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Älteste und
führende Zeitschrift
auf dem Gebiet der
neuzeitlichen und
künstlerischen
Raumausstattung

47. JAHRGANG / HERAUSGEBER: H O F R A

Die

bringen würde. Dieses Vorhaben stimmte Achill
äußerst düster.

Das Paar wählte für die Ausführung einen
Abend, an dem Fabre-Marechal, stolz auf feine
Eroberung, diese in eine Art Tanzklub aus-
führte. Marthe sollte auf ihre Heimkunft war-
ten, die Waffe in der Tasche ihres SchürzchenS.

Das Tanzlokal war voll Menschen und
Gedränge. Niemand wagte sich dem geheimnis-
vollen Tisch zu nähern, an dem Fabre-Marechal
seinen Triumph genoß. Achill, der sich nicht mehr
um seine Rolle kümmerte, bot den Zuschauern
einen einzigartigen Anblick. Tatsache ist, daß
Achill unter seiner Schminke, seinen falschen
Augenwimpern und seinen Schleiern ein mehr
und mehr jugendhafteS Gehaben an den Tag
legte. Er hörte nicht mehr auf die Kapelle, sah
nicht mehr die Luster, achtete nicht mehr auf die
buntfarbenen Papierbälle. DaS Herz von einer
unnennbaren Traurigkeit bedrückt, unfähig, die
Abneigung zu verbergen, die er gegen seine
schmähliche Undankbarkeit empfand, hing er
seltsamen Hirngespinsten nach, sah sich, wie er
Marechal in den Wagen folgte, sich ihm zu
Füßen warf, ihm alles eingestand, ihn bat, gütig
zu sein, ihn wie einen Sohn zu behalten. Er
würde Marechal die Wahrheit eingestehen!
Marechal würde ihn nicht davonjagen, würde
verstehen, verzeihen ... Er hatte eine gute Seele,
ein sanftes Herz... Ein Zusammenzucken: und
Achill fand sich wieder in der Tanzdiele, ange-
streift von den Tänzern, angeblickt von dem ein

IMS DlHIGllCHt HEIM

INNEN

DEKORATION

DR. ALEXANDER KOCH

wenig angetrunkenen Marechal, gemustert von
hundert Augen. „Gehen wir", sagte er.

Oben auf der Marmortreppe, die in die Halle
hinunterführte, war es, daß die Katastrophe
eintrat. Achill, in Gedanken verloren, wenig seiner
Rolle einer eleganten Frau eingedenk, hatte sich
soeben seinen Pelzmantel um die Schultern legen
lassen, als er unten auf einem der Absätze der
mächtigen Treppe Viktor, seinen Mitschuldigen
am Einbruch, in der Uniform eines Liftjungen
erkannte. Das weitere spielte sich so rasch ab,
daß ich zu einer Art Zeitlupe greifen muß, um
eS zu beschreiben.

Nach einem Schrei: Viktor! und einem schril-
len Pfiff, hervorgebracht durch das Hineinstecken
— seltsam anzusehen! — ringgeschmückter Fin-
ger in knallrote Lippen, schwang sich Achill, als
ritte er auf dem Tod selbst, im Reitsitz auf daS
Marinorgeländer und entglitt den offenen Mün-
dern des Hoteldirektors und Fabre-MarechalS.
Der arme Kerl, Opfer der Reflexhandlung eines
. Straßenjungen, in seine Träume und seine Röcke
verwickelt, hatte nicht an diese Behinderungen
gedacht. Was genau geschah? Man hörte schreien
und plötzlich, von einer Sekunde auf die andere,
wandelte sich diese himmlische Gleitfahrt in
etwas Furchtbares, Verhängnisvolles, Regloses,
Blutüberströmtes, Erledigtes, der ewigen Stille
der Zerstörung Geweihtes.

Die Menge stürzte herzu. Fabre-Marechal,
Stufe um Stufe, den Zwicker in Unordnung,
stieg hinunter zu einem Fächer aus Hahnen-

federn und Schleiern, einem kleinen Etwas, das
zerschmettert am Boden lag, und über dessen
Artung jetzt kein Zweifel mehr bestehen konnte.

Ein weißes Tuch war über den Körper gebreitet
worden, aber jedermann hatte Zeit gehabt, sich
am Anblick des Industriellen zu weiden, der mit
aufgerissenen Augen auf die entschleierte Gestalt
starrte. Verfolgt von einem anzüglichen Ge-
flüster, ging Marechal zu seinem Wagen.

Einem umso spöttischeren Geflüster, als der Un-
glückliche Viktor mit sich entführte, einzigartige
Vereinigung von Möglichem und Unmöglichem,
diese seltsame Antigone im Kostüm eines Liftboys.

Im Wagen, während der Kopf Marechals
auf seiner Brust rollte wie der Kopf eines Ent-
haupteten, redete Viktor und redete. „Machen
Sie sich nichts daraus", erklärte dieser Optimist.

„Es gibt nicht nur diesen armen Achill auf der
Welt. Sie werden sich trösten. Ich, zum Beispiel,
wenn Sie mich so anschauen, sehe nach nichts
aus; aber wenn ich mich als Frau anziche, Sie
würden sagen Marlene Dietrich!"

Man kam an, stieg hinauf, läutete. Marthe
lauerte auf dieses Läuten, im höchsten Grad der
Nervosität. Als sie den Mund auftun wollte:

„Gib dir keine Mühe", erklärte Viktor: „Der
Herr weiß alles."

Der Herr wußte nichts, begriff nichts. Ge-
scheitert, hingeschmettert in seinen Lchnstuhl, sah
er der Reihe nach stumpfsinm'g Viktor an, dann
Marthe, die Möbel, die spukhafte Einrichtung,
die hier zusammengetragen worden war in der
unklaren Hoffnung, hier glücklich zu leben. Eine
dicke Träne rollte seinem Nasenflügel entlang,
heftete sich an die Haare des grauen Schnurr-
barts.

Marthe sah die Träne und mißverstand sie.
Viktor hatte ihr soeben die Augen geöffnet. Voll
Eifersucht riß sie den Revolver heraus, zielte,
schoß.

Man kennt den Skandal der Gerichtsver-
handlung. Vom Untersuchungsrichter befragt,
sagte Marche aus, daß sie ihre Tat bereuen
müßte im Hinblick darauf, daß Marechal ein
braver Kerl gewesen, aber daß sie im Grunde
nichts bereue, da sie nicht leben könne ohne Achill
und daß dieser arme Herr auch nicht hätte leben
können, „verliebt wie er laut Protokoll war in
ein Phantom."

Berechtigte Übertragung
von Hans B. Wagenseil.

Original-Aphorismen

Von Johann Diedrich Warnken

Es gibt Zeiten, die weder durch Arbeit
noch durch Ausschweifungen, sondern
nur durch Stumpfheit zu überwinden sind.

*

Oft ist das Falscheste was man tun
kann, daß man das „Richtige" tut.

*

Wie schwer wird doch dem Menschen jede
Lüge... von der er sich keinen Vorteil
verspricht!

*

Einer Jugend voller Illusionen folgt
immer ein A l t e r voller E nttä uschungen.

Münchner „Jugend“ Bezug zu nehmen

Bei etwaigen Bestellungen bittet man auf die

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INNEN- DEKORATION

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VERLAGSANSTALT ALEXANDER KOCH g.m.b.h.

1936 / J U Q E N D Nr. 49
Register
Johann Dietrich Warnken: Original-Aphorismen
 
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