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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 42.1937, (Nr. 1-52)

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4 2. JAHRGANG

193 7 / NR. 1 2

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DER FÖHN

Es war ein Föhn aus Süden geweht
über das Land,

als ob der Herrgott darüber geht
mit offner Hand.

Auch über den See, die Tiefe klar,
er wärmend strich

und über die Welt, der Wärme bar,
und über mich.-




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Aufn. Agfa

Und als seine Hand, ganz lind und sacht,

mein Haar berührt',

hab ich die Güte, selig entfacht,

in mir gespürt.

Paul Grabau

DIE BUGA

VON GERHARD SCHELCHER



Durch weiches, welliges Gras der Savanne trabt mein Brauner.
Der Morgenwind streicht singend über die weite Fläche, schüttelt
die nächtlichen Tauperlen, die wie glitzernde Demanten an den
Halmen hängen, herab und verwandelt die unabsehbare Fläche
in ein leicht wogendes Meer, auf dem einzelne Baum-und Strauch-
gruppen wie verlorene Inseln schwimmen. Aus flacher Niederung
heben sich weißliche Nebeldünste. Kaum dem feuchten Boden
entstiegen, werden sie von den Strahlen der rasch steigenden
Sonne zerrissen, aufgesogen und zerflattern wie irrende Vögel
im leichten Winde, nur die kleine Felskuppe dort oben oder jene
mächtige Adansonie fängt noch einen kleinen Fetzen ein, um ihn
für kurze Augenblicke festzuhalten.

Lange Ketten Perlhühner stehen mit lautem Plärren auf, als ich
eine Baumgruppe umreite, und fallen einige hundert Meter weiter
ins Pori ein. Dort werden ein Paar Duiker, die zierlichsten Anti-
lopen der Steppe, von der Größe eines Hasen, hochgescheucht
und flitzen in graziösen Sprüngen durch das niedere Buschwerk.
Gespenstisch, auf lautlosen Sohlen kreuzt eine Hyäne meinen
Weg. Sie hatte sich wohl am Aase bei nächtlicher Mahlzeit
verspätet und sucht nun eilig ihren Schlupfwinkel auf. Denn die
Tiere der Steppe lieben nicht das grelle, unbarmherzige Licht des
Tages, erst die kühle Nacht lockt sie aus ihren Verstecken im
dichtesten Busch, in Felsspalten oder unter weit überhängenden
Uferrändern der jetzt trockenen Regenflüsse hervor.

Ein Gefühl nie gekannter Freiheit weitet mir die Seele in der
großen Einsamkeit der Buga. Alle Sorgen und Nöte der Menschen,
alle Hast und Unrast des täglichen Lebens scheinen so fern und
unbedeutend, so unwirklich in der gewaltigen Natur. Ziellos,
zeitlos trabt mein Brauner hinein in den goldenen Tropentag.
Die Sonne läßt unsern Schatten kürzer und kürzer werden. Ich
blicke in die Runde. Ringsum gewaltigste, erschütternde Mono-
tonie. Ein leiser Schauer durchdringt mich. Wo bin ich, was bin
ich kleiner Wurm, und wie soll ich wieder hinausfinden aus
diesem göttlichen Meere der Ewigkeit, das nicht Weg und Steg
erkennen läßt, dessen immer gleiche Wogen mich willenlos
dahinzutragen scheinen in unmeßbare Fernen?

In der endlosen Buga, der afrikanischen Steppe, überfällt uns mit
bis ins Tiefste erschütternder Wucht die Erkenntnis der Hoffnungs-
losigkeit, jemals Zeit und Raum begreifen zu wollen. Sie sind
Worte, nichts als Worte. Was ist Raum, wenn ich nicht weiß, wo
er endet, was Zeit, wenn ich nicht weiß, wie lange sie währt?

