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Güterwagen PaulBürck

DANKBARKEIT

VON HERMANN FRAUENHOFER

Es lebte einmal Lm bayerischen Alpenland
ein Floßknecht, der hieß Balthasar Dirscherl
und hatte eine Leidenschaft für die Jagd. Da
er keine Gelegenheit hatte, sich ihr in erlaubter
Weise zu widmen, verlegte er sich auf daS
Wildern. Es kam auf und er sollte verhaftet
werden.

Als der Gendarm kam und ihm in schroffem
Diensttone die Festnahme ankündigte, zog er
die Joppe auS, streifte seine Hemdärmel hoch
und sagte, der Gendarm solle eS nur probieren.
Dirscherl war zwei Meter groß und einen
Meter breit. Der Gendarm ging daher wieder
weg.

An der Spitze einer kleinen Armee von sechs
Gendarmen kehrte er zurück. Dirscherl ließ sich
nicht einschüchtern. Er sagte, wenn ihn einer
anrühren wolle, so möge er sich vorher oie
Sterbeglocke läuten lassen.

Nach zehn Minuten war er gefesselt und
zum Abtransport bereitgestellt.

Am nächsten Tage ging der Amtsrichter
Wunderlich in das Gefängnis und verlangte die
Vorführung des Dirscherl, um ihn, wie es
das Gesetz vorschreibt, zu vernehmen. Der
Gefängnisverwalter machte ihn darauf auf-
merksam, daß er eS mit einem überaus gefähr-
lichen und gewalttätigen Burschen zu tun habe,

und schlug vor, der Amtsrichter möge bei der
Vernehmung ein paar Gefängnisaufseher zu
seinem persönlichen Schutze beiziehen.

Wunderlich hatte den Akt bereits gelesen
und wußte Bescheid. Er tat sich auf seinen
psychologischen Scharfblick etwas zugute und
war überzeugt davon, daß es nur an der Art
der Behandlung liegt, wenn eS zu einem Zu-
sammenstoß kommt. Er lehnte daher den Vor-
schlag ab und sagte lächelnd: „Ich werde schon
allein mit ihm fertig."

Immer wird das Neue alt
und das Alte sinkt vergessen
in die dunklen Läuter-Essen,
bis es voller Wohlgestalt
wieder in den Lag erhoben
als ein neuer Anfang gilt.

Aber wer als Läuschung schilt,
was wir als Verwandlung loben,
schilt sich augenlos und blind:

Denn die Sonne, heut und gestern,
altert nie durch neue Schwestern,
die ihr nachgeboren sind.

Rolf Mayr

Kopfschüttelnd gab der Verwalter die

Weisung, den Dirscherl vorzuführen. Als er in
seiner imponierenden Körperlichkeit, die auS
den Akten nicht ersichtlich gewesen war, in daS
Zimmer stampfte, war der Amtsrichter, ein
kleiner, schmächtiger Mann, einen Augenblick
etwas betroffen. Er gewann aber rasch seine
Sicherheit und Ruhe wieder, richtete seine
Augen mit festem Blick auf den Gefangenen
und wies ihn an, auf dem aus begreiflichen
Gründen mit Scharnieren am Boden befestig-
ten Stuhl Platz zu nehmen. Dirscherl tat es,
wobei der Stuhl bedenklich krachte. Er war
sanft wie ein Lamm.

Zunächst unterhielt inan sich in ruhiger und
sachlicher Weise über das Wildern. Dirscherl
stellte eS nicht in Abrede und sagte nur im
Don leisen Bedauerns, daß er nichts erwischt
habe. Dann kam der Amtsrichter auf den
Widerstand gegen die Staatsgewalt zu sprechen.
Düs friedliche Verhalten des Dirscherl er-
mutigte ihn, der ohnedies eine volkstümliche
Redeweise liebte, kräftigere Töne anzuschlagen
und ein wenig die Rolle des Tierbändigers
gegenüber dem gefangenen Tiger zu spielen.

„Dirscherl", sagte er, „Sie sind doch ein
rechter Lackel und ein ausgewachsener Horn-
ochse noch dazu. Wie können Sie eine solche

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Register
Paul Bürck: Güterwagen
Hermann Frauenhofer: Dankbarkeit
Rolf Mayr: Neu und alt
 
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