Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 42.1937, (Nr. 1-52)

DOI Heft:
Nr. 15
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6784#0229
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
chansons d'amour lüsteln um Perücke und Reifrock; hier liest
man Boccaccio, nicht Thomas von Aquin.

Auch diese Welt hat Gott gewollt und schön geschaffen. Die
reiche und doch so zarte Melodik des „Kaisersaales", in dem
sich Farben und Formen zu wohligem Gleiten ineinanderschieben,
hat ihr Gegenstück in Mozarts Götterweisen.

Speyer

Von den geschichtlichen Stätten des „alten Reiches" ist der
Dom zu Speyer eine der köstlichsten, schon um seiner Lage am
schilfigen Rheinufer.

Als die Kraft ritterklirrenden Kaisertums am mächtigsten war, hat
sie hier ein Werk getürmt — grunddeutsch und fromm —, aber
noch nich kanossafeige. Feinstes Raumgefühl hat diese Schiffe
aufgestaut — weit, lichtvoll und doch beterernst; das empfindet
man auch heute noch, trotzdem kunstgelehrter Wiederherstel-
lungswahn die Riesenglieder mit süßlicher Farbe überkleistert
hat.

In diesen Hallen entschieden Reichstage Europas Schicksale, sie
durchbrauste der „Gott-will-es-Sturm" aufgestachelter König-
fahrer; in den Krypten schlafen die Reckengestalten deutscher
Könige, nachdem man ihr von Franzosenwut zerstreutes Gebein
wieder gesammelt.

Ein Wunder sind Querschiff und Vierung — erfüllt von goldenem
Lichtglanz, der wie aus Paradieseshöhen niederfließt; in ihm
schweben Kaiserkronen und Diademe wie Sterne, die man nicht
begehrt.

Freiburg

Die Kirche hat den Münster zu Straßburg, — die Krone den von
Speyer erbaut; das Bürgertum ließ Freiburgs Gotteshaus er-
wachsen — mitten im Herzen der Stadt, auf dem Markt; Handels-
häuser umzirken den Platz, auf dem der Budentroß der Alltäg-
lichkeit lärmt; trotz allem Ernste hat das Werk etwas Heiteres,
denn es schließt sich nicht finster von der Welt ab; mit seinem
hallengroßen Portal und den vorgeschobenen Freisäulen stößt
es mitten ins Lebensgewühl und zierfroh ragt der vielleicht

Der Dom zu Speyer phot. 3aeger'sche Buchh.

schönste Turm Deutschlands. Eine geschlechterstolze Gemein-
schaft schläft in den prunkvollen Gräbern der schmalen Hoch-
chorkapellen.

Das Wunderwerk des Turmes ist ein echt deutscher Gedanke, er
ist zuengst mit dem Bau verschmolzen und löst diesen gleich
einem Tonthema zuletzt in schwindelnder Spitze auf — ein
schärfster Gegensatz zu dem planlos danebengestellten süd-
lichen Kampanile.

Wie eine Riesenfuge wächst Freiburgs Turm jubelnd und erlösend
aus dem Kirchenleib; fein liegt der leichtere Oberteil in umge-
kehrtem Rhythmus auf dem festen Unterbau und löst dessen
ernstes Thema in leichte Folgen bis zum ätherfreien Ausklang
der schon himmelumblauten Helmrose.

„Das nenn ich mir einen Abgesang — seht, wie der ganze Bau
gelang."

eine

Von Kurt Günther von Fischer

Als die ersten weiß-goldenen Strahlen der Morgensonne ins
Zimmer fielen, saß Laura schon munter und vergnügt auf der
oberen Kante des Bücherkastens und fuhr sich mit dem rechten
Vorderfuß sanft übers Gesicht. Dann klappte sie den Rüssel
etliche Male auf und zu, um einige daranhaftende Staubteilchen
zu entfernen, streckte hierauf die beiden Vorderbeine wohlig ins
Morgenlicht, verlegte ihr Körpergewicht ganz auf das dritte und
vierte Bein und mit dem fünften und sechsten polierte sie sorg-
fältig ihre Flügel. Denn Laura hielt streng auf Reinlichkeit und
außerdem wußte sie, was sich für eine Stubenfliege in ihrem
Alter schickt.

