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Südliche Landschaft R. Baur

„Küster!" sagt Fiele mit seiner süßesten Miene. „Am Sonntag-
morgen fluchst du schon? Zur Buße wirst du zum Frühstück ein GlaS
des Wiedersehens mit mir trinken!"

Da Jochen schon fort ist, muß Fiele sich und seinen Gast bedienen.
Er hat gleich drei SchnapSflaschen auf den Tisch gestellt und schenkt
lustig ein, erzählt — Prosit! — schenkt ein. Jicicf; und nach kommen
die drei vom Heuboden und leisten Gesellschaft. Der Küster sitzt mit
dem Rücken zum Fenster; er sieht nicht, waS Fiele draußen sieht: die
Kirchgänger. Einzeln und zu Paaren nähern sie sich mit zögernden Gang
dem Gotteshaus, blicken zum Turm und staunen das Wetter an: will
denn niemand läuten? Der Küster erzählt von seinen Abenteuern vor
Verdun und bei Ipern, von Stollenkrieg und Minenwerfen-

So sitzen sie in der Runde, bis alle drei Flaschen bis auf den Grund
ausgetrunken sind.

„Jetzt!" denkt Fiele.

„Mensch — Küster! Die Kirche! Du mußt läuten!"

„blnsinn! Es ist gerade jetzt Zeit!" meint er, gießt noch den letzten
Schluck hinter * die Binde und storcht zur Tür. Dann donnern die
Glocken über das Dorf — mitten in der Sonntagsrede des Pfarrers
bricht das metallene Getön über die Gemeinde. „Feuer!" ruft einer. Alle
drängen nach draußen, der Pastor steht ratlos allein auf der Kanzel.
Der Küster reißt an den Tauen im Schweiße seines Angesichts und
muß buchstäblich von den Strängen weggehoben werden.

„Wo brennt's?"

„Brennen? Ich läute zum Kirchgang!"

DaS wird ein sehr unfeierlicher Gottesdienst für die Gemeinde. Sie
prustet und schluckt immer wieder -ein Lachen, und der Küster muß zur
Strafe als reuiger und nun plötzlich nüchterner Sünder auf der ersten
Bank sitzen und sich als Gleichnis verwenden lassen, daß der Böse selbst
einen Mann seiner Stellung verwirren und hänseln kann.

Fiete hat hernach eine böse Stunde bei dem Pfarrer zu verdauen. Er
bittet, gnädig zu sein und kein Disziplinverfahren einzuleiten. Ja, er
läßt der Gemeindekaste gern einen Hunderter zukommen und unter-
schreibt auch im Bericht des Geistlichen feine eigene Schuld — die ihm
vergeben sein soll, da auch für einen Menschen seiner Art ein Gott am
Kreuze starb und wieder auferstanden ist. Amen!

Karl holt Fiete vom Pastor ab und bittet den Küster, ihnen doch die
historische Kirche zu zeigen. Aus dem Altar treten mit feinem Glocken-
spiel die zwölf Apostel hervor. Doch Karl packen so wenig heilige
Schauer wie Fiete, und als der Küster dem Freund ein Bild in einer
Wandnische zeigt, berührt er neugierig die Figuren. Eine ist lose, die
alte Schraube ist verrostet und der Jünger Johannes fällt Karl in die
Hand. Er sucht den leeren Platz auf dem drehenden Halbrund und sieht
es gerade wieder in der Wand verschwinden. In der Furcht, abermals
den eifrigen Küster Angelegenheit zu bereiten, schiebt er die Figur in die
Rocktasche.

Fiete wundert sich, warum Karl am Sonntag hinaus will auf die
Elbe. Bei dem nachmittägigen Deichspaziergang findet er auch Grete
Steven nicht in ihrer Reihe. Am Arm Carlas geht, sehr zärtlich erregt,
der dünne Petermann auS der Korinthenfaktorei. Er weist mit der Hand
zum blinkenden Wasser:

„Siehst du Karl kreuzen? DaS Mädel ist deS Küsters Tochter. Ja,
er hat auch den heiligen Johannes als Gallionöfigur!"

Das letzte weiß Fiete nicht zu deuten, es ist ihm auch einerlei. Ihm
fehlt Grete, das kühle Mädchen mit den verflixten blauen Augen. Ver-
dammt, wären sie doch mit der Flotte nach Cuxhafen gesteuert! Dann
säßen sie jetzt bei sanftem Konzert, und man könnte dies und jenes Wort
so richtig von der Seite aus anbringen. Grete würde schon verstehen —
sie will bloß -nicht —

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