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AUSERLESENE

(*£in Professor, namens Taubmann, be-
kannt durch seinen Witz, war einmal bei
einem Rurfürsten zu Tisch geladen.
Dieser wollte ihn in Verlegenheit bringen
und hatte angeordnet, ihn: keinen Löffel
zu geben. Man brachte die Suppe und der
Rurfürst forderte Taubmann auf zu essen.
Dieser entschuldigte sich, so gut er konnte,
jedoch der Rurfürst, um ihm jeden Vor-
wand zu nehmen, sagte: „Ein Schelm,
wer keine Suppe ißt." Auf diese Drohung
hin nahm Taubmann ein Brötchen, höhlte
es aus, steckte es an die Gabel und be-
nutzte es so als Löffel. Als die Suppe
gegessen war, verzehrte er das Brötchen
und sagte: „Ein Schelm, wer seinen
Löffel nicht ißt."

*

Im Nebenzimmer einer Schenke sitzen
vier Gauner, die eine sehr hohe Zeche ge-
inacht hatten. Als sie sich mit dem Rell-
ner über den Preis geeinigt hatten, tat
der erste, wie wenn er in die Tasche grei-
fen wollte; der zweite halt ihn zurück und
sagt, er wolle bezahlen, der dritte tut des-
gleichen; der vierte endlich sagt zu dem
Rellner: „Ich verbiete Ihnen, von diesen
Herrn etwas anzunehmen." Als keiner
nachgeben will, macht einer den Vorschlag,
dem Rellner die Augen zu verbinden; der
den er erwischte, sollte die Zeche bezahlen.
Dieser Vorschlag wird ausgeführt, wah-
rend nun der Rellner im Zimmer herum-
tastet, schleichen sich die Gauner einer nach
dem andern weg. Gleich darauf kommt
der Wirt herein, der Rellner geht auf ihn
zu, halt ihn fest und sagt: „Hallo, Sie
bezahlen die Zeche!"

*

Als der Baron des Adrets, ein harter
und grausamer Mann, das Fort Mont-
prison eingenommen hatte, ließ er zunächst
den Vornehmsten unter den Verteidigern
des Forts den Ropf abschlagen. Nachdem
er dann gespeist hatte, ließ er die anderen
auf einer sehr hohen Turm steigen und
machte sich einen Spaß daraus, sie zu
zwingen, sich vom Turm herabzustürzen.
Ein Gascogner, der sich unter den unglück-
lichen Opfern befand, machte zweimal einen
Anlauf. Des Adrets rief ihm zu, sich zu
beeilen, er habe wenig Zeit, worauf der
Unglückliche ohne aus der Fassung zu
kommen erwiderte: „Ich würde Ihnen für
diesen Sprung zehn Anlaufe geben!"
Verwundert über die Schlagfertigkeit
eines Menschen angesichts einer so drin-
genden Gefahr, schenkte der Baron dem
Gascogner das Leben.

HISTÖRCHEN

Ros.

Ein Edelmann führt eines Tages einen
seiner Freunde bei einer Dame seiner Be-
kanntschaft ein mit den Worten: „Ma-
dame, ich stelle Ihnen den Marquis de
Gigot vor, der nicht so einfältig ist wie
er aussieht." Der Marquis, ohne aus der
Fassung zu kommen erwiderte: „Madame,
das ist der Unterschied zwischen dem Herrn
und mir."

*

Ein Hofnarr ging eines Tages zur
Rechten eines Rammerdieners spazieren,
als dieser sagte: „Ich kann nicht leiden,
daß ein Narr zu meiner Rechten geht."
„Aber ich", sagte der ^<u-r und ging auf
die andere Seite.

*

Als einst ein Edelmann übers Feld ritt,
schlief sein Diener auf dem Pferd ein und
verlor den Reisemantel seines Herrn. Er-
rief ihn an und als er keine Antwort
bekam, drehte er sich nach ihm um. Als
er ihn wanken sah und seinen Mantel
nicht bemerkte, weckte er ihn auf und
sagte: „Du Galgenstrick, wo ist mein
Mantel, ich wette du hast ihn verloren",
worauf der Diener antwortete: „wetten
Sie, mein Herr, ich bin sicher, daß Sie
gewinnen."

*

Ein Aufschneider rühmte sich, alle Für-
stenhöfe Europas zu kennen, als ihn einer
fragte, ob er auch die Dardanellen kenne,
worauf er antwortete: „Aber natürlich
kenne ich sie, ich habe doch mehrmals mit
ihnen gespeist."