Plötzlich wurde Laura aufmerksam. Ein gelbes, blitzendes Ding,
das in der Nähe der Türe am Boden lag und das Sonnenlicht
reflektierte, erregte ihre Neugierde. Sie lief eilig bis zur
äußersten Kastenkante und versuchte zu sehen, was es sei, aber
die Entfernung war zu groß. Also stieß sie ab und sauste in
einer eleganten Linkskurve durchs Zimmer auf das Ding zu. Zu-
erst zog sie vorsichtig ein paar Kreise. Aber da das Ding sich
nicht bewegte und auch nicht besonders roch, ließ sie sich
sanft darauf nieder.

Laura war eine intelligente Fliege, daher hatte sie bald heraus,
was es war. Es war so ein Ding, wie die Menschen es ver-
wenden, um sich damit durch die Haare zu fahren. Laura hatte
Ähnliches schon öfter beobachtet.

Während sie noch darauf herumkrabbelte, ging plötzlich die Tür
auf und der Luftzug wehte Laura weg. Herein kamen Herr una
Frau des Hauses; hinter ihnen schob das Mädchen den gedeck-
ten Frühstückstisch. Laura spazierte soeben auf dem glatten
Linoleum herum, was ihr großes Vergnügen bereitete, als ein
Geschehnis ihr regstes Interesse in Anspruch nahm. Die junge,
hübsche Frau bückte sich nämlich mit einem leisen Ausruf und

steckte blitzschnell den Gegenstand zu sich, den Laura früher
betrachtet hatte.

Der Gatte drehte sich um. „Was hast du da aufgehoben?"
„Ach, gar nichts!" sagte die schöne Frau möglichst unbefangen.
Laura hätte vor Scham über die dreiste Lüge erröten mögen,
aber bei einer Fliege ist dies nicht gut möglich. So sträubte sie
also nur ihre Rückenborsten, um ihre Verachtung kundzutun.

Die Stimmung beim Frühstück war gereizt. Laura hörte sich die
bissigen Bemerkungen, auf dem Rande einer Kaffeeschale sitzend,
an. Dann naschte sie ein bißchen von dem braunen Teich. Aber
sie wurde verjagt und zog jetzt ruhige Kreise über der Zucker-
dose. Die Eheleute zankten sich. „Du verheimlichst etwas vor
mir!" sagte der Mann mißtrauisch.

„Ich — aber wieso denn?" antwortete die junge Frau im Tone
der verfolgten Unschuld.

Die Fliege Laura war über diese neuerliche Unwahrheit erbost.
Sie wollte den Gatten darauf aufmerksam machen, und da sie
es nicht anders wußte, summte sie so laut sie konnte und voll-
führte knapp vor seiner Nase einige Loopings. Aber er verstand
anscheinend die Phraseologie der Fliegensprache nicht, denn
seine große Hand führte einen fürchterlichen Schlag gegen sie
und Laura war gezwungen, eine Notlandung auf seiner Glatze
vorzunehmen. Laura liebte diese Glatze; sie war so schön rund
und spiegelglatt und man konnte sich darauf ergehen, ohne weit
und breit auf ein Hindernis zu stoßen. „Dieses Ding da von vor-
hin, gehört gewiß nicht ihm, denn er hat doch gar keine Haare",
überlegte Laura, aber schon wurde sie wieder verjagt.

„Diese verdammte Fliege!" schrie der Hausherr wütend. Laura
zog sich beleidigt zurück. Sie schwirrte einige Male rund um
den Ofen, sauste dann mit einem Bums! an die Fensterscheibe,
wobei sie sich den rechten Fühler ein wenig verstauchte. Sie

227
Register
Kurt Günther v. Fischer: Die Fliege Laura rettet eine Ehe
Nicht namentlich gezeichnet: Der Dom zu Speyer
 
Annotationen