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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 42.1937, (Nr. 1-52)

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J

4 2. JAHRGANG

D

1 93 7 / NR. 15

WESTDEUTSCHE REISE

Von Dr. Max Gaer.ßler-München

Straßburg

Aus weiter Ebene ragt ein behelmter Turm neben seinem halb-
fertigen Bruder, von dessen Plattform der junge Wolfgang Stadt
und Land im Genieübermut seiner Frühzeit grüßte.

Im Dome sind Jahrhunderte versteint. Brünstige Jenseitssehnsucht
hat ihn gebaut, im Übergänge von düster lastender Romanik zu
schwungbereiter Gotik; noch ist Ringen und deshalb pulsendes
Leben in diesem Stil, fern jeder Erstarrung zu rechnerischer
Dogmatik. In ernstem Templerschritt wandern die Pfeiler, far-
biges Licht aus riesigen Fenstern umfließt sie mit weichem Däm-
merstrom, der Aysis und Vierung zu gralsheiligem Geheimnis
verschleiert. Wohin ist die Kraft geschwunden, die solche Säulen
türmen und diese Gewölbe schließen konnte? Die Bildner solcher
.Werke glaubten, was sie schufen und dieser Glaube strömt
noch auf uns nachgeborene Zweifler, wie Sandelduft aus alten
Balken.

Altstadtwinkel bergen Häuser voll Fachwerk und zieren Ge-
schnitz, aus der Zeit, da das Deutsche Städtehaus sich aus dem
ursässigen Bauernhof entwickelte und noch nicht vom Stein-
palast des Südens verdrängt war; greisenmüde senken sich die
Giebel, als hätten sie zuviel erlebt an Schlachten und Feuers-
brünsten, Kaiserherrlichkeit und Jakobinerfreiheit, Pest und
Glaubenskriegen.

Ein Führer, der Deutsch mit französischer Betonung spricht, zeigt
die „Prefektur", einst die deutsche Regierung — und ein
Museum, im früheren Kaiserpalast; so erleben wir die Verwi-
schung deutschen Landes, der Stadt — die Goethe geliebt, und
Heine besungen, in der Erwin und Gottfried in Stein und Wort
dichteten. Fürwahr: „Von Straßburgs Schanz weiß ich ein traurig
Lied."

Hiersau

Durch Tannentäler klunkert die Nagold zwischen Wiesen, auf
denen Frühblumen stehen, darüber ästen blühende Kirschen und
Zwetschgen — Hans Thoma's Schwarzwald.

Grünumsponnen träumen die Reste Hiersau's, von dessen Grün-
dung eine neue Klosterwelt ausging, jetzt nur mehr ahnbar aus
verschüttetem Grundriß, auf zersprungenem Boden und aus Kreuz-
gangwänden in den köstlichen Stabspielen der Vollgotik; dar-
über ein plumper Turm mit unbeholfenen Steinbildern. Alle
Geschichte ist Vergehen — es gibt bereits christliche
Tempelruinen, aber diese nicht von Glaubensfeinden geschaffen,
sondern vom Feldherrn des „allerchristlichsten" Königs.

Am Eingang dieser versunkenen Welt haftet ein Plan, aus dem
zu erkennen, was hier einstens gewesen; man vergaß darunter
zu schreiben: „La France marche toujours ä la tete de la civili-
sation."

Maulbronn

Maulbronn, eine frühmittelalterliche Klosterstadt, jener Zeit, da
alle Kultur dem Krummstab entblühte und aus enger Zelle in die
Welt floß, in deren Eichenwäldern erst der irische Bonifatius
vorgedrungen war.

Für die arbeitenden Laien ein Dorf aus Lehm und Holz, daneben
die „Residenz" der heiligen Brüder, herrlich gefügt, aus wuch-
tendem Stein; das Gotteshaus ernst, aber doch von Farben
durchblüht, ist jetzt reformatorisch ausgekahlt, mit entzückenden
Durchblicken zwischen Lettner und Pfeiler und einer weitladen-
den Vorhalle — das „Paradies", in dem sich Romanik und Gotik

phantastisch ineinanderspinnen. Der Glanzpunkt ist der Kreuz-
gang mit den anstoßenden remterartigen Kapitalsälen und dem
märchenzierlichen, wie aus einer Alhambravision geborenen
Brunnenhaus — alles gewoben aus den Steinspitzen ornaments-
froher Gotik.

Bruchsaal

„Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein."

Die Abtötung überwuchert heißer Lebenshunger. Gotik ist Erotik
geworden. Wo starre Pfeiler wuchteten, biegt sich tändelndes
Rankenwerk, an Stelle brünstiger Marterszenen schäkern arka-
dische Liebespaare — Watteau führt den Pinsel, kein Choral

Münster zu Freiburg i. Br. phot. E. Baumgartner

mahnt zu entsagender Buße, Geigen locken und Flöten. Das
Rokoko hat die Gotik besiegt, wie jauchzender Lenz den ein-
gefrorenen Winter. Wir sind in Bruchsaal's Fürstenschloß, auch
ein „geistlicher" stadtgroßer Sitz; aber wer hier regiert, schleicht
nicht in härener Kutte, — Herrscherpurpur ummantelt ihn; kein
gruftentstiegener Psalmensang bricht sich an kahlen Mauern —

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Register
E. Baumgartner: Münster zu Freiburg
Max Gaenßler: Westdeutsche Reise
 
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