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MORGENMOND

EIN MÜNCHENER KÜNSTLER-ROMAN VON JOHANNA BIRNBAUM

Bisher i g er Inhalt: Durch die norddeutsche Ebene eilt der
Zug in südlicher Dichtung. Am Schein des werdenden Tages liegen
die Wiesen. ??vch steht das bleiche Nachtgestirn am Himmel zwischen
Nacht und Tag, der Morgennrond, der bald dem goldenen Lichte des
Tages weichen muß. Symbol einer Zeitenwende, die aus dem Dunkel
überlebter Anschauungen einem neuen Tage entgegenführt! — Diese
Gedanken bewegen die Studentin Barbara Bürkner, die der Stadt
ihrer Studien und ihrer Sehnsucht, München, eutgegeufährt. Wer die
Kunst liebt, dem ist es nicht schwer, unter Künstler zu kommen, und
bald haben Barbara und ihre Freundin Gertrud mit dem Bildhauer
Florian Seidl Freundschaft geschlossen, mit dem Barbara den Glas-
palast besucht. Es ist im Mai 1927.

7. Fortsetzung.

Ja, hier war Barbara in ihrer Welt! Ihre Augen leuchteten, ihre
Wangen glühten vor Eifer. Mit innerer Genugtuung stellte er fest,
daß sie Freude an den alten Meistern hatte. Lange stand sie vor dem
Kleinod der deutschen Romantik, dem aus der Schackgalerie stammen-
den „Auf der Wanderung" von Moritz v. Schwind, mit der ewigen
Sehnsucht des Deutschen nach der unbekannten Ferne. Seltene
Juwelen heute! Denn es war die Zeit, da das RaffenchaoS anfing,
sich auch in der Münchner Kunst breit zu machen. Endlich war die
langjährige Wühlarbeit naturentfremdeter Asphaltkritiker auch hier
mit Erfolg gekrönt worden, hier in der Großstadt Deutschlands, die
sich am längsten dem artfremden Element widersetzt hatte.

„Ja, eS ist ein fein'ö kloanS Buidl", sagte Florian neben ihr, „aber
die meisten schauen sich's nicht mehr an." Der Arger verschlug ihm
die Stimme, und in verhaltenem Zorn stieß er hervor: „Und warum?
— Die Propheten der neuen Kunst begnügen sich nicht damit, unö
mit ihrem Gift die Seele zu verderben; sie nehmen uns auch noch die
Freude an der großen Vergangenheit."

„Dasselbe sagt auch Hitler in seinem ,Kamps", wandte sich Bar-
bara lebhaft um. Und fast zwingend fügte sie hinzu: „Sie kennen
das Buch doch?"

Statt aller Antwort knallte der Bildhauer die Haken zusammen:
„SA.-Mann Seidl."

„Herrlich!"

„Ja, bald weht ein neuer Wind! Aber ein Weilchen wird es noch
dauern." Sein Gesicht zeigte plötzlich einen Ausdruck von Haß. „Und
hier mit der Faust muß man den neuen Gedanken Eingang verschaffen.
Mit Worten und Kunstwerken allein erreicht man's nicht. In den
Straßen und Vortragssälen — Keilereien — verstehst du? — Aber
das ist nichts für dich, Kindchen, gelt?"

Im Eifer der Begeisterung hatte er mit solcher Selbstverständlich-
keit das Du gebraucht, daß Barbara darüber hinwegging. Sie kamen
in den nächsten Raum.

„Schauen Sie den Gaugnin! Es ist das einzige, das mir in dem
Saal gefallen könnte. Das Bild zieht mich an, weil es Schönheit
und Naturnähe atmet. Aber so ganz behaglich ist mir dabei auch nicht
zumute, weil — er eS bei den Schwarzen der Südsee sucht. Das
klingt nach Untergang deö Abendlandes, und darum halte ich doch nicht
viel davon", meinte Barbara.

„Feige und ungesund ist eS - kraftlos! Die Flinte ins Korn
werfen!" schimpfte Seidl.

Sie gingen weiter.

„Die Expreffionisten — was denken Sie von denen? Ausdruck
will man auf jeden Fall, kümmert sich nicht um die Form und hat
doch nichts mehr, was das Herz bewegt in dieser Zeit der Fabriken
und Naturferne."

„Expressionismus, Kubismus, Futurismus -", erwiderte Florian
laut und grob, „die verschiedenen Richtungen hängen mir schon zum
Halse rauS. Ich schaffe auS dem Boden meines Volkes und aus mir

selbst. DaS ist mir genug. Alles übrige ist mir wurscht. Ich zahle
mich zu keiner Richtung."

