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fcfc.rn Dor bei Haustür, als sie den Mann in der Dunkelheit bringen
und sängt gleich an zu schimpfen: „So, jetzt wird der Lump heim-
gebracht. Stehen kann er nicht inehr. llnd wie er stinkt! Dut mir ihn
bloß aus dein Gesicht und schmeißt ihn auf die Matratz' in der Kam-
mer!" Die Burschen bringen den Karlfrieder in die Kammer und deiii
ist S recht. Ein paar Stunden darnach sieht der Drachen auf, spürt
loieder ein menschliches Gefühl für seinen Mann, und geht mir dem
Kerzenlicht in der Hand auf die Kammer. Da merkt sie, wer der Lump
ist, den man ihr ins Haus gebracht hat, kriegt schier eine Ohnmacht iind
schreit um Hilfe, klnd ich möcht'S nur gesehen haben, waS sie für ein
Gesicht geschnitten hat, wie sie im Hemd vor dem Karlfrieder gestanden
ist. Prost!" Alle lachen — und Gottlob fährt flüsternd fort: „Die
Lügenmäuler aber sagen, die Burschen hätten ganz genau gewußt, wen
sie ihr in die Kammer gelegt haben." Er nimmt einen kräftigen Schluck
und bestellt „Nummero vier".

Durch die offene Tür dringt sonunerliche Wärme in die Wirtsstube
und Lacher und Erzähler kommen langsam ins Schwitzen. „Der Hans-
jörg", sagt Müller MattheS nach einer Weile, „war der beste und
treueste Kamerad, den man sich hat denken können. Du Hermann",
lvendet er sich an den Wirt, „du solltest dir ein Bild von ihn: besorgen
tmd es an einem Ehrenplatz aufhängen! Der Hansjörg soll zuschauen,
wenn lvir zusainmensitzen. Wenn er's auch nur noch im Bild tun kann."

„Bch k,n bei der Witwe gelvesen nach seinem Tod und Hab' ein Bild
verlangt", sagt Hermann, „den Rahmen hätt ich gern beigebracht, aber
d a war ja nichts zu kriegen." Jetzt erscheint ein neuer Gast an der Tür,
stößt mit seinen schweren Stiefeln an die HauSwand, scharrt, brummt
„Guten Abend" und tritt ein. Bevor er an den Tisch kommt, schultert er
seinen Spaten ab und stellt ihn in eine Ecke neben der Tür. „Bist müd,
Schorsch?" redet ihn Gottlob an, „du kommst ganz gewiß grad vom
Gottesacker?" So ift's", sagt der Totengräber. Setzt sich und Gottlob
schiebt ihm sein Glas zu. „Ist wieder wer gestorben, Schorsch?" „Die
Karsten Marie, ja!" antwortet der Totengräber und nachdem er einen
kräftigen Schluck genommen hat, wird sein Gesicht freundlicher. „Das
Grab von der Karsten Marie", beginnt er langsam, in seiner Art, zu
sprechen, „kommt zu liegen — direkt — neben — den Hansjörg."

"3e%t lügst!" lacht Gottlob verdutzt, „vom wem reden wir den ganzen
Abend — als vom Hansjörg?"

„Direkt neben ihn kommt die Marie zu liegen?" fragt Frieder ver-
wundert. Der Schorsch nickt und sagt: „Wie ich fertig gewesen bin mit
dem Ausschaufeln, Hab' ich mir einen kurzen Schnaufer vergönnt und
gelesen, was auf dem Kreuz über Hansjörgs Grab geschrieben steht. Da
steht: geboren am 22. Juni und das ist heut!" „Jetzt hört sich die
Welt auf!" ruft Anna laut, „soll daS ein Zufall fein, daß man den
ganzen Abend vom Hansjörg redet, und grad heut ist fein Geburtstag?"

„O r u in m i'l s f e n wir ihn fei e r n !" sagte Gottlob ernst, steht
langsam auf und fügt hinzu: „Und zwar dort, wo sich's gehört.
Schorsch geh' mit und führ' uns auf den Gottesacker!" Matches und
Frieder sehen ihn verdutzt an, aber Hermann steht schon auf, um
sich parat zu machen.

