BRIEFMARKEN GEHEN TANZEN
EINE FASCHINGSGESCHICHTE
Josef Axelhuber, der approbierte Lohn-
kutscher und Besitzer einer handlichen Kropf-
anlage, pflegte sein Seelenleben, wie eine Haus-
frau ihren Ausguß pflegt — damit er nicht
durch blnreinlichkeiten verstopft werde. . .
Er verband und verknüpfte sich mit allen
Bestrebungen, die ihn von den fleischlichen
Lüsten der Welt — wie einen süßen Wein in
Flaschen — abzogen und haltbar machten für
die Ewigkeit...
Zu allem blberfluß — um jede böse Lust
schon im Keime zu ersticken — sammelte er
sich mit Briefmarken in eine entgegengesetzte
Leidenschaft hinein, die ihm für den heißen
Kampf gegen das anwachsende Sündenbabel
den nötigen Dampf lieferte, bind wie andere
Menschen im Austausch von Gefühlen und
Küssen die bessere Seite ihres Daseins erleben,
so empfand Herr Axelhuber dasselbe im gegen-
seitigen Austausch von Briefmarken und sonsti-
gen Postwertzeichen. Bald kannte er ihren
Wert und Unwert wie nur selten einer — und
es dauerte nicht lange, so wurde er auch schon
vom „Verein zur Förderung des Briefmarken-
tausches" in den Vorstand gewählt. ..
Da kam die Zeit, in der das FaschingS-
treiben mit Luftschlangen, Dekolletes, Knall-
erbsen und Florstrümpfen über die sowieso schon
schwer belastete Erde hinwirbelte, bind es gab
keinen Stammtisch, der nicht seinen Vereinsball
oder seinen Kostümtanz haben wollte. Bald
gärte es auch unter den Mitgliedern des
Briefmarkenklubs in karnevalistischen Blasen,
die bis zur Höhe der Dorstandschaft stiegen und
den Josef Axelhuber zu den schwersten Gewis-
sensfragen nötigten ... Was tun? ...
Nach einer schlaflosen Nacht klopfte er durch
die Wand seiner Zimmerwirtin Ursula Mor-
aste!, die im ersten Augenblick glaubte — ihr
Zimmerherr habe wieder eine jener Erscheinun-
gen gehabt, die bei ihm regelmäßig Durchfall
erzeugten. .. Sie fetzte sich mit streichelnden
Blicken auf seines Bettes Rand, als wollte sie
sich an den Ufern eines Sees niederlasten. So
hatten sie schon oft über die letzten Dinge und
geheimsten Mysterien alles Seienden gespro-
chen; da war das letztemal unter ihnen die
Rede von den Jünglingen im Feuerofen und
vom Propheten, der im Bauch des Haifisches
Lebertran inhalieren mußte. .. blnd deshalb
konnte er ihr auch jetzt in vollem Vertrauen
alles herauskitzeln, was er auf seiner Hühner-
brust sitzen hatte: „Frau Moraste!, sagn Sie
mia amal, Aug in Aug und Zahn in Zahn —
lvia muaß sich a Mann, der unsere Welt-
anschauung Tag und Nacht mit sich herum-
ziagt — wia muaß sich ein solchener in diesem
traurigen Fastnachtfalle benehmen ...?"
Frau Nborasiel klappte unruhig die Tür des
Nachtkästchens auf und zu und fuhr dann mit
dem Finger die Ritzen der Matratze aus, als
QJon (Ornsi ^3foferi[hiey
wollte sie nebenzu Wanzen fangen, „'s beste
waar ja, Herr Axelhuaba, mir kannten alle
Laster und Sündenfälle in liebreiche Handlun-
gen verwandeln, wo ma was aufopfern kannt,
dös sich mit ewigen Lohn verzinsen tat...!"
„Ja mei — aber ma ko halt do koan Bal
pare in a Wallfahrt umbiagn. I waar der
erste, Frau Moraste!, der dös durch an soliden
Kulturkampf anpacka tat. blberhaupts, d'
Kreuzzüg mästen wieder her, a jeda sollt an
Prügel in d' Hand nehma und zuaschlagn für
die heiligsten Güater — bis allsfamt hin iS. ..!
So wärad bald alles Irdische überwunden, mir
brauchatn koan Fasching und koane Sünden
mehr, a jeda kannt a Heiliga Wern und i kannt
Vorstand von meim Briafmarkenklub bleibn!
