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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 42.1937, (Nr. 1-52)

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Die Schwiegermutter

X> o n I o f c f ii b n e r

akob Rrappmann kam mit schwerem
Roffer aus dem Bahnhofsgebäude eines
fränkischen Landstädtchens. Er wandte sich
an die Bäuerin, die damit beschäftigt war,
leere Milchkannen auf ihren wagen zu
laden: „Frau, sagen Sie mir, wie weit ich
nach Rothenbach habe!"

„Eine kleine halbe Stunde, Herr."

Rrappmann seufzte und stellte den Rof-
fer nieder. „Sind Sie vielleicht zufällig
von Rothenbach, Frau-"

„Das gerade net", sagte sie mit lustigen
Augen, „aber Richtung Röthenbach fahre
ich schon."

Jakob Rrappmann atmete erleichtert
auf. „Darf ich mich ein Weilchen auf-
setzen, Frau-"

„wenn Sie Lust haben, mir soll es recht
sein."

Rrappmann witzelte: „Schlecht gefah-
ren ist immer bester als stolz gelaufen."
Er verstaute seinen Roffer bei den Milch-
kannen und nahm mit auf dem Bocke
Platz. Die Bäuerin kutschierte los.

„Rönnen Sie mir, liebe Frau, in
Röthenbach nicht einige Adressen ver-
raten, wo ich für längere Zeit gut auf-
gehoben wäre-"

Die Bäuerin war im Bilde. Ein Som-
merfrischler. Sie schwieg.

„Ich habe mir nämlich erzählen lasten,
dass in Röthenbach alles überfüllt sei."

Die Bäuerin streifte ihn mit einem mit-
leidigen Blick: „was tun Sie nachher
überhaupt dort- He?"

„Ich weist schon. Aber Röthenbach ist

als Luftkurort Kalt doch sehr berühmt.
Man muß ihn einmal besucht haben."

Die Bäuerin schwang die peitsche. Der
Schimmel lief einen zügigen Trab.

Auf der Höhe lag ein Dorf. Rrapp-
mann las die Ortstafel. Gräfenroding.

„Brrr, Schimmel!"

Rrappmann guckte sich um. Er suchte
den weg, der nach Röthenbach abzweigte.
Pergebens, „warum halten Sie, Frau?"

„weil ich daheim bin", lachte die
Bäuerin.

„Soo? Das ist etwas anderes." Er zog
den Roffer herunter. „Und wie weit habe
ich nun noch nach Röthenbach...?"

Die Bäuerin stellte sich dumm. „Du
lieber Fimmel! warum haben Sie denn
an der Straßenkreuzung ihren Mund net
aufgetan? Ich dachte, Sie hätten sich
Röthenbach aus dem Ropf geschlagen, weil
Sie kein Sterbenswörtlein mehr davon
sagten?"

Jakob Rrappmann ahnte Schlimmes.
„So gebt es, wenn man sich auf jemand
verläßt." Er nahm den Roffer auf.

„Von hier aus sind nach Röthenbach
allerdings zwei gute Stunden, Herr."

„Sie sind verrückt", brüllte Rrapp-
mann und ließ vor Schreck den Roffer auf
die Erde plumpsen. „Zwei gute Stunden?
Himmelherrgottsackerment! Nimmt mich
das Weibsbild in dieses verlassene Nest
Mit!"

Er trollte schimpfend die Dorfstraste
hinunter und hielt dabei nach Gasthäusern
Ausschau. Es war aber nur ein einziges
vorhanden.

Der Sternwirt musterte mit Renner-
blick den Fremden, „wollen Sie sich bei
mir für länger einmieten, Herr ...?"

„Nein, nur für eine Nacht."

Als sich Rrappmann gestärkt hatte, ließ
er sich sein Zimmer zeigen. Alles tipptopp.
Nun schweifte sein Blick ins Freie: Schat-
tiger wirtshausgarten, in der Nähe
Wald und am Bache drüben Schwimmbad
und Sportplatz, was wollte man eigent-
lich noch mehr?

Abends füllte sich das geräumige Gast-
zimmer mit Fremden, die schon seit Tagen
beim Sternwirt wohnten.

Rrappmann liest sich am nächsten Mor-
gen seinen Raffee auf die sonnenüber-
flutete Terrasse bringen. Der Sternwirt
setzte sich zu ihm. Da sagte Jakob Rrapp-
mann, daß er über stacht den Entschluß
gefaßt habe, seinen Urlaub hier zu ver-
leben. Der Sternwirt schmunzelte.

Mit einem Male schnellte Rrappmann
empor. Auf der Straße fuhr die Bäuerin
mit ihrem Milchwagen vorbei. Rrapp-
mann zeigte hinaus: „wer ist eigentlich
dieses dumme Weibsbild, Herr Wirt...?"

Der Sternwirt lachte hellauf. „Das ...?
Das ist meine Schwiegermutter. Die ist
aber eher schlau als dumm."

Jakob Rrappmann machte ein heiteres
Gesicht. „Nichts für ungut, Sternwirt.
Ich weiß Bescheid."

Reitst un de

R Ii e i ii e n

1937 / JUGEND Nr. 32 / 10. August 1937

Monatsbezugspreis RM. 2.40

Verantwortlich für die Schriftleitung: Fritz Maier-Hartmann, München; für Anzeigen: Karl Schilling, München j Verlag: Karl Schilling- Verlag,
München, Kanalstraße 8, Tel. 27682 / Druck: Graph. Kunstanstalt W. Schütz, München, Herrnstr. 8—10, Tel. 20763 / Für Herausgabe und Schriftleitung in
Österreich verantwortlich: Dr. Emmerich Morawa i. Fa. Morawa & Co., Wien 1, Wollzeile 11 / Alle Rechte Vorbehalten / Nachdruck strengstens ver-
boten / Copyright by Karl Schilling- Verlag, München / D.A. 1. Vj. 37: 4700. Prl. Nr. 3 / Manuskripte sind nur an die Schriftleitung der ,,JUGEND",
Karl Schilling Verlag, München, Kanalstraße 8, zu richten / Rücksendung erfolgt nur bei beigefügtem Porto / Postort München.
Register
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Ros.: Vignette
Josef Hübner: Die Schwiegermutter
 
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