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J U G

41. JAHRGANG

END

1 9 3 6 / Nr, 15

GANG IM WALDE

(K,„

Durch das schlanke Tanngehölz im Licht
Streift der Fuß und löst den blanken Tau;
Wolken liegen hoch im schmalen Blau
Und du wendest weiter dein Gesicht:

Doch der Zweige Nefy verhüllt nun dicht,
Was die Blicke überm Walddach schauen,
Erd' und Himmel schenken dir Vertrauen,
Gras und Wolken und das ferne Licht.

Wenn der Wurm kriecht in dem Weggerölle
Und der Schritt an deinem Ohr verhallt,
Tritt schon über eine Wurzelschwelle
Unverhofft der Abend in den Wald.

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Eine Geschichte von Seglern und

’NSFIGUR

Liebe

Q$n Walte,- cßrsifl,

(Nachdruck verboten).

Draußen im Strom schießt die Helle Flotte der schlanken Boote vor-
über. Die JungenS aus Hamburg bilden sich wahrhaftig ein, sie könn-
ten eS mit ihren L)ad)ten den behäbigen Ewern nachmachen und die
Nordsee nur so im Hui nehmen.

Die Deern am Deich sieht, wie zwei der ersten Boote immer mehr
absallen und nach und nach ganz Zurückbleiben. Dorn taucht die
Flotte schon im Sonnenglast unter, und die Nachzügler kreuzen in den
vom Wasser aus kaum wahrnehmbaren Hasen des Dorfes. Die jun-
gen Männer springen auf die Planken, recken sich, vertäuen den Segler
und reichen, wenn die mitgekommen sind, ihren Bräuten die Hand zum
Aussteigen. Nun blicken sie sich erst mal um, ob Jochen KlümpS
braunes Haus auch noch am alten Fleck steht, und ob er selbst wohl
in der Gegend sein mag.

Er kalkt im Garten die Dbstbäume, oder er harkt die Grandwege
und läßt sich von keinem Zuruf in seiner Beschäftigung stören.

„Hallo!" ruft Fiete Puttfarken, „Hallo, Jochen! Wo ist was zu
trinken? Hunger haben wir auch!"

Stühle werden auf der weißgefcheuerten Diele gerückt. Man in-
stalliert sich, trommelt mit den Fäusten auf die Tischplatten.

Urplötzlich bricht der Radau ab und verfällt in Schweigen. Fiete
freut sich immer über die Stadtmenschen, die allen Verstand und ihre
ganze kühle Selbstsicherheit verlieren, wenn das „Auge eines Menschen"
sie prüft.

Lautlos ist die große Frau an der Tür der Gaststube erschienen, wie
daS Bildwerk eines strengen niederdeutschen Malers. Das geschnitzte
Haupt trägt sie wie ein junges Weib auf stolzen Schultern. Die Farbe
ihrer Augen ist Grau, und ihre unheimlich tiefe Klarheit wird umrahmt
von buschig weißen Brauen! Trin Klümp, des Gastwirts und Schulzen
Frau. Junges Lächeln gleitet wie ein Stück Herbstsonne über ihr Ge-
sicht, und mit schnellen Schritten geht sie zu Fiete und streckt ihm die
Hände entgegen.

„Junge du! Uns' Fiete! Nu ist wohl schon wieder 'n Jahr um-

soll man das glauben? Und wie breit du geworden bist!"

Während jeder nach seiner Art sich mit ihr bekannt macht, erscheint
auch Jochen. Er legt seine Hand Fiete auf die Schulter.

„Du weißt wohl nicht mehr, wo der Schnaps steht?" fragt er ruhig.
„Sollte doch meinen, daß du die Hausgelegenheit kennst?"

„Schnaps!" brummt Fiete, „Hunger haben wir!"

„Und du weißt nicht mehr, wo der Schinken hängt und das Messer
liegt?" Jochen ist ehrlich bekümmert —, wie vergeßlich so ein Städter
doch sein kann. „Ich habe dreckige Hände und muß erst die Schweine
füttern."

Nun, wenn Jochen auch findet, daß seine Schweine Vorgehen, so ist
Mutter Trin im Handumdrehen mit nahrhaften Sachen für die Gäste
wieder da. Die Schnapsflasche allerdings rührt sie nicht an. „DaS ist
Männersache", sagt sie, und Fiete muß selbst Gläser holen und ein-
schenken.

Die beiden schlanken Mädel, von denen man glaubt, sie würden nur
in den Sessel einer Teestube am Neuwall passen, hocken auf dem Sofa
und haben Trin gegenüber schon ganz den richtigen Ton gefunden. Die
Hamburger Jungs sind ins Dorf gestrolcht, und in der Gaststube liegt
ein stilles zufriedenes Dämmer. Jochen räumt Gläser auf — da wird
draußen ein fester Schritt hörbar, die Tür geht auf, und ein breiter
Kerl in straffem Anzug tritt ein.

,,'n Dbend, Mudder!"

Sie fällt ihm um den Hals — aber schnell tut sie, als fei das mehr
ein Versehen gewesen, denn die beiden Stadtfräulein sitzen ja auf dem
Sofa.

„Uns Sohn!" sagt sie mit gehemmtem Stolz. „Er ist Lehrer im
andern Dorf."

Seine Hand drückt fest zu. Carla schreit auf, und er wird ganz
verlegen und wendet sich schnell wieder an die Mutter.

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Heinz Rusch: Gang im Walde
Walter Anatole Persich: Die heilige Gallionsfigur
 
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