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Philosophie des Westens

„Je mehr wir streiken, desto teuerer wird das Leben — je teuerer das Leben wird, desto mehr müssen wir streiken.“

DIE TREUEPRÜFUNG

Eine wahre Begebenheit erzählt von F r i tz Maier- 'Kart m a n n

rau Johanna Weichmann war mit
ihrem Franz seit einigen Jahren verhei-
ratet und es hatte sich nichts ereignet, was
diese Ehe irgendwie gefährdet hatte. Aber
cs kann der Bravste nicht in Frieden leben,
wenn es der Schwiegermutter nicht gefallt.

Die rührige Mutter der Frau Johanna,
also die Schwiegermutter vom ahnungs-
losen Ehemann Franz, hatte mit wach-
samem Auge festgestellt, daß Franz mit der
Röchin Liesl in einem ungebührlich guten
Einvernehmen stünde. Sie hatte diese Fest-
stellung auch sofort ihrer Tochter ent-
sprechend weitergeleitet, nicht ohne bemerkt
zu haben, daß sie natürlich nichts behaup-
ten wolle, aber man müsse auf diese Manns-
bilder schon obacht geben, denn sie waren
ja alle gleich und deshalb solle man eben
Vorbeugen. Die Frau Johanna war über
diese Offenbarung gar nicht erfreut und
nahm ihren Franz gegen diese Verdächti-
gung sogar energisch in Schutz. Aber

trotz allem dachte sie sich dabei, es könnte
ja immerhin sein und sie beschloß diese
Angelegenheit nunmehr genauestens im
2Luge zu behalten. Damit war aber eine
Lawine weiblichen Mißtrauens ins Rollen
gekommen und solche Lawinen sind be-
kanntlich vom lieben Gott persönlich auch
nicht mehr aufzuhalten. Nach wenigen
Tagen schon war sie überzeugt, daß ihre
Mutter sehr wahrscheinlich vollkommen
recht hatte. Es fiel ihr wie Schuppen von
den Augen und jetzt erst bemerkte sie, wie
sich diese Liesl immer zusammenrichtete
und wie dieses junge, freche Ding ständig
um ihren Mann herumschwänzelte. Und
er benahm sich genall so niederträchtig,
wenn sie über die Liesl schimpfte, dann
schimpfte er einfach nicht mit, sondern ver-
suchte immer wieder zu vermitteln. Er war
also offensichtlich so in sie vergafft, daß
er sie unbedingt im Haus behalten wollte.
Die Rette der Beweise war also fast völlig

geschlossen, es war nur noch nötig, die Bei-
den auf frischer Tat zu ertappen.

Es mußte also gehandelt werden und
Johanna war zum handeln entschlossen.
Bald war auch der strategische plan fix
und fertig ausgearbeitet. Am nächsten Tag
schickte sie die Liesl unter einem Vorwand
mit ihrem Mann mit dem wagen in die
Stadt unr einige Besorgungen zu machen.
Raum waren die beiden fort, schrieb sie
mit zitternder Hand auf einen Zettel. „Bin
zu Tante Emma gefahren, komme in
r Stunden wieder", und legte ihn mitten
auf den Tisch. Dann verräumte sie ihren
Hut und Mantel und kauerte sich probe-
weise hinter den schräg im Wohnzimmer
stehenden Schreibtisch.

Diese Stellung war bei ihrer Größe sehr
unbequem, aber so lange würde es ja wohl
gar nicht dauern, bis die Zeit zum Ein-
schreiten kommt und vorläufig konnte sie
sich ja noch hinstellen. Endlich kamen die

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Fritz Maier-Hartmann: Die Treueprüfung
 
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