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(Corona. Der Doktor nickte kummervoll
mit dem Ropf, wagte aber nicht, sein Ge-
heimnis zu verraten.

Ihr Leben, sagte Maria spater, schiene
ihr erst dann wahrhaft begonnen zu haben,
als sie den „göttlichen Funken" in sich ge-
spürt habe. Ihr früheres Leben ver-
blaßte in ihrer Erinnerung. Vor ihrem
geistigen Auge erstanden die wunderbar-
sten Formen der Schönheit. Iebes Wort
vom Meister oder seinen Besuchern, das
ihrem künstlerischen Ehrgeiz von Nutzen
sein konnte, fing sie hellhörig auf; und
gierig suchte sie an den Vorbildern, die sie
immer umgaben, nach Anregungen.
Schließlich kam ein Tag, da sie sich im-
stande fühlte, etwas Eigenes zu gestalten:
sie begann, an einer Statue der Minerva
zu arbeiten. Eine geübte Hand hatte diese
Ausgabe gewiß in kürzerer Zeit bewältigt;
aber ihr mangelte es an Anleitung, und
viel Hindernisse stellten sich ihr in den
Weg. Trotzdem bekam ihr Werk allmäh-
lich Gestalt unter ihren fänden; und von
Tag zu Tag wurde sie sich ihrer Sendung
klarer bewußt. Sie hatte sich als Ziel den
alljährlich stattfindenden Preiswettbewerb
gesetzt, — wovon natürlich niemand
außer dem Doktor erfuhr — denn sie
wollte sich dem unparteiischen Urteil der
Richter unterwerfen. Unüberwindlich
scheinende Schwierigkeiten türmten sich
vor ihr auf; sie aber überwand sie alle;

und eines Tages, als Meister pulci nicht
zu Hause war, holten Träger, die Doktor
Torona geschickt hatte, ihre Minerva ab
und schafften sie vor das gestrenge Rolle-
gium der Richter.

Am festgesetzten Tage fand sich Maria
unter den Mitbewerbern in der Ausstel-
lungshalle ein; sie wußte es so einzurich-
ten, daß sie in der plähe ihrer Statue zu
stehen kam. Ihr Ehrgeiz verstieg sich nicht
so hoch, daß sie etwa den Preis gewinnen
könne. Das Einzige, was sie zu hoffen
wagte, war, daß man sie mit einem Lächeln
abtun würde. Wie unbeschreiblich aber
war ihre Verwunderung, als sie sah, daß
alle Renner sich um die Minerva scharten,
und voll Lobes über ihr Werk waren.
Mächtig schwoll ihr das Herz in der
Brust; und nur mit äußerster Mühe ver-
mochte sie ihren Stolz und ihr Frohlocken
zu bemeistern. Gekrönt wurde ihre Freude
mit dem Augenblick, da der Preis ein-
stimmig ihrer Minerva zugesprochen
wurde. „Der Schöpfer der Minerva soll
sich melden", schrie eine Stimme. Da
setzte sich — in ihrer Verwirrung — mit
einemmal der Gedanke in ihr fest, daß eine
Frau ja nicht berechtigt sei, am Wett-
bewerb teilzunehmen, und unbemerkt flüch-
tete sie aus dem Saal.

2tber — ihr Ziel war erreicht. Doktor
Torona, der sie beobachtet hatte, folgte ihr
und beglückwünschte sie; denn, ehe nicht

die öffentliche Meinung ihr Urteil abge-
geben hatte, hatte auch er nicht gewagt,
ihrem Werk Bewunderung zu zollen. Sie
gingen zusammen zu pulcis Atelier; dort
warf sich Maria dem Meister zu Füßen
und gestand ihm die Wahrheit; sie sei nicht
bei sich, glaubte er natürlich; erst, als
Doktor Torona ihm ihr Geständnis bestä-
tigte, da mußte er es wohl hinnehmen,
daß seine Maria von den ersten Rünstlern
Roms einstimmig zur Preisträgerin für
Bildhauerkunst auserkoren war.

Mit unglaubhafter Geschwindigkeit
griff diese Nachricht in Rom um sich;
auch Savorini kam und überbrachte der
jungen Rünstlerin seine Glückwünsche. Sie
ließ sich sogar von ihm umarmen, — und
als er meinte: „Im Haushalt darf sie nun
aber ihre Rräfte nicht mehr vergeuden;
es geht doch wohl nicht an, daß man die
Welt eines solchen Wunders beraubt!" —
da sah sie ihn dankbar an; aber sie war
nicht dazu zu bewegen, das Haus zu ver-
lassen. Sie wurde das Tagesgespräch der
eleganten römischen Gesellschaft; nach all-
gemeiner Auffassung war sie neben, ja sogar
über die bedeutendsten Rünstler zu stellen.
Das war nun allerdings etwas übertrieben.
Waren es nicht, genau genommen, die-
selben Gründe, aus denen man Maria ihr
Talent vor ihrem öffentlichen Erfolg ab-
gesprochen hätte — nämlich ihre niedere
Herkunft und mangelnde Vorbildung —

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Register
Bernhard Sylvester Schmitz: Bergstraße
 
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