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3 9. JAHRGANG

1 9 3 4 / N R. 29

DEM KOCH SEIN BEIN

VON WILHELM AUFFERMANN


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„Hier ist der Haken!" meldete sich der Segelmeister und befühlte die
Spitze des gebogenen, fingerdicken Eisens. „Scharf wie eine Nähnadel!"
Befestigte den Haken an einer langen Talje.

Die von Sonne und Wetter dunkel gefärbten Gesichter lvurden ab-
wechselnd rot und blaß wie Leuchtfeuer.

„Ein Tau würde auch genügen", murinelte der jüngste Dunw, der
es nicht erwarten konnte, bis die Drahttalje festsaß.

„Ouatschkopp", meldete sich da wieder der hinkende Koch, „daS beißt
das AaS durch wie Spargel", und er spießte ein großes Stück ver-
dorbenes Schweinefleisch von gut fünf Pfund Gewicht an den Haken.

Weit beugten sich die Köpfe über die Reeling, als der gespickte Haken
abwärtsslitschte. Der Koch hatte trotz seiner Schwere und deS
fehlenden Beines das Tauwerk des BefanmasteS erklommen.
Seine Äuglein leuchteten vor Rachedurst.

Die Lockspeise tauchte auf, tauchte ab. Schwamm durch die
Bewegung des Schiffes auf der Oberfläche des Wassers. Aber
kein Hai war zu sehen. Hatte wohl noch mit dem Holzbein zu
tun. Erst nach fünf Minuten atemloser Stille zeigte sich wieder
die Flossensichel des Raubfisches. Näherte sich langsam dem
Köder. Zog aber bedächtig vorbei. Ging in die Wicken.

Eine Skala säintlicher existierender Flüche hüpfte über die


/////



^ ls Hein Pütt, der alte Küchenheld vom Skagerrak,
über die Reeling spucken lvollte, bemerkte er
hinter dem Bug einen hungrigen Hai. Boshaft,
wie alle fetten Köche sind, spuckte er sein Priem-
chen der Bestie direkt ins Auge. Sagte „Ser-
vus" und drückte sich hämisch mit der Linken
die Rechte. Beugte sich weit vor. Da verlor er
plötzlich daS Gleichgewicht. Klatschte wie ein
Explosivgeschoß ins Wasser.

„Mann über Bord!"

DaS Ruder flog herum. Selbst der Skipper
lief aus dem Häuschen und ließ die ewige Flöte
im Stich. Denn Hein Pütt ist Pütt, besonders wenn er Bohnen
schmort. Im Nu lvar ein Boot klar.

Tatsächlich konnten sie Pütt noch erwischen. Als sie ihn hochhievten,
fehlte aber schon ein Bein. „Verdammt!" Der Hai hatte ihn geeicht.

„Pütt, lebst du noch?" schrie ihm der Skipper ins Ohr.

„Ein wenig", stöhnte Pütt, „es war nur das Holzbein!"

Die ganze Mannschaft kämpfte mit Erschütterung, die sich durch Ge-
lächter Luft zu machen drohte: welch ein komischer Anblick, eine dicke
Kugel nur noch auf einer schwachen Säule! Sie gratulierten ihm trotzdem.

„Sucht den Haken, ihr Schafsnasen", brüllte der Koch statt aller
Antwort und hüpfte einbeinig in die Kambüse um Fleisch. Wollte nicht
schlapp machen.

Einige Augenblicke später war die gesamte Mannschaft achtern ver-
sammelt. Der Zimmermann, Bootsmann, Donkevmann und andere
-mann, -mann der Nobelgarde. Vom Deckarbeiter ersten Grades bis zum
BumS vierter Ordnung. Weder aus Liebe noch für Geld wäre ein Zoll
breit Verschanzung zu haben gewesen. Nicht die schmälste Ritze.

Lippen der Matrosen. Dann war eS wieder still. Totenstille. Nur
Schweiß tropfte ununterbrochen vom Besanmast. DaS war der
lauernde Pütt, der sein Bein wieder haben lvollte.

Der Hai hatte nochmals Kehrt gemacht. Kam vorsichtig zurück, um
sich an dem Hautgout, dem delikaten Geruch des verdorbenen Fleisches,
zu ergötzen. Stieß mit der Schaufelnase den Köder hin und her. Legte
sich zurück, zeigte die hellere Farbe des Bauches. Hatte das Fleisch gefaßt.

„Zieht!" stöhnte es lvütend im Besanmast, „oder soll euch erst der
Teufel den Hintern kratzen!"

„HaltS Maul, Dickwanst! Er saugt ja nur!" tuschelte der Segel-
meister zurück.

Gierig schlürfte der Hai am Fleischbrocken — und verschlang ihn.

Da erst zog mit plötzlichem Ruck der Segelmeister den Haken an. Der
Haken saß. Saß tief im Schlund. Alles sprang zur Seite. Ramm,
ramm, ramm! sauste die Taje in die Tiefe, spann sich ab wie ein
Bindfaden.

Abgelausen, schleuderte sie mit gewaltsamem Ruck die Bestie ivieder
empor. Die Barke schaukelte wie ein Holzschuh.

Beifallsgeschrei. „Jungs, holt fast!" schrie auS dem Besanmast der
Koch und vermischte die Schweißtropfen mit Tränen der Freude. Wagte
sich aber noch nicht aufs VerDeck.

Der Fisch krümmte sich, peitschte das Wasser zu Wogen. Die Hände
der Matrosen lvurden heiß. Wurden blasig. Die Blasen platzten. Draus-
gespuckt und angezogen. Weiter! Zoll für Zoll!

Erst nach zehn Minuten lvar der Hai erschöpft. Schoß lvütende
Blicke in die Höhe. Eine Schlinge aus starkem Tau lvurde an der
Talje hinuntergelassen, über des Tieres Kopf gezogen und an der
Schwanzflosse geschlossen.

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Wilhelm Auffermann: Dem Koch sein Bein
Rubey: Illustration zum Text "Dem Koch sein Bein"
 
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