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AnderDonau H. Mayrhofer-Passau

Goldgelb vor mir. Die kleine Kellnerin in der heiteren Tessiner Tracht
mit knallrotem Kopftuch und blauer Seidenschürze, inollig und zuver-
lässig, wirst mir wohlwollende Blicke zu.

„Ach, Fräulein, Sie werden diesen Wein entbehren. Er wird anders-
wo bestellt worden sein. Wollen Sie ihn nicht wegnehmen?"

„Nein, nein, gnädige Frau, ich habe mir erlaubt ihn hinzusiellen sür
Sie. Bevorzugen Sie einen anderen Wein?"

„Nein, das nicht. Mir sind alle Weine gleich, gleich recht. Ja
aber..."

„Aber bitte, trinken Sie doch. Haben Sie schon das Esien gewählt?
Dars ich A)nen Bratsisch bringen, und nachher Beefsteak, Kartoffel
und grüne Erbsen? Zum Nachtisch EiS, Käse oder Obst? Wünschen
Sie ein Eßabonnement? Bitte, dies ist für zwölf Mittagessen."

„Wieviel das wohl kosten mag?"

„Aber, bitte, lassen Sie das doch. Dies hier kostet 2g Franken, wenn
Sie es wissen möchten. Nehmen Sie es doch."

Selbstverständlich gerate ich über so viel Liebenswürdigkeit ein wenig
in Verwirrung. Kann nur leise stammeln: „Nein, danke, Sie irren sich.
2$) kann kein Eßabonnement nehmen. Ich esse nur vorübergehend..."

„Ach, wie schade. Gnädige Frau sind nur auf der Durchreise hier?
Schade. Werden Sie nicht längere Zeit in Lugano weilen?"

Weilen? Das ist doch mehr etwas für Herrschaften, etwas für ganz
feine Leute. Von denen sagt man, „sie weilen". klnsereinS weilt doch
nicht eigentlich. Aber dies Kalbschnitzel mundet mir unvergeßlich gut.
So etwas kann einem Kraft geben für wenigstens vierzehn Tage. Nie
hätte ich gedacht, daß der Mensch so sehr vom Essen abhängig sein
kann. erkenne ich erst, wie mir vorher zumute war. Aber denken

wir nicht mehr daran.

Mir ist ein wenig schwindlig. Don einem einzigen Schluck Wein,
oder vom Glücklichsein. Ein kleiner Sonnenstrahl fällt über meinen
Tisch. Wie doch ein schmaler Lichtstreifen viel Dämmerung zu er-
hellen vermag. Wie hübsch das ist. Dann kommt daö kleine Fräulein,
stellt einen Schlagsahnekuchen vor mir auf und lächelt mich an.

„Das ist ein feiner Kuchen" lobe ich. blnd dann lächeln wir mit-
einander.

„Der iß sür Sie" flüstert mir das Fräulein zu, freundlich, wie man
einem Kinde etwas besonders Gutes anbietet.

Für mich soll das sein? Ich glaube, ich muß aushören mich zu
wundern. DaS Grütli ist ein seltsames Lokal.

„Sie sind mir nämlich nicht unbekannt, gnädige Frau. Der Kuchen
iß von mir, für Sie. Ich habe nämlich von Ihnen gelesen. . . Ihre
Bücher, blnd die gefallen mir so sehr gut. . . Also wirklich, ich muß

sagen, eines iß schöner wie das andere ..." SprichtS und verschwindet,
als wäre sie abgerufen worden. Eines iß schöner als das andere? 2^)
wiege mich in Träumen der Vergangenheit. Meine Bücher sind ja
längst vergriffen, werden nie wieder verlegt. Also muß eS doch schon
eine Weile her sein, daß das junge Fräulein . .. Freilich, sie könnte die
Bücher antiquarisch gekauft haben, oder daß sie irgendwo noch in einer
alten originellen Leihbibliothek auS Versehen zu haben sind.

Es schwimmt mir etwas vor den Augen. DaS ist der Rauch und der
Schall mi Raume. Eines ist schöner als daö andere, blnd dann kommt
ein zweites Kellnerfräulein an den Tisch, bringt mir den Kaffee, den
ich bestellt habe. Sagt zu mir:

„Ach, Fräulein, ich kenne Sie ebenso gut wie meine Kollegin sie
kennt. 2af lch möchte überhaupt nur 2^>re Bücher lesen. .. Sie sind
und bleiben meine Lieblingsdichterin. 2^) frvh, daß ich 2^ncn
einmal sagen kann."

Die Kleine sagt das so frisch und strahlend, daß ich nicht den Mut
habe, solche Komplimente von mir abzuwehren. Es kommt mir vor,
als wenn alle Leute mich betrachten, und ich befinde mich in großer
Verlegenheit. Wenn mir nur nicht die Tränen herausfallcn. 2^) ^ann
mich hier doch nicht vor allen Leuten in Tränen stürzen. 2^ kommt
der Grütliwirt aus mich zu. Er reicht mir ein Buch in Leder gebunden,
dies sei daS goldene Grütlibuch und ob ich da nicht etwas hineinschreiben
wolle. Entgeistert sehe ich ihn an, und in daS leere Buch hinein. Lauter
unbeschriebene Blätter.

„Wenn Sie nur eine Kleinigkeit hineinschreiben wollten, gnädige
Frau."

Tinte und Feder werden mir hingeschoben. Die ganze Welt sieht
mich an und... ich kann meiner Schüchternheit nicht Herr werden.
Am liebsten liefe ich davon, aber mein Tisch ist von Menschen umstellt.

„2a? Was soll ich denn schreiben? DaS Buch ist ja leer, lllnd
warum soll denn gerade ich den Anfang machen?"

„Aber eS wäre mir doch eine große Ehre. Sie würden mir eine ganz
große Freude machen, wenn Sie es tun wollten, gnädige Frau."

DaS ist natürlich etwas anderes.

Willig halte ich die Feder in der Hand, doch damit allein isis
nicht getan. Wenn man mich derart gespannt mustert, kann ich nicht
schreiben. 2^) wuß kläglich bekennen: „Ach, Herr Grütli, mir will jetzt
gar nichts einfallen." Alles lacht hellauf.

„Aber gnädige Frau! 2^uen nichts einsallen! Wo 2^nen föon fD
unendlich viel eingefallen ist. Sie werden uns doch nicht weiSmachen
wollen, daß 2huen nicht immerwährend etwas einfällt. 2^wvhl, immer-
während."

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Hermann Mayrhofer: An der Donau
 
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