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Maschine zückte. Dann laö sie den Zettel noch
einmal.

„Du Männe-da steht doch-"

„Aber Liebling, ich hab's ja schon gelesen!
Nimm den Kram und mach damit, waS du
willst — ja? Sei lieb und geh jetzt."

Er war aufgesprungen, legte den Arm um
ihre Schultern und schob sie der Türe zu.
Jngeborg machte sich schwer, stemmte den
Rücken gegen seine Brust, bog den Kopf in
den Nacken und biß ihn ins Ohr, was ihn im
siebten Jahr seiner Ehe noch genau so ver-
wirrte, wie im ersten.

„Na also", sagte sie, nachdem die Folge-
richtigkeit des Unbewußten in einer bestimmten
Anzahl Küsse ihren traditionellen Ablauf ge-
nonunen hatte. „Da steht doch, daß, wenn
Not sich hinter einem guten Namen verbirgt,
dann bekommt man S billiger. Das paßt doch
fabelhaft auf uns — nicht, Männe?"

„Das weiß der Himmel", seufzte Dieter.

„Weißt du, was ich tue?"

„Nein", schrie der inzwischen wieder ,be-
wußt* gewordene Dieter, „ich wills auch gar
nicht wissen. Hol der Teufel Abraxas, die
Gräfin und dich dazu!" Damit schob er Inge
endgültig auS dem Zimmer und knallte die
Türe hinter ihr zu, — die sich aber sofort
wieder öffnete. „Ich schicke eine Mark, Dieter,
nicht? Ui7d wenn AbraraS uns Glück bringt,
zahle ich noch eine Mark achtzig nach — aber
dann muß es schon ein richtiges Glück sein —
zum Beispiel-"

„3a, ja, ja — — kauf dein Glück auf
Stottern oder wirf es in den Müllkasten —
Ruhe will ich haben!" Ein Lexikon flog gegen
die Türe und das blonde Schicksal nahm
seinen Lauf.

Jetzt und über das neue Jahr hinaus sollte
„Abraxas" Glück bringen — so stand in dem
Brief der Gräfin zu lesen. Nun, wenn unter
„jetzt" die laufende Woche zu verstehen war,
dann hatte Abraxas offenbar noch nicht Zeit
gehabt, sich zu aklimatisieren. Die Abhandlung
über die Folgerichtigkeit des Unbewußten
wurde nicht rechtzeitig fertig und mußte zurück-
gelegt werden, da die nächsten Nummern der
„Philosophischen Rundschau" bereits besetzt
waren. Aber auch in der folgenden Woche schien
Abraxas noch zu fremdln. Der Verleger zog
den bereits bestimmt zugesagten Auftrag auf ein
größeres Werk zurück, für welches Dr. Uhlen-
kamp jahrelange Vorstudien gemacht hatte. Es
passe nicht mehr in den durch die Weltkrise
veränderten „Rahmen des Verlags". Ach, da
war er wieder, der gespenstische Rahmen deS
Verlags, der — so wollte eS Wolf-Dietrich
jetzt scheinen — sich gleich dem biblischen Nadel-
öhr den Reichen im Geiste verschloß, um lieber
die Kamele passieren zu lassen. Aber auch in
den nächsten zwölf Wochen taute Abraxas noch
nicht auf: die Wasserleitung fror ein und
platzte — der Gerichtsvollzieher holte das
Klavier, gerade als es neu gestimmt war —,
die Redakteure der Zeitschriften schrieben ihre
Artikel selbst und der Rundfunk sendete nur

noch Schallplatten. Glück war für Dieter und
Inge etwas so Fernliegendes geworden, daß
keines von ihnen das Wort mehr aussprach,
und die Zeiten scherzhafter Hoffnung auf
Abraxas waren tief ins Unbewußte zurück-
gesunken .. .

Als der Frühlingssturm den Schnee von den
Krokusknospen im Garten fegte, war es bei
Uhlenkamps so weit, daß sie sich anschickten,
ihr reizendes Dichterheim mit dem Strohdach,
inmitten des mit so vieler Mühe gepflegten
Gartens, an fremde Leute zu vermieten nnd
selbst in eine trostlose Einzimmerwohnung nach
Berlin-^O zu ziehen. Verzweiflung im Her-
zen, räumte Jngeborg ihre Schubladen und
Schränke aus. Sie leerte die Schale auf ihrem
Toilettentisch: Glasperlenschnüre, Straßen-

Spangen, falscher Bernstein und echtes Zellu-
loid — wertloser Tand — der gute Schmuck
hatte sich ja schon längst in uneinlösbare
Pfandscheine verwandelt. Und doch hing noch
das Glitzern froher Stunden an dem bunten
Zeug, dessen billiger Glanz im Schimmer ihrer
Tränen wie Juwelen leuchtete. Etwas fiel zu
Boden. Inge bückte sich und hob drei korallen-
rote, goldbedruckte Blättchen auf, die an einer
dünnen Goldkette hingen: „Abraxas", daö

Glückssymbol. Inge legte den Kopf auf die
Arme und schluchzte, daß ihr fast daS Herz
brach. Plötzlich stand sie auf und blickte starr
vor sich hin. Dann umklammerte sie hart das
zierliche Ding und ging damit zu ihrem Mann.

„Ich bin an allem schuld, Dieter!" Leise

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Anton Machek: Der Heimgarten
 
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