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MORGENMOND

EIN MÜNCHENER KÜNSTLER-ROMAN VON JOHANNA BIRNBAUM

23 i s h e r i i) e r Anhalt: Barbara Bürkner, Studentin der Philo-
logie, fährt der Stadt ihrer Studien und ihrer Sehnsucht, München,
entgegen. Dort hat sie bald Freundschaft geschlossen mir dein Dildhalier
Florian Seidl, einem ^vunstfanariker, der dein Glaspalasttreiben des
Aahres 1927 recht unfreundlich gegenübersteht. Gisela, die Schwester
Barbaras, ist zu Besuch gekonnnen und erwartet Florian und Barbara
in dein Zininier der letzteren.

4. Fortsetzung.

„Scheint ein langer Abschied zu werden", murmelte Gertrud und
entschloß sich endlich auch, auf der andern Seite des Vorhangs einen
Beobachtungsposten zu beziehen.

„Morgen abend also unter den Tuilerien", — damit war der
Bogengang vor dem neuen Rathaus gemeint — hörten sie sagen,
„und du bringst dein Schwester! mit!"

„Sie beschließen über meinen Kopf", flüsterte Gisela.

„Na, viel Spaß! Sie werden staunen über diese Bekanntschaft.
Er soll doch endlich ihre Hand loslaffen", wisperte ebenso leise
Gertrud.

Gisela lauschte mit verhaltenem Atem, voller Spannung, Florians
Abschiedsworten. Als er den Hut zum „Grüß Gott" zog, stürzte sie
ins Zimmer hinein, die Hand vor den Mund gepreßt. Gertrud be-
trachtete sie fragend und kopfschüttelnd; aber Gisela konnte vor Lachen
nur das eine Wort herausbringen: „Die Glatze — !"

Da stand auch schon ihre Schwester in der Tür und hörte gerade
noch, wie Gertrud sie mit unterdrückter Heiterkeit belehrte: „Oh, ich
bitte Sie, eine Glatze ist durchaus ein Zeichen von hoher Kultur!
Kommt nur bei übermäßiger geistiger Arbeit vor."

„Um wen handelt es sich denn?" fragte Barbara kühl und zuckte
die Achseln. Sie machte sich gleich daran, den Tisch zu decken. „Wenn
etwa von Seidl die Rede sein sollte, so muß ich zu eurer Enttäuschung
feststellen, daß er sie von übersteigertem Denken bestimmt nicht hat.
Er ist kein Bester- und Bücherwiffer. Er schafft rein gefühlsmäßig."
Sie sprach hastig mit geröteten Wangen, während sie die gelb-weiß
karierte Decke über den Tisch breitete.

„Du bleibst doch zum Esten?"

Gertrud lehnte energisch ab: „Ihr werdet euch heute viel zu erzäh-
len haben."

„Zu Hause vermissen wir dich oft, Bärbel", begann Gisela, als
die Schwestern allein waren. „Es war doch immer recht gemütlich,
wenn wir abends zu dritt mit Herta — sie nannte ihre Mutter oft
mit dem Vornamen, das kameradschaftliche Verhältnis betonend —
im kleinen Wohnzimmer bei Gebäck und gutem Kaffee saßen. Es
gab wohl kein Ereignis oder Problem, das wir nicht durchgesprochen
hätten."

„Oft bis spät in die Nacht hinein", ergänzte Barbara.

„Warst du schon in den Galerien?"

„Ich bin fast alle durch. — Vorige Woche war ich mal wieder
in der alten Pinakothek. Da kam mir so recht zum Bewußtsein, daß
cö einen Fortschritt in der Kunst nicht gibt. Man sieht nur ver-
schiedene AuSdruckSmittel eines sich stets gleich bleibenden Geistes; so
weit eS sich um die großen Meister bandelt, möchte ich sagen, des
nordischen Geistes. Du wirst natürlich von El Greco nicht loskommen.
Aber ich sage dir, auch RubenS ist trotz übermäßiger Kraftentwick-
lung durchaus edel. Es ist mir unverständlich, daß die Propheten der
modernen Kunst die alten Meister einfach damit abtun wollen, daß
sie deren Arbeit als Abklatsch der Wirklichkeit oder Photographie
bezeichnen und ihre eigene Schmiererei als „Seelenkunst" darüber-
stellen! Welche Geheimniffe haben die Alten doch in ihre Werke
bineingelegt! Es ist ein Schauen, eine Offenbarung darin, kein
bloßes technisches Können."

Barbaras Wirtin kam herein und unterbrach die Unterhaltung.
Wie immer zeigte ihr Gesicht einen etwas gequälten Ausdruck, den
sie vergebens durch ein gezwungenes Lächeln zu bannen suchte. Fräulein
Spangenberg war früher Lehrerin gewesen; aber durch ein Leiden

gezwungen, hatte sie sich früh pensionieren lasten. In der Nieren-
gegend trug sie gegen Abend, wenn die Schmerzen sich bemerkbar
machten, eine kleine flache Wärmflasche.

