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J u G E

3 9. JAHRGANG

D

19 3 4

N R. 3 9

Oer Zecher im Grab

VON GEORG SCHWARZ

Mit Origin. Bleischnitten
von Otto Nückel

Anna, die „Bären"rvirti'n, steigt ans den Stuhl und rückt den Zeiger
der Schlaguhr auf „DTeun"; Der Schall der Turmglocke schwingt durch
die offene Tür in die Wirtsstube — da tritt der erste Abendgast ein.
Es ist der Frieder mit seinen verstümmelten Füßen, der zornig schnaufend
an seinen JAatz humpelt. „Einen J)fiss Alten", verlangt er laut, „damit
ich meinen Ärger hinunterschlucke." Anna schwingt den Zinnkrug überm
Schanktisch und füllt ihm sein GlaS. „Wo sehlt's, Frieder?" fragt sie
ruhig und hängt ihm nebenbei seine Kappe, die er im blnmut wegge-
worfen hat, an den Wandhaken. „Seit meinem klnsall im Steinbruch",
legt Frieder zornig loS lind schaut dabei auf seine verstümmelten Füße,
„Hab' ich mich nicht mehr so geärgert wie heute! Mit einem Wort: Die
Weiber sind respektlos! Pardon! Du bist auch eine. Aber die ich meine,
hat den Teufel im Leib, die könnt' mich zmu Totschläger machen. Guten
Abend, Hermann! Grüß Gott!" Der junge „Bären"ivirt kommt gerade
aus der Metzig, die er nebenan führt, legt seinen blutigen Schlachtschurz
ab und tritt neugierig an den Tisch.

„Der Frieder hat heut wieder seinen Tag!" sagt die Frau und sucht
nach einer Nadel im Nähkorb. „Da braucht einer nicht seinen Tag zu
haben und regt sich doch auf, wenn er eine Seel im Leib hat", poltert
Frieder los. „Was gibt's denn?" fragt der junge Wirt in gemütlichem
Ton, „hat dich ein Schandenmaul verlästert oder bist du mit einer vor
Gericht gestanden?" „Das hält' noch gefehlt", lacht der Frieder bissig,
„ich bin auf der Hut!. Aber — dem toten HanSjorg sein Weib, daS von
Tag zu Tag bissiger wird aus dem Witwenstroh, hat mir Feuer gemacht.
Wenn man's recht ansieht, geht's mich vielleicht gar nichts an. Aller-
es geht ums Andenken an den seligen HanSjorg, um den schuldigen
Respekt vor dem verstorbenen Ehmann-? Da kommen an Ostern ihre
Dotenkinder zu ihr ins HauS, lvie's der Brauch ist, und wollen ihr
Osterhäsle holen, klopfen an die Tür und ans Fenster, aber niemand
macht aus. So ein Weib ist umsonst auf der Welt, die kein Herz hat
für Kinder und keine Freude dran hat, ihnen das Osterhäsle zu verstecken.
Das hätt' der HanSjorg nicht erleben dürfen! Aber man weiß ja, wer
sie ist und wie sie dem HanSjorg daS Leben sauer gemacht hat. Sie macht
ihm noch Schand' im Grab!"

„Das hat er nicht um sie verdient!" sagt die „ Bären"wirtin. Da
erscheinen zwei neue Gäste an der Tür. Gutmütig scherzend schlägt der
eine dem andern mit der schweren Hand auf die Schulter, daß eine

weiße Staubwolke ausraucht. „Ncatthes!" lacht der Gutgelaunte, „von
dem Mehl, das aus deinem alten Kittel stäubt, können die Armen-
häusler Krapfen backen!" „Grüß Gott! Gottlob und Ncatthes! sagt
Hermann laut und bietet den Gästen einen ^Aatz an. „Alten roten wie
immer?" fragt Anna. Matches nickt. „Was macht denn d e r für ein
Gesicht?" sagt Gottlob lachend und stößt den Frieder am Arm. „Hast
du Spinnen gevespert auf den Abend oder einen stachligen ^gel ver-
schluckt, Frieder?"

Frieder trinkt, macht ein saueres Gesicht und sagt: „Beides nicht.
Aber —' ein altes Weib würgt mich im Hals!"

