf-Dietrich einen Kuß und rief strah-
lend: „So, Männe — jetzt kannst du

arbeiten!"

Männe lächelte mit der geküßten Gesichts-
hälfte, lvie standhafte Männer zu lächeln
pflegen, wenn der Zahnarzt frägt, ob das
Bohren lveh tue, und schielte mit der unge-
küßten nach der blhr am linken Handgelenk.
Wenn Ingeborg ihn jetzt endlich freigab,
konnte er — die Wiederaufbauzeit an dem
zum Niemandsland gewordenen Schreibtisch
miteingerechnet — bis Mittag-.

„Was is'n das?" fragte Inge, die in-
zwischen unter den Postsachen und Zeitungen
gekrault hatte.

„WaS denn — Liebling — ich kann ja nicht
wissen, was du meinst?"

„Hahahaha-A—bra—xas! So'n

Blödsinn! Nein, lvaS die Menschen sich heut-
zutage für Schlvindeleien ausdenken! Und da-
zu noch eine Gräfin, die ihren Namen zu so
'nein Muinpitz hergibt!"

„Inge, Inge!-willst du mir nicht

endlich sagen — — oder lieber später-

bitte, Liebling — —"

Hut ab!

Jetzt kommt der frische Wind,
Springt an mir in die Ilöh.

Er tobt wie ein gesundes Kind
Und wirbelt auf 'den See.

Kopf hoch!

Er macht die Backen rot
Und tötet Grillen schnell,

Hei, blase, wüte immerzu,

Du trotziger Gesell.

Herz auf!

Und Luft für neue Tal!

Schnell weg den alten Kram!

Viel besser ist, als guter Rat
Der Wind, der heute kam.

Fritz Gundermann

„Nein, daS mußt du unbedingt lesen,
Dieter!" Frau Ingeborg hielt ihm mit der
rechten Hand einen Stoß hellgrün-hofsnungS-
farbiger Drucksachen-Blätter vor die Augen,
lvährend sie mit der linken einen winzigen
Gegenstand an goldenem Kettchen iin Kreis
herumwirbelte. Auch ein handgeschriebener Brief
war unter den Blättern. Als Wolf-Dietrich
einsah, daß die Anerkennung seines Rechts auf
Arbeit noch im weiten Felde lag, las er zu-
erst die Unterschrift des Briefes: „Maria
Gräfin Plattenberg." Briefe von Gräfinnen
lesen Männer immer. Er lautete folgender-
n laßen:

„Meister!-Inliegend übermitteln wir

Ihnen vertrauensvoll ein in seiner Wunder-
kraft unübertreffliches Stück: das berühmte
Symbol ,Abraxas, den Träger erstaunlicher
Möglichkeiten für das Wohlergehen seines Be-
sitzers. Immer mehr Prominente unseres Wirt-

schaftslebens und unserer Geistes-
aristokratie, vor allem Denker
lvie Sie, verwenden das Sym-
bol ,Abraras*. Lesen Sie bitte
die Einzelheiten darüber! Nur
auSgelvählte Namen erhalten
das Zeichen und lvir verfolgen
jedes einzelne in Gedanken und
heften unsere Seelenkraft daran,
damit sie sich zu der Ihren fügen
illöge, um Gutes zu schaffen.
Vereinte Kräfte bringen Glück
— auch Ihnen, Meister, jetzt
und über das neue Jahr hinaus!
Glauben Sie an ,Abraxas* un)
lveisen Sie es nicht zurück. Sie
lverden seine zwingende Kraft
bald fühlen.

Ntaria Gräfin Plattenberg."

Bold Die Anrede „Meister" und

die selbstverständliche Einreihung
unter die „namhaften Denker"
hatte immerhin zur Folge, daß Dr. blhlenkamp
nun auch die hofsnungSgrünen Druckblätter las,
die eine Art Eintopfgericht der mystischen Kul-
ten aller Zeiten darstellten, zusanimengekocht
auS Zoroaster, Buddha, Osiris, Rudolf Steiner
und Graf Keyserling. Zum Schluß fiel ihm ein
unscheinbarer Zettel in die Hand, worauf ganz
klein gedruckt stand, daß das Symbol aus
Stierhaut geschnitten sei und RM. 2.do frei
Haus koste. Wo Diot sei, die sich ja jetzt hinter
manchein guten Flamen verberge, solle auch
eine geringere Entschädigung genügen. Wer je-
doch das Symbol ohne je2e Vergütung be-
halte, der habe sich die unabsehbaren Folgen
selbst zuzuschreiben!

„Laß mal sehen", sagte Dieter und hascble
das Symbol, mit dem Inge immer noch spielte.
Es bestand aus drei kleinen, rautenförmig zu-
geschnittenen, korallenrot gefärbten und go.'d-
bedruckten Pergamentblättchen, die, von einem
Ring zusammengesaßt, an einer überaus zier-
lichen Goldkette hingen.

„Eigentlich ist es reizend", sagte Ingeborg.
„Ein Krokodil ist darauf, eine Schlange, ein
Mann mit einem Vogel köpf, der eine Peitsche
und einen Schild hält —. Wie merkwürdig

das alles ist-es riecht ganz eigentümlich

— — wonach nur?"

„Nach dem, der es kauft — nach Rind-
vieh!" grunzte Dieter und schob ihr den
Zettel hin.

„WaS?" rief Inge, nachdem sie gelejen
hatte, „Zwei Mark achtzig! So ein Dreck!
Die Gräfin hat wohl 'n Vogel! Dafür kann
ick mir gerade meine besohlten Schuhe vom
Schuster holen!"

Respektlos spielte sie Fangball mit dem
„Träger erstaunlicher Möglichkeiten", während
Wolf-Dieter die Finger nach der Schreib-

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Register
Max Mezger: Abraxas oder Man kann nie wissen!
Fritz Gundermann: Windlied
Bold (Bolt): Federspiel
 
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