Hinter ihr erschien die Aufwartefrau. Ein Liegesofa wurde auf-
gestellt, und mit vereinten Kräften bezog man Kiffen und eine
Daunendecke.

„So, Schwesterherz, wenn du dich auch noch so sehr sträubst, jetzt
bekommst du einen kräftigen Kuß, und dann gehen wir schlafen.
Nach der langen Reise wirst du arg müde sein."

„Sag. mal, Bärbel, was ist eigentlich mit diesem Florian Seidl?",
fragte Gisela lächelnd, als sie auf dem Bettrand saß und ihr helles
Haar bürstete. Dabei blickte sie verstohlen zu Barbara hinüber, die
damit beschäftigt war, ihre Bücher und Kolleghefte für den nächsten
Tag in die Mappe zu ordnen. Barbara wandte ihr langsam das
Gesicht zu:

„Wenn es dich intereffiert, kannst du dir seine Sachen mal ansehen.
Vorwiegend Kirchenkunst. Ein seltsamer Heiliger!" Ihr Lachen
klang nicht so ganz echt. „Ich halte ihn übrigens nicht für zuverläffig.
— Für uns Frauen ist es doch gut, daß wir studieren dürfen und
lernen, vorsichtige Verstandesmenschen zu werden", fügte sie nach einer
Weile in so belehrendem Ton hinzu, daß Gisela lächelte und nichts
darauf sagte.

Es blieb still im Zimmer.

Hatte sie der Wahrheit die Ehre gegeben?, ging Barbara mit sich
zu Gericht, und vor ihrer Schwester über Florian nicht allzu leicht
den Stab gebrochen aus Angst, sich zu verraten? Hatte sie nicht etwas
behauptet, wovon sie selbst gar nicht überzeugt war?

„Warum habe ich Gisela nicht einfach gesagt, daß ich ihn liebe? Das
erste Mal im Leben, daß ich ihr gegenüber meine Sorgen und Kon-
flikte unter einer Maske verberge!"

Sie schämte sich für Florian. Das machte sie unzufrieden mit sich
selbst.

Auf den Zehenspitzen ging sie über den Teppich zu Gisela hinüber.
Aber die Schwester schlief schon fest und tief. Vorsichtig und liebe-
voll küßte sie sie auf die Stirn und strich mit der Hand sanft über
das blonde Haar. Dann machte sie leise das Licht aus.

Der „irregeleitete Fanatiker", wie seine bisherigen Auftraggeber,
teils geistliche, teils weltliche Machthaber, Florian Seidl nannten,
liebte seine Heimatstadt über alles. „Ich verlaß mein München nicht",
das stand bei ihm fest, wenn Berlin unter dem roten Regime auch
immer mehr zum Kunstzentrum Deutschlands aufrückte und viele
Zunftgenosten in seinen Bann zog.

„Hoffentlich gefällt Ihnen unser München auch so gut wie Ihrer
Schwester", begrüßte Florian am nächsten Abend die beiden Damen.
Sie trafen einander im Mittelpunkt der Stadt vor dem neuen Rat-
haus mit seinen vielen gotischen Türmchen. Um die Mariensäule,
wo die Himmelskönigin auf dem Halbmond thront, reihte sich Auto
an Auto. Drüben grüßte die bunte Faffade des alten Rathauses,
gleichsam längst in die Stille gesunkene Zeiten mit dem Lärm und
der Unruhe der Hauptverkehrsstraßen verbindend.

Unter dem Bogengang des Stadtarchivs hindurch führte Florian
die beiden Schwestern zum Petersbergl, das inmitten der Großstadt
schlummert, unberührt vom Wandel der Zeiten. Hier war eö so still,
daß man daS Plätschern deS Löffelbrunnens hörte. Der Zauber der
Romantik webt um das Standesamt, das der Münchner nicht ohne
Humor in ein kleines, uraltes Gefängnis gelegt bat; wie im Mär-
chen blicken die winzigen Erker und Türme der Rückseite des Stadt-
archivs drein samt den vergitterten Fensterchen, in deren Nischen
Falken horsten.

Die kleine Gesellschaft landete im „Franziskaner".

Mit welcher Leichtigkeit verzichtet der Student die Woche über auf
ein warmes Mittagesten, mit welcher Nichtachtung leiblicher Genüsse
verzehrt er tagsüber seine Würstl mit einigen Weckerln, wenn er hin
und wieder dafür abends im lichtdurchfluteten Bräu zwischen elegan-

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Johanna Birnbaum: Morgenmond
 
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