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So verging die Fahrt.

Der Bildhauer ärgerte sich über sich selbst. Hatte er nicht stets
genommen, was ihm gefiel? War Barbara nicht wie die andern? Er
kam sich töricht vor. Aber er umschloß doch nur behutsam und zögernd
ihre schmale, weiche Hand mit seiner arbeitsharten. Barbara lehnte
blaß und unbeweglich neben ihm. Es war das erstemal in ihrem Leben,
daß ihr jemand seine Liebe entgegenbrachte.

Als der Wagen vor ihrer Wohnung hielt, löste sie verwirrt ihre
Hand und verabschiedete sich kurz und hastig.

Florian Seidl sang leise vor sich hin, als er die vielen Stufen der
breiten Freitreppe hinaufging, die in die Akademie führt.

Krachend fiel die schwere Tür hinter ihm ins Schloß. Der Pförtner
blickte auf, schob das kleine Fenster zur Seite und rief ihm zu, daß
ein Brief für ihn da sei.

„Dr. Ludwig Frankel" lautete der Absender. Endlich — — die
Antwort auf seine Vorlagen zur Ausgestaltung der Union-Lichtspiele.
Der Auftrag war ihm so gut wie sicher. Es wäre seine beste Arbeit
seit Jahren, hatte sich Professor Ackerle anerkennend geäußert. Das
Relief war für den Zuschauerraum gedacht, die vier allegorischen
Figuren für die Nischen in der Wandelhalle.

Wenn er den Auftrag erhielt, bot sich ihm eine gute Gelegenheit,
seinen Namen bekannt zu machen. Aber darum war ihm augenblicklich
weniger zu tun als um die geldliche Seite der Angelegenheit. Wieviel
würden die Entwürfe einbringen?

Das Gesicht seiner Mutter stand ihm vor Augen, wie sie ihm
gestern abend die Tür öffnete, einen Schimmer von Hoffnung über
dem vergrämten Gesicht. Bringst du Geld, Florian? hatte sie gefragt
- nicht mit Worten, nein, mit den Augen.

Und er hatte wegschauen müffen!

Hastig riß er den Umschlag auf, als er die schmale Treppe in das
Kellergeschoß hinunterstieg, wo sein Atelier lag. Am Fenster des
langen Korridors las er:

„... die soldatische Haltung der Gestalten dürfte wohl kaum dem
Zweck und Stil des Raumes entgegenkommen."

Ja, was war denn das? Sein Gesicht verfärbte sich. Burckhard,
Mitglied des Komitees, hatte ihm doch so große Hoffnungen gemacht!

Einen Augenblick lehnte er wie betäubt am Fenstersims. Da näher-
ten sich Schritte von der anderen Seite, und er öffnete schnell die
kleine Tür, auf der in barten, strengen Buchstaben mit weißer Kreide
geschrieben stand:

Atelier 12

Florian Seidl

Die Kühle des Raumes nahm ihn auf. In der Luft lag ein
schwacher Geruch von feuchtem Ton und Zigaretten. Er warf den
Brief auf den kahlen, mit Farbflecken bedeckten Tisch und sank in
Hut und Mantel auf den unbequemen Stuhl, der die einzige Sitz-
gelegenheit in diesem kleinen, überaus einfachen Raum bildete. Ihn
fror, hungrig war er und müde und hatte das Leben im Augenblick so
satt. Lange starrte er vor sich hin inmitten seiner Tonmodelle, Zeich-
nungen und Gipsabgüsse, für die er keinen Blick hatte — - — das
Nichts, das grauenvolle Nichts lag vor ihm. Kaltgestellt - mit acht-
undzwanzig Jahren erledigt — es war zum Aufhängen!

Ja, er war ein Außenseiter in dieser Zeit des Intellektualismus,
da die Kunst nur noch ein Blendwerk war, da sie letzte Gemeinheiten
und Sinnlosigkeiten feierte und das Einfache, Kindliche, Deutsche mit
einem Lächeln überging. Und das Volk machte mit, denn es war
müde geworden und schläfrig. „Deutschland, erwache!" hatte er nicht
noch am Vormittag voll Zuversicht diese Worte auf die weißen Leinen-
streifen für die Propagandawagen seines Sturmes gemalt? Wann
erwachte es? Ja, sein Glaube wurde wahrhaftig auf eine harte Probe
gestellt, ftin Glaube an eine Idee, die größer sein mußte als die Über-
macht der Feinde; größer als Hunger und Armut.

Von den Eltern bekam er keinerlei Unterstützung, im Gegenteil, er
selbst trug noch zum Haushalt bei. Der Bauernstand war verarmt.
Die Kästchen voll Scheine, die der Landwirt eingenommen hatte,
taugten just noch zum Feueranmachen. Der Vater hatte den Hof dem
verheirateten Bruder überlassen und war in die Stadt gezogen, wo
er versuchte, seine Metzgerei weiter auszubauen. Das Geschäft ent-
wickelte sich nur sehr langsam. Für die Ausbildung der Kinder war
kein Geld mehr vorhanden. Beschäftigung irgendwelcher Art fanden
sie auch nicht; denn infolge der Erdrosselung der deutschen Wirtschaft,
ihrer Ausschaltung vom Weltmarkt und der Rationalisierung der
Arbeitsweise in den Fabriken nach amerikanischem Vorbild war die
Arbeitslosigkeit ins Uferlose gewachsen. (Fortsetzung folgt.)

M. Schneider-Reichel

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