„Dann nimm einen Schluck Jungfernblut! Der vertreibt s , ermun-
tert ihn Matches und schiebt ihm sein volles Glas zu.

Anna hat sich wieder an den Tisch gesetzt und nimmt für Frieder das
Wort. „Man kann S verstehn", sagt sie, „daß sich der Frieder ärgert
über daS was er gehört hat. Es ist doch eine Respektlosigkeit, wenn
eine Wittsrau ihre Dotenkinder leer auSgehn läßt cun Ostertag. DaS tut
dem seligen HanSjorg feine, und sie hätte doch daS Geld! „Das tut
sie?" sagt Gottlob langsam und senkt den Kopf. MattheS, der Müller,
schlägt vor Zorn mit der Faust auf den Tisch. „Wer sie kennt wie ich",
sängt Gottlob ruhig an, „hat ja nichts anderes von ihr erwartet.
Meinem Freund HanSjorg gönn' ich die Ruh im Grabe. Nach allein
ivas geschehen ist, hat er sie nötig."

„Es hört sich zwar unschön an, Gottlob, aber eS wird schon seinen
Grund haben, wenn du's sagst", meint der Wirt.

„Eo ist S", gibt Gottlob zur Antwort, nimmt einen Schluck und
erzählt: „Schon vor der Hochzeit hat sie ihn schikaniert, zum Hausknecht
und Hanswursten machen wollen, iveil sie ein paar Gülden mehr als er
luit in die Eh' hat bringen können. Du weißt s noch gut, MattheS, wie
er in der ersten Zeit seiner Eh' nachts an den Tisch zu uns ledigen
Burschen und jungen Männern geschlichen ist, als ginge er hehlingen
zu einer Liebschaft. Sie hat nichts wissen dürfen. Jungen Burschen hat
er den Schoppen gezahlt, damit sie ihn nicht bei ihr verklagen sollten."

„Erzähle doch das mit den mehligen Schuhen!" unterbricht ihn
MattheS. „DaS kommt noch", sagt Gottlob und fährt fort, „manchmal
hat er abends zu ihr gesagt, er ginge noch in die Mühl', geschäftehalber
und käm erst spät wieder zurück. Jedesmal, wenn er dann in der .Nacht
heimgekommen ist, ist sie schon im Hemd von seiner Tür gestanden, um
seine Stiefel zu visitieren, zu suchen ob sie auch mehlig wären am
Sohlenleder. Denn wer in der Mühle gewesen ist, wird weiß! war ihr
Spruch, klnd einen Krach hat sie ihm gemacht, wenn sie nirgends ein
iveißes Stäuble hat sehen können. Da hast d u, MattheS, einen Stum-
pen Saumehl in den „Adler" geschasst und jede Nacht vor dem Heim-
gehen hat der HanSjorg seine Stiesel in den Sack gesteckt, dag sie weiß
worden sind wie den jungen Maidle ihre neumodischen Tanzschuh. So
haben wir dem HanSjorg die nötige Ruh verschafft und seine Alte
lange Zeit hinters Licht geführt." Gottlob trinkt seinen Rest auS und
fügt hinzu: //Jetzt kommt Nummero drei!" Anna nimmt sein leereS
GlaS und füllt eS auf. „Ich loill damit sagen", sängt Gottlob nach
einer Weile wieder an, „daß er ein guter Kerl war, der HanSjorg, fein
Lebtag lang, und sie ein böser Drachen. Denkst dir noch, MattheS, wie
man ihr einmal in der Kirbenacht den Karlsrieder sternhagelvoll inS
Haus gebracht hat in der falschen Meinung, eS wäre der HanSjorg,
ihr Mann? Der Karlfrieder war auf eine Miste gefallen in der Dun-
kelheit — eS gab damals noch kein elektrisches Licht -— und man hat
ihn für den HanSjorg gehalten, insbesondere iveil er auf die Frage:
„Bist du's, HanSjorg?" so was wie „Ja, ja" gebrummelt hat. Die
Burschen lüpfen ihn aus und bringen ihn heim. Sie, um die's geht, steht

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Index
Georg Schwarz: Der Zecher im Grab
Otto Nückel: Illustration zum Text "Der Zecher im Grab"
 
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