*

Raiser Rarl V. hatte sich einmal auf
der Jagd verirrt, als er ein Haus ent-
deckte, in das er eintrat, um sich aus-
zuruhen. Er sah dort vier Leute liegen,
die so taten, als schliefen sie. Der erste
stand auf, ging auf den Raiser zu und
sagte; es habe ihm geträumt, er müsse
ihm seine Uhr nehmen, und nahm sie weg.
Der zweite sprach, ihm habe geträumt,
daß ihm sein Mantel gut passe, und nahm
diesen an sich. Der dritte nahm dem
Raiser die Börse, der vierte endlich bat
ihn, es ihm nicht übel zu nehmen, wenn
er ihn durchsuche. Bei der Visitation

bemerkte er am Hals des Raisers eine
kleine goldene Rette mit einem Pfeifchen,
die er dem Raiser wegnehmen wollte.
„Aber mein Freund", sprach da der
Raiser, bevor du mir dieses Pfeifchen
nimmst, erlaube, daß ich dir damit An-
stand beibringe." Im gleichen Augenblick
pfiff er. Seine Leute, die ihn suchten,
hörten den Pfiff, kamen zu dem Hause
und waren sehr überrascht, den Raiser in
einer solchen Lage zu finden. Nachdem
er sich außer Gefahr sah, sprach der
Raiser: „Diese Leute haben alles geträumt,
was sie wollten, nun werde ich auch ein-
mal träumen." Nachdem er einige Zeit
geträumt hatte, sprach er: „Ich habe ge-
träumt, daß ihr alle vier reif für den
Galgen seid" und sogleich wurden sie vor-
dem Haus aufgehangt.

*

Ein Schneider aus Lyon, der am
Stadttor wohnte, das zum Friedhof
führte, hatte in seinem Laden einen
irdenen Topf an einem Nagel hangen, in
den er jedesmal, wenn man einen Toten
zu Grabe trug, einen kleinen Rieselstein
warf. Am Schluß des Monats zahlte er
die Steine zusammen, um die Zahl der
Toten zu wissen. Schließlich starb er selbst
und als einige Zeit nach seinem Tod
jemand, der davon nichts wußte und
seinen Laden geschlossen sah, fragte, was
aus ihm geworden sei, antwortete ein
Nachbar: „Der Schneider ist in den Topf
gefallen, wie alle anderen."

*

Bei einer Missionspredigt in einem
Dorf der Provinz weinten alle Rirchen-
besucher, außer einem Bauern. Als man
ihn fragte, warum er bei einer so rühren-
den Ansprache nicht geweint habe, sprach
der Biedere: „Ich bin nicht von dieser
Pfarrei."

*

Der Herzog von... befand sich eines
Tages bei einem Gastmahl in Gesellschaft
des Erzbischofs von ..., einem Manne von
geringer Herkunft. Aber weil seine sel-
tenen Talente ihn zu dieser würde erho-
ben hatten, störte den Herzog die Freiheit,
mit welcher der Prälat sich benahm und
seine Meinungen vertrat und er sagte zu
ihm: „Sie würden gut tun, sich manchmal
Ihrer Herkunft zu erinnern." „Ich
erinnere mich gut daran", antwortete der
Erzbischof, „und ich weiß, daß wenn S i e
der Sohn meines Vaters gewesen waren,
Sie zu dieser Stunde die Schweine hüten
würden."

1938 / JUGEND Nr. 5 / 1. Februar 1938 Einzelpreis 40 Pfennig

Verantwortlich für die Schriftleitung: Fritz Maier-Hartmann, München; für Anzeigen: Karl Schilling, München Verlag: Karl Schilling- Verlag,
München, Kanalstraße 8, Tel. 27682 / Druck: Graph. Kunstanstalt W. Schütz, München 22, Herrnstr. 8—10, Tel. 20763 / Für Herausgabe und Schriftleitung in
Österreich verantwortlich: Dr. Emmerich Morawa i. Fa. Morawa & Co., Wien 1, Wollzeile 11 Alle Rechte Vorbehalten Nachdruck strengstens ver-
boten / Copyright by Karl Schilling- Verlag, München / DA. 4. Vj. 37: 4000. Prl. Nr. 3 / Manuskripte sind nur an die Schriftleitung der „TUGEND",
Karl Schilling- Verlag, München, Kanalstraße 8, zu richten / Rücksendung erfolgt nur bei beigefügtem Porto / Postort München
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Ros.: Vignette
 
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