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Spitzweg t

Wo brennts?

Ls brennt

Das ist ein Licht, potz Wetter!

Wie beim Oktoberfest . . .
Nachbarin, Bas', 4err Vetter
es brennt — wo ist der Retter . . .-
Einschlafen war das Best'.

Graf Pocci 1862

„Erlauben Sie einmal," hüstelte der Schilfrat, „zumindest
sehr entfernte Verwandschaft. Wer die uralten Traditionen
in meiner Familie kennt, weiß zur Genüge, daß wir diese
äh am . .. ähäm Unsraulichkeiten nie gebilligt haben ....
Genau so, wie wir eS nie verstanden, wenn oben bei den
Menschen sich die jungen Mädchen so anmalten und noch
dazu ganz öffentlich rauchten . . ."

„Jawohl, lvir müssen auf die Moral sehen!", rief die
Frau Oberschlamminspektor. „So kann das nicht weiter
gehen. Wir erfahrenen Frauen sind dazu berufen, Sachwal-
terinnen der Heranwachsenden weiblichen Jugend zu bleiben
und ich schlage vor, jetzt auf der Stelle einen Teichbund
für die Erhaltung der Moral bei den weiblichen Jungfischen
zu gründen, der ganz feste Lebensformen zeigt, diesen jungen
unbedachten Dingern die Länge der Flossen und streng darauf
achtet, daß sie sich bescheiden und gesittet benehmen. Jeder
von uns soll im ganzen Teiche Mitglieder für den neuen
Bund werben. Reichen Sie mir ihre Flossen und schwimmen
Sie hinaus, damit sich dieser unerträgliche Zustand recht
bald bessere. Lassen Sie.mich Ihre Vorsitzende sein, der Herr
Schilfrat mag die Kasse verwalten und die Frau Ober-
schlamminspektor Aal mag Richtlinien für das Benehmen
der Jugend zu Papier bringen. Das geschah an einem
sehönen Maimittag, Und wirklich, eS gab genug alte Aale,
.Karauschen, Bitterlinge und Kaulbarsche beiderlei Ge-
schlechts, die willig dem Bund beitraten.

Zehn Tage drauf fand schon die erste große öffentliche
Kundgebung statt, zu der sogar der Herr Jungfischverwer-
tungSkommissar Hecht sein Erscheinen zugesagt hatte. Na-
türlich hielt die Frau Oberschlamminspektor Aal das Referat
und rief alle Strafen des Himmels wie Angelhaken und
Senknetz auf die morallose Jugend deö Teiches herab. Die
Bitterlinge, Kaulbarsche, Aale und Karauschen wedelten
mit allen Flossen sreudigst Beifall.

Selbst der alte Uservorsteher von Barsch, den sie alle
ivegen seines großen Mundwerks sonst garnicht gern moch-
ten, machte mit seinen scharfen Kiefern höchst zustimmende
schnappende Bewegungen. Nur der Herr Jungfischverwer-
tungskommissar Hecht verhielt sich merkwürdig schweigend.
Es ging ein lebhaftes Flossenzittern durch die ganze Fisch-
gesellschast, als er auf einmal mit einer Brustflossenibewegung
andeutete, er wolle sprechen. Dann stand er über einem
Wasserpestbusch und alle andern blieben von ihm in respekt-
voller Entfernung. Der Herr Jungfischverrvertungskom-
mistar jedoch begann: „Es gibt junge Fische und eS gibt
alte Fische. Die Alten sollten die Erfahreneren sein . . ."

„Bravo!", ries der Schilfrat Karausche . . .

„Warten Sie doch erst ab, waö er sagen will", meinte
die Frau Oberteichbodeninspizient Schlammbeißer und treten
Sie mir ein wenig von Ihrer geschützten Ecke ab, man
weiß nie, wie weit so ein Hecht das Maul aufsperrt . . ."

„Wenn die alten Fische so erfahren sind, wie sie immer
tun", fuhr der alte Hecht fort, „dann müßten -sie wissen,
daß sie es in ihrer Jugend auch nicht bester getrieben
haben . . . ."

„Oho, oho", rief die Frau Oberschlamminspektor Aal und
schickte sich doch vorsichtshalber an, ein wenig in den
Schlamm zu kriechen . . .

„Meine Rede ist stets kurz und bündig gewesen", schloß
der JungsischverwertungSkommissar. . ., „ich spreche wohl
auch verständlich genug. Man soll der Jugend die Jugend
lasten und auch die Torheit und darf ihr keine Vorschriften
machen, wie lang sie sich die Flossen wachsen lassen soll. . .
Wem sie über das Ziel hinaus wachsen, wird schon am besten
selbst merken, daß man nicht ungestraft zu schnell schwimmt
und zu hoch springt. Selbsterkenntnis ist bester als alle mo-
ralinsaure Rederei alter verpimpilter Tanten und gicht-
brüchiger Greise . . . ."

„Unverschämtheit", rief der Schilfrat Karausche . . . ."
„Aushören!!", keifte die Oberteichbodeninspizientin Schlamm-
beißer, die längst ihre „moralischen Richtlinien für die junge

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Carl Spitzweg: Wo brennts?
Franz Graf v. Pocci: Es brennt
 
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