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J U G

41. JAHRGANG

STARBEC

VON CARL

(Sl* saß auf der vorderen Terrasse, eine Zigarre rauchend, und sah dein
Sonnenuntergang zu. Die Sonne selbst blieb ihm verborgen, der westliche
Flügel des Plantagengebäudes stand davor, aber er sah, wie der Himmel
über der Bucht sich rot und gelb färbte und zuletzt von einem lichten Grün
wie von einem zarten Schleier überzogen mar, mährend der Strand und
die Landzunge schon in violetter Dämmerung lagen, mit schwindenden
Konturen. Plötzlich kniff der alte Starbeek die Augen zusammen und
Mars die Zigarre meg. Sie fiel auf den Rasen vor der Terrasse, sprühend
lvie eine verlöschende Rakete.

Er sah durch die Lücke zmischen den Palmen einen Schatten vorüber-
gleiten, und sein erster Gedanke Mar, eS könnte die „Catherine" sein, aber
das mar kaum denkbar. Robert Mar erst drei Tage meg und hatte gesagt,
er werde diesmal ziemlich lange bleiben, mindestens vier Wochen. Es
mußte da irgendeine besondere Affäre spielen, über Einzelheiten hatte er
sich aber nicht geäußert. Heute Maren es erst drei Tage. Starbeck
sprang auf und ging den aschebedeckten Weg zur Bucht hinab. Als er
um den westlichen Flügel kam, glitt eine Brigg in die Einfahrt, geräusch-
los und schnell, lvie eine Vision oder ein Gespenst; schwarz wie ein
Scherenschnitt vor dem grünen Himmel.

In der großen abendlichen Stille konnte man das Rasseln der Kette
hören, als der Anker geworfen wurde. Das Geräusch schien noch einige
Zeit in der drückend warmen Lust über der Bucht zu schweben, bis eS
verging. An der auf eine ganz bestimmte Art geschwungenen Linie deS
Bugs und der Nock des Klüverbaums, die drohend wie eine Lanze in die
unbewegte Luft ragte, erkannte Starbeck, daß es tatsächlich die „Cathe-
rine" war. Die verfrühte Rückkehr seines Sohnes machte ihm Sorgen.
Robert disponierte sonst immer sehr genau. Starbcck beobachtete, lvie
sich von dem schwarzen Spiegelbild der Brigg ein Punkt löste, der beim
Näherkommen heller wurde und die Umrisse eines Bootes annahm.
Seine Unruhe steigerte sich noch, als er sah, daß im Heck dieses Bootes
nicht Robert saß, sondern Spreit, der Steuermann.

„Was ist los?" rief Starbeck ihm entgegen.

Das Boot legte an.

„Sie möchten an Bord kommen, Herr", sagte der Steuermann lang-
sam, während er den Steg herauskletterte. Sein rundes, schweißglänzen-
des Gesicht hatte einen inüden Ausdruck.

„Robert ist doch gesund?" fragte Starbeck unwillkürlich und sah da-
bei in die kleinen, halbgeschlossenen Augen des Steuermanns.

„Vollkommen gesund, Herr." Spreit hob den Arni und lvischte sich
damit übers Gesicht. Als er den Arm sinken ließ, war eS wie ein ge-
heimnisvolles Signal, denn fast gleichzeitig fiel die Dunkelheit über die
Bucht herab, rasch und lautlos. Die Sterne flackerten unruhig, nur dicht
über den Horizont schwebte noch ein schmaler, grünlicher Streifen Helle,
und das Takelwerk der Brigg hob sich so schaus davon ab, daß eS beinahe
schmerzhaft wirkte. Aber dann war auch der Streifen weg, der ganze
Himmel bedeckt, kein Stern mehr zu sehn, und die „Catherine" erschien
wie eine noch schwärzere Stelle in der Finsternis.

Starbeck beugte sich in der Richtung, in der er den Steuermann ver-
mutete, und fragte: „Ist außer meinem Sohn — und der Besatzung —
noch jemand — an Bord?"

Eine kurze Zeit blieb alles still, dann hörte er den Steuermann in
seiner langsamen Sprechweise sagen: „Keine lebende Seele, Herr."

Als das Boot längsseits kam, flammten an Bord zwei Fackeln auf,
und Starbeck sah seinen Sohn in dem unruhig sprühenden Licht am
Fallreep stehn. Er sah merkwürdig fremd aus, aber es war nicht zu
erkennen, weshalb. „Kommst Du nicht an Land?" erkundigte sich Star-
beck, während er das Fallreep Hinaufstieg.

