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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 42.1937, (Nr. 1-52)

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J

4 2. JAHRGANG

1 93 7 / NR. 2 0

VON HELMUT HUBER

Kaspar ist kein Schwätzer; das könnt ihr mir glauben. Aber immer
hat er eine Geschichte bereit; wenn man ihn trifft, irgendwo zu
guter Stunde. Er holt sie umständlich und behaglich aus seinem
Herzen und erzählt sie mit einer scheuen Zärtlichkeit. Ja, er ist
kein gewöhnlicher Scherenschleifer; das muß man wissen.

Wenn die ersten Kirschen reifen, kommt Kaspar. Er fällt an einem
arbeitsreichen Tag ins Dorf und weiß sich seinen Einzug sehr
wirkungsvoll zu gestalten. Sein Lied lockt die Kinder aus den
Häusern und wie ein König, von ihrer munteren Schar umringt,
zieht er schnurstracks zum Dorfplatz. Dort macht er halt, löst
seinen Gurt von der Achsel und holt seine Geige hervor. Dann
stellt er sich ordentlich vor den Brunnen und spielt ein Stück
nach dem anderen. Die Kinder hören auf zu schreien und stehen
mit einemmal andächtig wie große Leute. Mitten unter ihnen,
nebensächlich und arg verstaubt, der Schleiferskarren.

Die lustige Musik treibt immer ein paar Alte aus ihrem Versteck.
Sie kommen mit wackelnden Köpfen langsam zum Brunnen und
bleiben eine Weile. Die Geige zaubert einen blühenden Sommer
in ihr erloschenes Herz.

Kaspar grüßt sie mit einem Nicken und spielt ihnen zu Ehren
einen alten, schwerfälligen Tanz. Da gehen sie mit jungen Augen
nach Hause und kramen eifrig Messer und Scheren hervor. Bald
steht Kaspar hemdsärmelig hinter seinem Karren. Die Geige ruht
in dem hölzernen Kasten und der Wetzstein singt sein starkes
Lied. Es soll einer sagen, Kaspar verstünde nicht sein Geschäft!
Jahr um Jahr kommt so Kaspar ins Dorf, es ist nicht anders zu
denken. Meistens bleibt er einen Tag und eine Nacht und ist
am anderen Morgen verschwunden. Zuweilen ist er auch länger
da; es kommt ihm nicht darauf an. Am Abend sitzt er hinter
seinem Schoppen und der Wirt nutzt den seltenen Gast. Kaspar
geigt oft bis spät in die Nacht und dazwischen weiß er in seiner
Art seltsame und wunderliche Geschichten zu erzählen. Er kommt
ja schließlich herum in der Welt! Die Dörfler sitzen mit erhitzten
Köpfen und beneiden im stillen diesen lustigen Vogel. Manch-
mal rückt einer der Jungen vertraulich an ihn heran und spendiert
ihm auffällig viel Schoppen. Wundert es euch dann, daß ein paar
Wochen darauf Kaspar plötzlich auftaucht? Im Wirtshaus geht es
hoch her; der junge Bauer hat Hochzeit und Kaspar spielt den
Gästen zum Tanz. Ja, er gehört auf seine Weise dem Dorf und
es ist eine Selbstverständlichkeit. Und das ist gut so; mag es
immer so bleiben.

Im vorigen Jahr geschah etwas Unerhörtes; ihr werdet es sehen.

Die Kinder hatten ihre Kirschenmäuler wie immer. Aber ihr
Scherenschleifer kam nicht. Der Sommer hatte ein häßliches Loch;
eine unnütze, leere Stelle. Ein paar undankbare Weiber hießen
Kaspar einen unzuverlässigen Gesellen. Hatten sie nicht recht?
Es gab nie so viel stumpfes Zeug, wie dieses Jahr. Doch das
Dorf wartete vergeblich; selbst im Winter horchte mancher auf
das lockende Lied. Der Platz vor dem Brunnen blieb leer!

Kaspar war noch am Leben; ein Scherenschleifer läßt sich Zeit
mit der himmlischen Reise. Ein neues Jahr zog seinen Bogen.
Das Backhaus duftete wieder nach Kirschenkuchen; da erklang
vom Brunnen her die jubelnde Geige. War Kaspar vom Hügel
herabgeflogen, an diesem dampfenden Junimorgen? Ach, die
Kinder lagen noch im Schlaf; sie hatten seinen Gesang nicht
gehört.

Kaspar blieb drei Tage; sein Wetzstein rauchte. Gab es jemals
so viele stumpfe Scheren! Am Abend saß Kaspar im Wirtshaus.
Es hatte alles sein gewohntes Gesicht. Kaspar war ein Jahr aus-
geblieben; das war alles. Oder sollte ein Geheimnis dahinter-
stecken? Das kann man bei solch einem Galgenvogel nie wissen!
Kaspar war nicht mehr der Alte; das war nicht zu verkennen. Am
letzten Abend versuchte er eine lustige Geschichte. Aber sie
schmeckte nach nichts und er saß mit abwesenden Augen. Die
Stube leerte sich zeitig; Kaspar blieb allein hinter dem Tisch. Auf
der Bank lag achtlos seine Geige; sie schien stumm zu weinen.
Spät kam noch ein Gast. Es war der alte Totengräber. Er schob
sachte die Geige zur Seite und setzte sich neben Kaspar. Der
Wirt brachte dem Alten seinen Schoppen und verschwand nach
oben. Er hatte keine Lust, dem Kaspar sein Herzensbäumlein zu
schütteln. Kaspar und der Totengräber blieben noch eine gute
Stunde. Man hörte nur den Scherenschleifer sprechen und am
anderen Morgen war Kaspar verschwunden.

Lange Zeit nachher erzählte der Totengräber Kaspars Geschichte.
Sie war lang und seltsam; es war viel von Glück und Reichtum
die Rede. Auch von einer großen Stadt und einem schönen
Mädchen wollte der Alte etwas behalten haben. Die Geschichte
soll sich in der „himmlischen Au" zugetragen haben. Der Greis
schwor es bei seinen Toten. Niemand wagte recht, ihn auszu-
lachen. Man wußte, daß Kaspar einen Sommer nicht gekommen
war und was den Totengräber betrifft, hatte man seine Meinung.
Wer ein Menschenleben lang die arme Sterblichkeit betreut, ver-
lernt das Geschwätz. Es mußte also etwas Wahres daran sein.

Vorstadt-Frühlingsabend

Der Lampenputzer steckt mit einer Stange
Hier den Laternen gelbe Lichter an.

Der Parkweg lächelt violett und lange.

Und junge Drosseln singen dann und wann.

Einsame treffen sich mit toten Lieben.

Der Pfirsichbaum in rosa Blüte steht.

Die kleinen Mädchen sind noch aufgeblieben.
Der Wind hat dunkle Lauben weggeweht.

Aus leerer Kirche tönen Orgellieder

Und bauen einen Himmel schwarz und warm.

Ein Duft wie von Jasmin kommt immer wieder,
Und die zu zweit sind, gehen Arm in Arm.

Inge M o o s s e n

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Helmut Huber: Der Scherenschleifer
Inge Moossen: Vorstadt-Frühlingsabend
 
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