Ich halte auf kleiner Anhöhe. Weit, unfaßbar weit dringt der
Blick in der klaren Luft, aber es ist unmöglich, in der Ferne für das
Auge einen Ruhepunkt zu finden. Nirgend ein Ende, eine Begren-
zung, die Gegenstände scheinen wie Schatten immer weiter zu-

rückzuweichen, um sich schließlich im Wesenlosen, Undefinier-
baren aufzulösen, zu zerfließen. Einige tausend Meter vor mir
erkenne ich noch Bäume, Sträuchen Felsen, weiter fort noch vage
Schatten, deren Konturen in ewig unruhigem Fließen zu zerrinnen
scheinen. Dahinter nur noch eine graue Wand ohne Substanz,
durch die hindurch das Auge in unfaßbare Weiten zu dringen
vermeint.

Ich blicke auf zum stahlblauen Himmel, der sich wie ein Dach
aus hartem Glas über mir wölbt, meine, ich müßte diese gewal-
tige Kuppel irgendwo den fernen Rand des kleinen Planeten
berühren sehen. Vergebens! — Das reine Blau des Gewölbes
wird matter und matter, vermählt sich mit dem Grau der fernen
Steppe, ich weiß nicht, ob die rätselhaften Dunstgebilde, die da
weit draußen dem Blick einen Halt zu bieten scheinen und ihn
doch immer tiefer in sich einsaugen, noch die Unvorstellbarkeit
des Alls oder die Feste der Erde sind.

Eine namenlose Angst überfällt mich urplötzlich. Es ist als wanke
der Boden unter mir, als sei ich selbst nur ein Atom im Wesen-
losen, Unfaßbaren, das rund um mich alles Vorstellbare zu ver-
flüchtigen, in sich aufzulösen scheint. Mir ist's, als hätte mich für
einen kurzen, unmeßbar kurzen Augenblick die Ewigkeit mit ihren
Flügeln gestreift, als hätte ich einen verbotenen Blick in das
sakrosankte Heiligtum der Unendlichkeit getan, und was ich dort
sah — nein, ahnte, hat mich zutiefst erschüttert.

Das Maultier spitzt die Ohren, bläht die Nüstern. Ist auch ihm
die tiefe Einsamkeit des Alls unheimlich, oder wittert es einen
verborgenen Feind? Ich treibe es an und lasse ihm die Zügel.
Soll ich mich vermessen, dem Geschöpf einer unbegreifbaren
Natur die Richtung zu weisen hinaus aus dem urewigen Kreislauf
des Alls, zurück zur kleinen, begrenzten Welt der Menschen? Bin
ich doch nur ein winzig Tröpfchen in dem endlosen Meere, in dem
ganz aufzugehen höchste Lust sein müßte, — wenn nicht die
furchtbare Angst vor dem Unbekannten mir die Brust zuschnüren
wollte.

Willenlos überlasse ich mich dem Instinkt des Tieres. Es wendet
und trabt an. Durch wogendes Gras und lichten Busch, über
Hügel und durch Niederungen trägt es mich sicher, ruhig, als sei
es in seinem Element, bis zur Rechten Telegrafenstangen sichtbar
werden. Einen Augenblick verharre ich an einem dieser fremden
Pfähle, höre in seinem Innern ein leises Summen. Zu meinen
Häupten zieht ein feiner, in der Mittagssonne rot leuchtender
Kupferdraht durch die Wildnis, ein dünner Faden nur, kaum sicht-
bar in dem Pflanzengewirr des Poris, doch ein untrüglicher Weg-
weiser bis zu dem kleinen und doch so mächtigen Geschlecht:
der Menschen. — In schlankem Trabe geht es längs der Linie
ins Lager. Ich hatte für den Bruchteil einer Sekunde eine andere
Welt erschaut — oder meinte ich es nur? — und war bis in die
tiefste Seele erschrocken.

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Paul Grabau: Der Föhn
Gerhard Schelcher: Die Buga
 
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