Frau Moraste!, i, als keufchlicher Vorstand
meines Briefmarkenklubs, muaß alle Verant-
wortung tragn ..."
„Pasten S' auf, Herr Axelhuaba, in mir
stoßt ein idealer Gedanke auf. . .! — — —
Sie müasten für Eahnan Verein was ganz
Harmloses macha, so was Kindliches — wo-
durch die Menschen eher noch bester werdn als
schlechter . . .! blnd eS paßt großartig für
Eahnen Verein!"
„Bittschö, Frau Morastel, und das wäre?"
„ ... Ja also: Sie lasten Eahnene Mitglie-
der als Briefmarken Maschkera geh, Sie
selba machan an Postsekretär, i geh als
Gummiarabikum, und dann macha ma so
Schalterspiele... Sie wissen scho, grad wias
auf der Post oft zuageht. . . blnd dös waar
gwiß harmlos gnua .. .!"
„Zünfti, zünfti... Frau Moraste! . ..! Sie
fan halt a Frau mit Erfindungstrieb .. .! blnd
so werd i es a macha .. .!"
-V '@U<u
Vignette Hoerschelmann
Getan wie gesagt. Die Mitglieder fanden
diesen Vorschlag AxelhuberS originell und rüste-
ten sich in der vereinbarten Kostümierung zum
Fest. Im Saal wurden zwei Postschalter auf-
geschlagen, weil der andere Vorstand des
Vereins, Hans Dierlinger, auch als „Post-
sekretär" Maschkera gehen wollte — und für
sich ebenfalls ein Schalterfenster beanspruchte.
Und der ersehnte Abend kam wie ein lang-
bestelltes Voressen an. Josef Axelhuber, Vor-
stand des Briefmarkenklubs, schob sich als
himmelblauer Postsekretär mit seiner Hausfrau
Ursula Morastel zur Saaltüre, wie eine frisch-
geölte Schnellzugslokomotive mit Tender, her-
ein. Sie hatte ihr haselnußfarbiges Reform-
kleid durch ein Drahtgerüst zur Form einer
Gummiarabikumflasche ausgebaucht, wozu über
ihrem Apfelbusen das Schild „Klebstoff" schau-
kelte — und wo darunter geschrieben stand:
„Vor Gebrauch schütteln!"
Die übrigen Gäste waren als Briefmarken
zu drei, fünf und zehn Pfennig erschienen. Zu-
weilen tauchte auch eine rosarote Marke aus
Java auf, und hie und da ein alter bayerischer
Kreuzer — und ganz rückwärts saßen ein paar
unfrankierte Postkarten mit Rückantwort...
blnd eS wäre alles so schön gegangen, wenn
nicht die angekündigten „Schalterspiele" von
den einzelnen Mitgliedern falsch aufgefaßt wor-
den wären. Nur wenige gab es, die sich eine
Art von Kinderspielen an den Sandbänken der
Anlagen erhofften. Dielen schwebten Neros
ZirkuSszenen vor, Bacchanale und Orgien, bei
denen ein ganzes Briefmarkenalbum mit inter-
nationalen Raritäten gekauft und vertauscht
werden könnte — oder die einzelnen Marken
sich selbst verschenken würden ...! Denn beson-
ders an weiblichen Marken waren herrliche —
Exemplare erschienen und auch schon mit Wein
und Schnaps getränkt worden.
Jetzt ließ der Vorstand Josef Axelhuber
seine Zwillingskröpfe in schaukelnder Bewegung
zum Schalterfenster heraushängen. Es sollte
ein Spiel nach der Weise des Sekretärschreibens
vor sich gehen, das in jeder besseren Familie
vor dem Bettgehen vom Kanapee herab gespielt
wird — und wie eS Frau Morastel in ihrer
Dienstmädchenzeit bei Familien vom Regie-
rungSrat aufwärts beim Abservieren gesehen
hatte.
Aber da öffnete auch der Vorstand HanS
Dierlinger seinen Schalter und gab bekannt,
daß alle Briefmarken in dieser Nacht noch
„ausgetauscht" werden müßten ...
DaS Gummiarabikumfaß, Frau Morasiel,
schrie eifersüchtig auf: „WaaS wolln Sie
macha?... Pfui Deifi...! Schämen S'
Eahna.. .! Sie verhunzen ja die Idee des
Festes...!"
„Alter Rührkübe, mit deine glanzpapierenen
Ohrwaschel, halt do du bei Mäu ...!'
