Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben (42.1937, (Nr. 1-52))

Das hohe C

einem früheren Oktoberfeste erin-
nern wir uns einer vollbusigen schwedi-
schen Nachtigall/ die mit Gold in der
Stimme — im Gesamtgewicht von rund
hundert Kilo — den kunstsinnigen An-
wesenden Arien (sprich Schlager) ent-
gegenschmetterte. Vor dem Vorhänge
radebrach sie deutsch, hinter ihm ent-
fuhren ihr gelegentlich bayerische Rraft-
ausdrücke. Gab es einen schöneren Be-
weis für ihre Internationalitat; Eine
lustige Gesellschaft, welche bereits sämt-
liche Bierhallen des Festes aufgerollt
hatte, wollte der Nachtigall, wie es einer
wahren Diva geziemt, eine Huldigung
darbringen. Der ittäcen und Anführer
kaufte deshalb am benachbarten Blumen-
stände sämtliche erreichbaren Buketts auf,
die zu einem großen Strauß zusammen-
gebunden wurden. Da die Stengel ein
wenig kurz waren, nahm man als Stiel
und unerschütterliche Achse einen dicken
Räucheraal. Die Sängerin ließ auf das
berühmte hohe C warten. Aber sie erntete
reichlich Beifall, der sich zum Orkan stei-
gerte, als ihr der Blumenstrauß überreicht
wurde. Sie nahm das Bukett und steckte
es geradewegs mitten an ihren Busen, um
dann eine Dankeshymne anzustimmen.
Dazu kam es aber nicht. Ein mark-

erschütternder Schrei ertönte. Sie riß den
Strauß heraus, dessen Stiel sich kalt und
glitschig an ihre warme Brust gelegt hatte,
schleuderte das Bukett auf den Boden und
trampelte darauf herum. Der schrille

Schrei lag allen noch in den Ohren, als
der Gönner bemerkte: Seht ihr, da habt
ihr das hohe C. Die Rraftausdrücke von
der Bühne, die nun folgten, hatten durch-
aus nichts Schwedisches mehr an sich.

P r e i s v e r t e i I u n g am Oktober fest zu München
(Aquarelliert und lithographiert nach einer Zeichnung von Albrecht Adam)

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