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4 1. JAHRGANG

G E N D

1 9 3 6 / N R. l 7

NilIB1E1LUTNGlENTIRIEÜJ IE AM MITTELMEER

VON CHRISTIAN KOBE

Die Bank, auf der Christof Heinrich lag,
stand dicht am Kai jenes südfranzösischen Ha-
fens, der im Vergleich zu feinem benachbarten
und berühmten Bruder Marseille wie eine kost-
bare Miniature anmutet. Erstes Frühgrau
kroch in den Hafen. Keine Bewegung, kein
Laut. Kein Mastefchaukeln, kein BootSnafen-
reiben. Tiefe Stille.

Christof Heinrich hatte Hunger. Die ganze
Nacht hindurch mit Freunden Wein trinken und
debattieren, ohne die Möglichkeit zu haben, sei-
nem Magen etwas kräftig Eßbares zuzufüh-
ren, hielt er nicht aus. Er hatte sich davon-
gemacht und wartete geduldig, bis die Bar
„Au Pauvre Oiable" öffnete.

Jetzt huschten aus den Seitengassen ein paar
Gestalten, sie erschienen wie Ratten auf zwei
Beinen, zum Pauvre Diable. Dort war Licht.
Der Deutsche räkelte sich auf der Bank; er sah
seinen Wunsch erfüllt.

Schmal und lang ist dieser „Arme Teufel".
Dorn rechts am Eingang quetscht sich die Theke
an die Wand. In einer einzigen, langen Reihe
kleben die Marmortische wie Konsole an der
linken Seite. Unter einem Hafenbild, das
Andre Duval, der einheimische Maler und
nächtliche Saufkumpan Heinrichs, auf die
nackte Wand gemalt hatte, verzehrte Christof
drei Petit8-Paquet8.

Die zweibeinigen Ratten hielten sich nicht
lange auf. Soll man vielleicht noch groß
schwatzen, wenn es an die Arbeit geht? Fischer,
barfuß oder in Sandalen, in Erwartung stun-
denlanger Schaukelei in Nußschalen auf dem
Meere? Magere Steinbruchsarbeiter, Ma-
rokkaner und Neger darunter, mit dem Aus-
blick, nach einer Stunde Fußmarsch in dem
unerbittlichen höllischen Backofen Steine her-
auszubrocken, die so heiß sind wie der beißende
Meißel selbst? Kommen, eine Tasse schwarzen
Kaffee trinken, und beim Gehen ein blaues
Päckchen Zigaretten mitnehmen, geschieht in
wenigen Minuten.

„Voilä le deserteur!“ krähte plötzlich Andre
Duvals Stimme; Stanlios, der Grieche und
Müller, der junge Deutsche, folgten dem tem-
peramentvollen Rufer. Sie ließen sich an Hein-
richs Tischchen nieder. Der Besitzer kam und
fragte, ob sie Kaffee wünschten.

„Keinen Kaffee, Patron, der Herr ist uns
ausgekniffen; zur Strafe muß er eine Runde
Bier ausgeben", befahl der Maler StanlioS.

Duval maulte, wenn man ihn schon in der
Debatte nicht für voll nahm, so hatte er ge-
hofft, sich wenigstens an Champagner schadlos
halten zu können. Nun reizte es ihn besonders,
daß dieser kaum zwanzigjährige Müller sich
mit Stanlios über Malerei unterhielt, ohne

daß sie seine gelegentlichen Einwendungen über-
haupt beachteten. War er, Andre Duval, ein
Nichts? Hatte ihn nicht ein deutscher Kunst-
experte einen zweiten Rousseau genannt?! Mit
Brachialgewalt drang er in das Gespräch ein
und überschüttete Müller mit einem so heftigen
Redeschwall seines Hafenkauderwelsches, daß
dieser immer nur das Wort „peinture" ver-
stand, und daraus schloß, daß von der Malerei
gesprochen wurde. Aber StanlioS verstand.
Plötzlich ruckte sein Kopf: „Halts Maul,
Andre, du redest wie ein Maurer!"

Duval brach ab. Maurer hatte dieser
Grieche gesagt, ihn daran erinnert, daß er auch
heute noch diesen Beruf gelegentlich auSÜbte.
Er stierte StanlioS an. Diesen Hünen, mit
ausladendem Brustkorb und Boxerarmen
konnte man nicht ohne eigene Gefahr in die
Fresse schlagen — aber, eS gab andere Mittel,
ihm eins zu versetzen. Don oben herab, ver-
halten giftig sagte er: „Maurer, StanlloS,

pflegen wenigstens ihr Wort zu halten."

„Was soll das heißen?!" herrschte Stanlios
den Maurer an.

„Seit drei Wochen bleibst du mir hartnäckig
drei Flaschen Champagner schuldig, die du mir,
wie man bei euch Offizieren sagt, auf „parole
d'bonneur" innerhalb vierundzwanzig Stunden
versprochen hattest, lVlon8ieur le Oapitain!"

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Richard Seewald: Aus Griechenland
Christian Kobe: Nibelungentreue am Mittelmeer
 
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