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EINE FASCHINGSGESCHICHTE
Josef Axelhuber, der approbierte Lohn-
kutscher und Besitzer einer handlichen Kropf-
anlage, pflegte sein Seelenleben, wie eine Haus-
frau ihren Ausguß pflegt — damit er nicht
durch blnreinlichkeiten verstopft werde. . .
Er verband und verknüpfte sich mit allen
Bestrebungen, die ihn von den fleischlichen
Lüsten der Welt — wie einen süßen Wein in
Flaschen — abzogen und haltbar machten für
die Ewigkeit...
Zu allem blberfluß — um jede böse Lust
schon im Keime zu ersticken — sammelte er
sich mit Briefmarken in eine entgegengesetzte
Leidenschaft hinein, die ihm für den heißen
Kampf gegen das anwachsende Sündenbabel
den nötigen Dampf lieferte, bind wie andere
Menschen im Austausch von Gefühlen und
Küssen die bessere Seite ihres Daseins erleben,
so empfand Herr Axelhuber dasselbe im gegen-
seitigen Austausch von Briefmarken und sonsti-
gen Postwertzeichen. Bald kannte er ihren
Wert und Unwert wie nur selten einer — und
es dauerte nicht lange, so wurde er auch schon
vom „Verein zur Förderung des Briefmarken-
tausches" in den Vorstand gewählt. ..
Da kam die Zeit, in der das FaschingS-
treiben mit Luftschlangen, Dekolletes, Knall-
erbsen und Florstrümpfen über die sowieso schon
schwer belastete Erde hinwirbelte, bind es gab
keinen Stammtisch, der nicht seinen Vereinsball
oder seinen Kostümtanz haben wollte. Bald
gärte es auch unter den Mitgliedern des
Briefmarkenklubs in karnevalistischen Blasen,
die bis zur Höhe der Dorstandschaft stiegen und
den Josef Axelhuber zu den schwersten Gewis-
sensfragen nötigten ... Was tun? ...
Nach einer schlaflosen Nacht klopfte er durch
die Wand seiner Zimmerwirtin Ursula Mor-
aste!, die im ersten Augenblick glaubte — ihr
Zimmerherr habe wieder eine jener Erscheinun-
gen gehabt, die bei ihm regelmäßig Durchfall
erzeugten. .. Sie fetzte sich mit streichelnden
Blicken auf seines Bettes Rand, als wollte sie
sich an den Ufern eines Sees niederlasten. So
hatten sie schon oft über die letzten Dinge und
geheimsten Mysterien alles Seienden gespro-
chen; da war das letztemal unter ihnen die
Rede von den Jünglingen im Feuerofen und
vom Propheten, der im Bauch des Haifisches
Lebertran inhalieren mußte. .. blnd deshalb
konnte er ihr auch jetzt in vollem Vertrauen
alles herauskitzeln, was er auf seiner Hühner-
brust sitzen hatte: „Frau Moraste!, sagn Sie
mia amal, Aug in Aug und Zahn in Zahn —
lvia muaß sich a Mann, der unsere Welt-
anschauung Tag und Nacht mit sich herum-
ziagt — wia muaß sich ein solchener in diesem
traurigen Fastnachtfalle benehmen ...?"
Frau Nborasiel klappte unruhig die Tür des
Nachtkästchens auf und zu und fuhr dann mit
dem Finger die Ritzen der Matratze aus, als
QJon (Ornsi ^3foferi[hiey
wollte sie nebenzu Wanzen fangen, „'s beste
waar ja, Herr Axelhuaba, mir kannten alle
Laster und Sündenfälle in liebreiche Handlun-
gen verwandeln, wo ma was aufopfern kannt,
dös sich mit ewigen Lohn verzinsen tat...!"
„Ja mei — aber ma ko halt do koan Bal
pare in a Wallfahrt umbiagn. I waar der
erste, Frau Moraste!, der dös durch an soliden
Kulturkampf anpacka tat. blberhaupts, d'
Kreuzzüg mästen wieder her, a jeda sollt an
Prügel in d' Hand nehma und zuaschlagn für
die heiligsten Güater — bis allsfamt hin iS. ..!
So wärad bald alles Irdische überwunden, mir
brauchatn koan Fasching und koane Sünden
mehr, a jeda kannt a Heiliga Wern und i kannt
Vorstand von meim Briafmarkenklub bleibn!
