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Hände einer alten Frau

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Sie sind von Lausend Falten übersät,

die wie mit Stolz von hartem Schicksal zeugen.

Sie kannten Arbeit nur, von früh bis spät,

und lernten dies: in kleinstem Dienst sich beugen.

Wohl haben sie von ihrem Glanz verloren
und tragen Spuren mancher harten Bürde,
doch edel scheinen sie und voller Würde,
als wären sie zu höchstem Amt erkoren.

Ihr Größtes aber ist: sich stets zu regen
und ohne Weisung und wie ungesehen
in ihres Werkes Werden auszugehen.

Nur abends, müde und ermattet, legen

sie still sich ineinander; dann erflehen

für neues Tagwerk sie des Schöpfers Segen.

Jörg Ratgeb

Kapitel aus einem noch unveröffentlichten Roman

Von Georg

Langsam schritt Barbara durch den leeren Schenkengarten. — Frühes,
gelbes Laub lag auf dem Boden. Eine Magd räumte auf. Hinter
dem Pförtchen, auf das sie zögernd die Hand legte, welkte ihr kleiner
Kraut- und Blumengarten. Ihr Blick flog über das werte, blaudunstige
Tal: die Dohle saß schon auf den Furchen der umgestürzten Äcker, auf
den vergilbten Wiesen fuhren die Bauern mit dem Gillewagen.

Sie bahnte sich einen Weg durch die widerspenstigen Beerenbüsche, die
dornig nach ihr auslangten; verdorrtes, schwarzes Bohnenstroh raschelte
an den Stangen.

„Barbara!" sagte eine Stimme. Das Mädchen schrak zusammen und
preßte ihre Hände um den Schurz, in dem sie Bast und Sackleinwand
trug.

In der halboffenen Laube, vor dem kleinen Tisch saß der Gast.
Wußte er, daß sie in den Garten kommen wollte?

Er faß ruhig da und wartete.

„Du wunderst dich, Barbara?" sagte er lächelnd, „ich bin in dein
Reich eingedrungen. Es gefällt mir in deinem Garten."

„Das freut mich!" sagte sie staunend und blieb stehen.

„Schöner war die Welt", rief der Maler und deutete mit der Hand
in eine unsichtbare Ferne, „dort, wo ich war, wo ich herkomme, aber
lieblicher und inniger ist sie nicht! Wie heißt das Gäu?"

„Nach der Zaber!" antwortete sie, nahm ihren Schurz ab und
breitete ihn auf der Erde aus.

„Ungern werd' ich euer Tal verlassen, vielleicht schon morgen!" ver-
suchte er im gleichgültigsten Tone zu sagen.

„Morgen schon?" wunderte sich daS Mädchen.

„Wenn ich kein Fahrender wär', wie euer Morlock mich nennt,
wenn S mich nicht hin und her triebe — aber meine Kunst —"

„WaS tätet Ihr dann?" fragte Barbara.

„Dann bliebe ich gern bei euch hier!" Er wurde schweigsam und
sah unter den Tisch.

Sie nahm den Bast aus der Schürze und legte sich die Fäden zurecht.

„Was sagst du, Barbara?" fragte er nach einer Weile nebenbei,
„wenn ich übers Jahr zurückkäme und hätte eine schöne Mutter Gottes
oder eine Kreuzigung in eine Kirchen gemalt?"

„Ich halte dafür", sagte das Mädchen aufmunternd, weil sie merkte,
daß seine Seele kindlich war, „daß Ihr das alles könnt — und noch
viel mehr; daß Ihr etwas Großes malen werdet!"

Schwarz

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„Es tut mir wohl, daß mir eine einfache Seele Vertrauen schenkt!"
gab er zurück, hob den Kopf und schaute sie an, „auch daß du es bist,
Barbara!" fuhr er fort, „blnd du weißt doch nicht viel von mir!
Wiederkommen will ich und dir von meinem Bild erzählen, wenn ich's
gemalt habe!"

„Ich will es aus Eurem Munde hören!" sagte sie und ihre Augen
leuchteten auf.

„blnd wenn du dabei wärst?"

„In der Kirche, um eS zu sehen?"

„Wenn ich es male."

Ihre Hände drückten den Bast unwillkürlich zu einem Knäuel zusam-
men, so erschrak sie.

„Mein Vater ist ein alter Mann", gab sie hilflos zur Antwort,
„und mir verbietet's der Herr, dem wir zinsen, in ein anderes Land zu
gehen!"

Er stand auf, wollte auf sie zugehen, blieb aber stehen und schloß
die Hände zu Fäusten auf der Brust.

„Wollt Ihr denn nichts trinken?" suchte sie ihn abzulenken, „Ihr
sitzt so leer da — und mir ist noch gar nicht eingefallen, Euch danach
zu fragen."

„Ich wollte dich nicht darum bitten, Barbara", sagte er zart, „sollst
nicht meine Magd werden, sein e", er deutete auf den Burgberg, „bist
du schon!"

Sie warf den Bast beiseite und lief eilends weg.

Er wußte nicht, wie ihr war und rief ihr besorgt nach; sie antwortete
mit einem freundlichen Lachen.

blnruhig ging er auf und ab, setzte sich wieder in die Laube; als er
sie kommen hörte, ging er ihr entgegen.

Sie brachte Krug und Becher.

„Ihr seid nun inein Gast!" sagte sie heiter und setzte den Wein auf
den Tisch.

„Barbara!" brach er ungestüm auS und ergriff ihre Hand, „dich kann
ich immer in meiner Nähe sehen! Dich lieb' ich! — Jst's nicht gleich,
ob du bei mir Not leidest — oder da? Eine Not wirst du immer
leiden müssen!"

Sie ließ ihm die Hand und sagte: „Aber was wollt Ihr von mir?
Ich habe einen Vater ..." und als er schweigsam wurde, hob sie ihr
Bündel auf und ging an die Arbeit.

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Ernst Theo Rohnert: Hände einer alten Frau
Georg Schwarz: Jörg Ratgeb
 
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