Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
19 3 5

J u G

4 0. JAHRGANG

D

/ N R. 1

asnergang

Fernab vergingen Stadt und Lärmgetümmel.
Ein Bach floß winterfahl in grauer Rinne.

Aus magerm Land kroch eine Riesenspinne,
Ein kahler Baum, vor Hunger in den Himmel.

Das letzte Licht versank im toten Feld,

Wo kleine Büsche wie Erfrorne hockten.

Des Windes karge Atemzüge stockten
Vorm harten Schweigegrimm der Winterwelt.

Es klommen Sterne auf, ganz weit, ganz oben.

Wie arme Lämpchen an verschollnem Boot.

Und seltsam hob der Mond sich, groß und rot,

Das Auge eines kosmischen Zyklopen.

Walther G. F. L i e r k e

SCHWÄBISCHE PARODIE

VON HERMANN HESSE

3*n schönen Schwabenlande gibt es eine Menge von schönen und
merkwürdigen Städten und Dörfern voll denkwürdiger Erinnerungen,
und viele davon haben denn auch ausgezeichnete, ja klassische Schilde-
rungen gesunden, Ich erinnere nur an Megerles dreibändige Geschichte
von Bopfingen und an MörikeS tiefschürfende Forschungen über die
Familie Mispel. Als erste Anregung und Grundlage für eine spätere
heimatkundliche Darstellung von berufenerer Hand möchten nachstehende
historische Notizen über Knörzelfingen, die Perle deS KnörzeltaleS, an-
gesehen werden. Denn wahrlich, es dürfte an der Zeit sein, endlich ein-
mal eine Lanze für Knörzelfingen zu brechen und diese Perle eines unserer
schönsten Heimattäler aus ihrem jahrhundertelangen Dornröschenschlaf
zu wecken.

Jedem schwäbischen Schulknaben aus der Heimatkunde wohl bekannt
— entspringt in diesem großenteils mit Laubwald bestandenen, von Kalk-
schichten romantisch durchzogenen Tale ein munterer, kleiner Fluß oder
Bach, die Knörzel. Es ist eine bekannte Anekdote aus Württembergs
glorreicher GeisteSgeschichte, wie Ludwig Ilhland am Ende seiner Schul-
jahre bei der Reifeprüfung vor seinem verehrten Professor Hofländer
stand und von diesem nach dem einundzwanzigsten linken Nebenfluß des
Neckars befragt wurde, und zum tiefen Bedauern des verdienstvollen
Lehrers die Antwort schuldig blieb. Heute mag eS uns bedeutsam er-
scheinen, daß gerade unser großer blhland, der so manche Flur- und
Dorfnamen Schwabens in seinen Dichtungen für die Ewigkeit auf-
bewahrt hat, diese merkwürdige Lücke in seinem sonst so reichen Wissen
auswies. So wie der große Dichter die Knörzel vergessen hatte, so
wurde sie seit langem von der Literatur sowohl wie vom öffentlichen
Interesse vernachlässigt. Ilnd doch rauschte einst auch hier der große
Sturm der Geschichte, und heute noch weiß der Dolksmund zahlreiche
Merkwürdigkeiten und Sagen über diese Gegend zu berichten, deren
Sammlung tunlichst in Angriff genommen werden sollte, noch ehe die
alles nivellierende Flut der gewaltigen Neuzeit auch diese Zeugen der
Vorzeit vernichtend überspült hat.

Ursprünglich, das heißt bis zum verhängnisvollen Jahr 1231, gehörte
das Tal zu den gewaltigen Besitzungen der Grasen von Calw, während
die Burg Knörzelfingen nicht von diesen, sondern schon in grauer Vor-
zeit von Knorz dem Ersten errichtet worden sein soll. Ihre wohlgelungene
Abbildung finden wir noch in den Kupferstichen MerianS, heute indessen
ist sie vom Erdboden verschwunden, und eS kündet nur noch der so-
genannte Brennesselberg, eine von blnkraut überwucherte, für den Bota-
niker beachtenswerte Schutthalde, von dem ehrwürdigen Bauwerk. Die
Frage, ob Knorz der Erste, der Erbauer der Burg, identisch sei mit

Knorz dein Wunderlichen, der Lieblingsfigur so mancher Volks-
erzählungen, ist von der Wissenschaft nicht nur nicht gelöst, sondern so-
gar mit einer gewissen Ängstlichkeit umgangen worden. Ritter Knorz,
der Held so vieler gemütvoller Volkssagen, ist indessen von der neueren
Forschung als eine lediglich mythische Persönlichkeit erkannt worden,
und so lassen wir die zahlreichen Spuren, welche diese ehrwürdige Figur
in Sitte und Sage, in Sprache und Brauch der Knörzelfinger hinter-
lassen hat, besser auf sich beruhen. Erwähnt sei nur, daß die wunder-
lichen Ausdrücke „knorzen" und „Knorzer" nach den genialen For-
schungen Fischers und Bohnenbergers zweifellos jenem Sagenkreis ent-
stammen; sie haben sich inzwischen das gesamte schwäbische Sprachgebiet
erobert, hinter den Heimatkundlichen Volkserzählungen, welche unser ge-
schätzter Erzähler Martin Kurtz zwar nachweislich geplant, aber be-
klagenswerterweise nicht geschrieben hat, soll auch ein Roman über
Knorz den Wunderlichen gewesen sein.

Ebenfalls noch dem Gebiete sagenhafter Dolksüberlieferung ent-
stammt die Erzählung vom Bade Herzog Eugens des Langhaarigen in
der Knörzel, wie denn überhaupt die Knörzel vor Zeiten als Heilsbad
sich eines hohen Ansehens erfreute, worauf wir noch zurückkommen
werden. Bekanntlich soll bei diesem Bade Herzog Eugen die hübsche
Bauerntochter Klemm, die sogenannte „Klemmin", auf seinein Rücken
durch die schäumenden Wellen der Knörzel getragen haben, und wir
möchten es immerhin als voreilig bezeichnen, wenn Hammelehle in seiner
sonst verdienstvollen Dissertation „Herzog Engen der Langhaarige in
seinen Beziehungen zum Humanismus" in diesem Bericht lediglich eine
humanistisch-klassizistische Nachdichtung des Abenteuers zwischen ZeuS
und der Europa glaubt erkennen zu dürfen. Ist doch wahrlich diese
Barbara Klemmin als Geliebte des prachtliebenden und verblendeten
Fürsten historisch genugsam bezeugt, zum Beispiel in dom anonymen
Spottgedicht „Des Herzogs Beklemmung" von 1323. Damals war es
ja Achilles Zwilling, der Archidiakon von Stuttgart und Eugens tapferer
Hofprediger, der des Herzogs zornigen Befehl, die Klemmin alsbald in
öffentlicher Predigt zu rehabilitieren, mit den echt schwäbischen Mannes-
worten zurückwieS: „Ob sie Sie geklemmt hat, Durchlaucht, oder von
Ihnen geklemmt worden ist, dies zu untersuchen wird jeder schwäbische
Theologe als seiner unwürdig zurückweisen."

Im achtzehnten Jahrhundert war es ein Knörzelfinger, der Tag-
löhnerssohn Adam Wulle, der als beliebter Laienprediger und Wort-
führer einer von ihm begründeten pietisiischen Sekte eines großen Rufes
im Lande genoß und namentlich allgemeines Staunen erregte durch seine
improvisierte anderthalbstündige Predigt voll Zündkraft über das Bibel-

2
Index
Hermann Hesse: Schwäbische Parodie
Walther C. F. Lierke: Winterspaziergang
 
Annotationen