END

1936 / Nr. 20

KSSOHN

CONRAD

„Ich muß weiter", sagte Robert leise, fast flüsternd, und eS war
überhaupt eine ungeheure Stille an Bord. Zwar schlich zuweilen einer
der Malaien rasch durch den Lichtschein der Fackeln, aber eS war, als
fürchte sich jeder, laut aufzutreten, zu sprechen oder sonstwie ein Ge-
räusch zu verursachen. Diese Stille war so faszinierend, daß auch Star-
beck unwillkürlich flüsterte, als er wieder zu sprechen begann.

„Du wirst doch wenigstens bis morgen bleiben", sagte er, „Frisch-
wasser einnehmen und so."

„Wir haben die Tanks erst in Rangho neu gefüllt, auch Proviant ge-
nommen, — wir sind fertig — für eine lange Fahrt." Er trat aus dem
Licht der Fackeln hinaus, und sofort hatte die Finsternis ihn gleichsam ver-
nichtet. Starbeck fühlte für einen Augenblick etwas wie Angst.

„ — eine lange Fahrt?" echote er in das Dunkel hinein.

„Ja, Vater", hörte er die gedämpfte Stimme seines Sohnes, schon
entfernt, „komm Vater."

Starbeck wollte die Richtung gehn, auS der er die Stimme gehört
hatte, aber fast gleichzeitig warfen die beiden M'alaien ihre niederge-
brannten Fackeln über die Reeling. Die Finsternis war wie eine unbarm-
herzige Mauer, so mußte die Finsternis gewesen sein, die vor allem Licht
war. Starbeck bewegte sich nicht von der Stelle, und dann hörte er,
lvie Robert sagte: „Niedergangslicht an!"

Obgleich der Befehl sehr leise gesprochen war, mußte er doch gehört
worden sein, denn kurz daraus ging das Licht über dem Niedergang an.
Nun konnte Starbeck das Gesicht seines Sohnes in dein vollen Lichtschein
genau betrachten. Es war stellenweise geschwollen, und blau ange-
lausene Beulen über dein linken Auge und beiden Backenknochen.

„Na, .gestoßen?" fragte Starb eck, während er stehen blieb.

Robert ging eine Stufe tiefer. Nun war sein Gesicht im Schatten.

„Geschlagen", sagte er.

„Wer?"'

„Ich selbst."

„Aus Ungeschick?"

„Nein." Er ging weiter den Niedergang hinab. Starbeck folgte ihm.

„Ich will mich nicht aufspielen, weil ich Dich kommen ließ", sagte
Robert, „ich wär' schon selber an Land gegangen. Aber ich kann nicht
von Bord. Ich kann einfach nicht von Bord. Die — die Trennung —
ist zu schwer. Kannst Du — das verstehen?"

Starbeck erinnerte sich, daß Robert einmal verhältnismäßig eingehend
über ein Mädchen gesprochen hatte, das Catherine MooderS hieß. Sie
mußte auf einer der Inseln wohnen, mit denen Robert Handel trieb, und
mußte sich ziemlich für sie interessieren, hatte auch die Brigg nach ihr
benannt. ,Eines Tages nehm ich sie einfach mit, und wenn die Tanten
den Veitstanz kriegen', hatte er gesagt, aber Starbeck nahm eS damals
nicht ernst. Jetzt, wie er hinter seinem Sohn den Niedergang Hinabstieg,
nahm er es ernst, und befürchtete, eS habe da irgendwelche unvorherge-
sehenen Schwierigkeiten und Verwicklungen gegeben.

„Ist — irgendetwas — schief gegangen?" fragte Starbeck, aber
Robert antwortete nicht, wenn man nicht das Öffnen der Kajütentür und
das Beiseiteschieben des Vorhangs für eine Antwort nehmen wollte. Die
Geste, mit der eS geschah, ließ diese Vermutung zu.

Die Luft in der Kajüte war heiß und stickig, in ihr zu atmen war
eine Energieleistung und machte nicht froh. Starbeck sah sofort auf dem
großen Tisch das Leinentuch mit irgendetwas darunter. Die Kajüte hatte
sich sehr verändert; außer dem Vogelbauer, der über dem Tisch zwischen
den Deckslichtern hing, und dem unangenehm gelben Kanarienvogel in
ihm, der schlafend mit eingezogenen Kops wie ein Wolleknäuel aus seiner

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Carl Conrad: Starbecks Sohn
 
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