„Warm genug ist's heut nacht und auch hell", sagt Gottlob, „die
große Allmachtslampe am Himmel leuchtet über die ganze Welt. Dcr

kann's nicht fehlen!" Plötzlich legt er den Finger an die Stirn und
läuft eilends in die Wirtsküche. Anna, der es ein bißchen gruselt, folgt
ihm. Nach einer kleinen Weile steht er wieder da Und hat ein paar
Weinflaschen unterm Arm.

„Da ist die heilige Wegzehrung!" ruft er laut, „jeder kriegt einen
Seelentröster mit auf den Weg. Du Frieder", wendet er sich an diesen,
„hast eine besondere Mission."

Flüsternd gibt er seinen Auftrag.

Die Männer zahlen, nehmen ihre Flaschen und gehen hinaus auf die
Straße. Anna blickt ihnen nach.

Auf der mondweißen Landstraße marschieren sie unbekümmert los,
die vier Torkelbrüder, und ihre Schatten schivanken wie lange schwarze
Fahnentücher hinter ihnen drein.

Nach einer kleinen Weile rollt ein Leiterwägelchen, beladen mit einen.
Faß, aus der Einfahrt deö „Bären" und eine humpelnde Gestalt zieht
an der Deichsel. Es ist der Frieder.

Bald steht die lustige Gesellschaft vor der Kirchhofsmauer, verschnauft
sich und erlaubt sich einen Schluck aus der Flasche. Dann schließt
Schorsch, der Totengräber, das eiserne Tor auf und geht voran. Es
ist hell über den Gräbern wie am Tag und der Gottesacker sieht genau
so friedlich aus wie irgend ein anderer Garten in der Mondnacht.

Am Totenhäuslein trennt sich Schorsch für einen Augenblick von den
andern, geht in die Beinkammer und macht sich dort was zu schaffen.
Auf einmal hören die andern einen dumpfen Krach, wie wenn eine Kiste
oder ein Sarg umfällt, ein beinernes Klappergeräusch folgt nach und
drinnen im Totenhäuslein hört man den Schorsch laut umeinander-
fuhrwerken und schimpfen.

MattheS bekommt eine Gänshaut und fährt sich mit der Hand durch
den mehlbestaubten Haarschopf.

„He! Schorsch, was krustelst du denn bei der Nacht noch in den
Beinern umeinander?" ruft Gottlob im gemütlichsten Ton, „komm
heraus, alter Leichemvurm und verdirb uns nicht die ganze Geburts-
tagsfreude!" Der Schorsch gibt eine brummende Antwort zurück und
erscheint alsbald mit einer Laterne in der Hand und erzählt, daß ihm
ein Halbdutzend verfaulter Sargbretter und Holzkreuze über den Fuß
gepoltert seien, als er die Funzel gesucht hätte im Dunkeln. „Gott sei
Dank!" seufzt MattheS, „daß eS nichts anderes war", entzündet behut-
sam ein Schwefelhölzchen und reicht eS dem Schorsch für seine Laterne.

„Weiter in Gottes Namen!" sagte der und geht mit dem Licht
voran. Eie gehen ein gutes Stück kreuz und quer auf schmalen Wegchen,
bis sie Hansjörgs Grab finden, neben dem ein tiefes, neugeschaufeltes
Grabloch gähnt.

„Da sind wir!" sagt Gottlob ernst, bleibt vor dem Grab stehen und
nimmt den Hut ab. „Erst ein halbes Jahr ist's her, daß man dich
eingesthaufelt hat, daß du nicht mehr bei uns sitzen kannst im „Bären".
Hermann nickt „Du ivarst dein Leben lang ein guter Kamerad", predigt
Gottlob, „hast niemand Schaden gebracht, sondern bloß Nutzen. Frei-
gebig ivarst du und gutmütig und hast kein Unrecht auf andern sitzen
lassen. Auf dir selber wohl! Unversöhnlich warst du nie. Aber bin glück
hast du gehabt.

Sie — lebt noch und wir vergessen es nicht, ivaS sie dir angetan hat.
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Otto Nückel: Illustrationen zum Text "Der Zecher im Grab"
 
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