Frau Moraste!, i, als keufchlicher Vorstand
meines Briefmarkenklubs, muaß alle Verant-
wortung tragn ..."
„Pasten S' auf, Herr Axelhuaba, in mir
stoßt ein idealer Gedanke auf. . .! — — —
Sie müasten für Eahnan Verein was ganz
Harmloses macha, so was Kindliches — wo-
durch die Menschen eher noch bester werdn als
schlechter . . .! blnd eS paßt großartig für
Eahnen Verein!"
„Bittschö, Frau Morastel, und das wäre?"
„ ... Ja also: Sie lasten Eahnene Mitglie-
der als Briefmarken Maschkera geh, Sie
selba machan an Postsekretär, i geh als
Gummiarabikum, und dann macha ma so
Schalterspiele... Sie wissen scho, grad wias
auf der Post oft zuageht. . . blnd dös waar
gwiß harmlos gnua .. .!"
„Zünfti, zünfti... Frau Moraste! . ..! Sie
fan halt a Frau mit Erfindungstrieb .. .! blnd
so werd i es a macha .. .!"
-V '@U<u
Vignette Hoerschelmann
Getan wie gesagt. Die Mitglieder fanden
diesen Vorschlag AxelhuberS originell und rüste-
ten sich in der vereinbarten Kostümierung zum
Fest. Im Saal wurden zwei Postschalter auf-
geschlagen, weil der andere Vorstand des
Vereins, Hans Dierlinger, auch als „Post-
sekretär" Maschkera gehen wollte — und für
sich ebenfalls ein Schalterfenster beanspruchte.
Und der ersehnte Abend kam wie ein lang-
bestelltes Voressen an. Josef Axelhuber, Vor-
stand des Briefmarkenklubs, schob sich als
himmelblauer Postsekretär mit seiner Hausfrau
Ursula Morastel zur Saaltüre, wie eine frisch-
geölte Schnellzugslokomotive mit Tender, her-
ein. Sie hatte ihr haselnußfarbiges Reform-
kleid durch ein Drahtgerüst zur Form einer
Gummiarabikumflasche ausgebaucht, wozu über
ihrem Apfelbusen das Schild „Klebstoff" schau-
kelte — und wo darunter geschrieben stand:
„Vor Gebrauch schütteln!"
Die übrigen Gäste waren als Briefmarken
zu drei, fünf und zehn Pfennig erschienen. Zu-
weilen tauchte auch eine rosarote Marke aus
Java auf, und hie und da ein alter bayerischer
Kreuzer — und ganz rückwärts saßen ein paar
unfrankierte Postkarten mit Rückantwort...
blnd eS wäre alles so schön gegangen, wenn
nicht die angekündigten „Schalterspiele" von
den einzelnen Mitgliedern falsch aufgefaßt wor-
den wären. Nur wenige gab es, die sich eine
Art von Kinderspielen an den Sandbänken der
Anlagen erhofften. Dielen schwebten Neros
ZirkuSszenen vor, Bacchanale und Orgien, bei
denen ein ganzes Briefmarkenalbum mit inter-
nationalen Raritäten gekauft und vertauscht
werden könnte — oder die einzelnen Marken
sich selbst verschenken würden ...! Denn beson-
ders an weiblichen Marken waren herrliche —
Exemplare erschienen und auch schon mit Wein
und Schnaps getränkt worden.
Jetzt ließ der Vorstand Josef Axelhuber
seine Zwillingskröpfe in schaukelnder Bewegung
zum Schalterfenster heraushängen. Es sollte
ein Spiel nach der Weise des Sekretärschreibens
vor sich gehen, das in jeder besseren Familie
vor dem Bettgehen vom Kanapee herab gespielt
wird — und wie eS Frau Morastel in ihrer
Dienstmädchenzeit bei Familien vom Regie-
rungSrat aufwärts beim Abservieren gesehen
hatte.
Aber da öffnete auch der Vorstand HanS
Dierlinger seinen Schalter und gab bekannt,
daß alle Briefmarken in dieser Nacht noch
„ausgetauscht" werden müßten ...
DaS Gummiarabikumfaß, Frau Morasiel,
schrie eifersüchtig auf: „WaaS wolln Sie
macha?... Pfui Deifi...! Schämen S'
Eahna.. .! Sie verhunzen ja die Idee des
Festes...!"
„Alter Rührkübe, mit deine glanzpapierenen
Ohrwaschel, halt do du bei Mäu ...!'
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