Andere Besucher wurden bereits auf ihn aufmerksam und blickten
neugierig herüber. Barbara strebte in den nächsten Saal.

„Das ist aber gewiß mit Opfern verbunden, wenn man sich in dem
Maße für eine neue Idee einsetzt wie Sie. Da wird wohl die Kritik
nicht immer sanft mit Ihnen verfahren! Ja, man wird Sie vielleicht
ablehnen?"

„Kritiken!" lachte der Bildhauer überlaut, „ich lese überhaupt keine
Kritiken über meine Arbeiten! Sie sehen, ich stelle auch nicht aus."

Barbara nickte verstehend.

„Ich warte — — —Er sprach das leise und zögernd, als ver-
traue er ihr das Geheimnis seines Lebens an.

„Bis Ihre Zeit kommt", ergänzte Barbara nachdenklich.

„Ja!" Verbissen sah er vor sich hin. „Und wenn ich tagaus, tag-
ein von Leberkäs leben muß, vor dem verdammten Mestizenpack will
ich nicht katzenbuckeln. — — Diese geistige Syphilis!" spuckte er vor
Kokoschkas Selbstbildnis aus.

Barbara bekam einen roten Kopf, aber sie lief nicht davon.

Es wurde zusehends dunkler im Raum.

„Wie spät ist eS denn?" fragte sie.

Florian schaute nach der Uhr: „Kurz nach vier erst."

„Gleich gibt'S ein Donnerwetter", sagte neben ihnen ein alter Herr.

Da folgte auch schon Schlag auf Schlag. Ein starkes Gewitter
entlud sich. Eine Stunde lang prasselte der Regen auf das Glasdach
über ihnen. Die Räume lagen in Dämmerung.

Im Kopistensaal saßen Florian und Barbara auf dem gepolsterten
Rundsitz, der um die Stühle lief; sie waren über die unfreiwillige
Gefangenschaft durchaus nicht ungehalten. Nur vereinzelte Besucher
kamen hierher. Florian erzählte Barbara von seiner Arbeit, von
seinen Plänen und Entwürfen. Der Ausdruck seiner glänzenden
schwarzen Augen wechselte rasch. Barbara schienen e6 die merkwür-
digsten Augen, die sie je gesehen: bald schwärmerisch, bald fanatisch,
bald zornig, bald lachend und voll Schalk und Leichtsinn; bald ver-
rieten sie seine Bewunderung über den Flug ihrer Gedanken, ihren
Zug zum Übersinnlichen, den er aus ihrer Art, die Kunstwerke zu
betrachten, herausfühlte. Obschon dieser Hang zum Mystischen seiner-
eigenen Natur gänzlich fremd war, gestand er sich doch ein, daß er ihn
bei Barbara nicht nur gelten ließ — nein — sie wäre ihm ohne den
Zauber des Geheimnisvollen halb so reizvoll erschienen. Schließlich
verfügte sie anderseits über gesunden Menschenverstand, der sogar nicht
selten zur Ironie führte. Er hatte sich schon lange nicht so gut mit
einem Mädchen unterhalten. Sie könnte ein guter Kamerad sein;
vor allem, und das rechnete er ihr hoch an, er hatte sich gegeben, wie
er war, und sie war nicht kopfscheu geworden. Gewiß, sie war Dame
der Gesellschaft, das könnte ihm eine Freundschaft verleiden — aber
die Gesellschaft bedeutete ihr nicht die Welt — und daS versöhnte ihn
wieder.

Der Regen ließ allmählich nach.

Sie gingen in die Vorhalle hinaus.

Es hatte sich merklich abgekühlt. Barbara war leicht angezogen.
Nach einiger Zeit gelang es dem Bildhauer, eine Taxe heranzuholen.

Sie fuhren die ArciSstraße hinunter.

Sonnenlicht brach durch die grauen Wolken, spiegelte sich auf dem
nassen Asphalt der Fahrstraße und hellte die Rasenflächen in den An-
lagen am Königsplatz und um die alte Pinakothek frühlingsgrün auf.

Ein kräftiger Wind wehte den Duft von Blüten in den halb-
geöffneten Wagen.

Eö war Mai in München.

Florian legte den Arm um Barbara und spürte sekundenlang das
Verlangen, sie an sich zu ziehen. Aber irgendeine Macht hielt ihn
zurück.

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Johanna Birnbaum: Morgenmond
 
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