Eine Silvester geschickte von Lilly Frick
ieder einmal Silvester. Die letzten
Jahre ist immer dasselbe: die Tochter bei
Bekannten eingeladen, Jugend gehört zu
Jugend. Er, Peter Reimann, nimmt sich
vor, ein wenig auszugehen. Musik, das
Lachen froher Menschen, unmerklich und
ohne Langeweile wird man ins Neue Jahr
Hinübergleiten.
Dann aber kam, wie jedes Jahr, der
Jugendfreund Oskar, ein ältlicher, mit der
Zeit etwas sonderlich gewordener Jung-
geselle, zog aus der Manteltasche zwei
Flaschen Rotwein, etliche Apfelsinen und
Zitronen, ein Fläschchen Arrak, was eben
zu einem ordentlichen Silvesterpunsch ge-
hört. Die Haushälterin war ausgegangen,
so konnte Oskar unumschränkt in der Rüche
herrschen.
Peter saß indes mit einer dicken Weih-
nachtsbrasil in seinem Rlubsessel und blickte
träumerisch in die Rauchwolken, die ihn
mehr und mehr einhüllten. Mit Rabarett
und so ist es also wieder einmal nichts,
Oskar laßt erfahrungsgemäß nur ein ab-
wehrendes Brummen hören, wenn man
dergleichen vorschlägt. Via ja, es wäre
auch bestimmt eine Enttäuschung gewor-
den, man muß dabei immer an Mariposa
Holsten denken, neben ihrer einmaligen
Erscheinung schrumpft alles andere jäm-
merlich zusammen.
Mariposa, schlankes, anmutiges Ge-
schöpf mit dem schimmernden Helm deiner
dunklen Haare, den großen sehnsüchtigen
Augen und den: begehrlichen Mund — seit
vielen Jahren gaukelt dein Lächeln in
Peter Reimanns Silvesterabend, glüht
deine ans Herz greifende Schönheit im
Erinnern seines einsam gewordenen Lebens
auf, du schillernder Falter, wie rasch und
schmerzlich erlosch dein kurzes Dasein —
Auch Peters Frau lebte damals noch.
Sie konnte es nicht verstehen, wenn ihr
Mann sich aus dem engen häuslichen Rreis
binausgezogen fühlte zu anderen Menschen,
fremden Schicksalen und Erlebnissen. Doch
sie war verständig genug, ihn gewähren
zu lassen und niemals mit kleinlicher Eifer-
sucht zu quälen, ^eute noch dankt er ihr
Silvester
Und es spült das Meer
Noch ein Sandkorn her,
Zu den großen, stummen Dünen.
Keiner hat es Acht.
In der hohen Nacht
Schwärmen Sterne ungezählt wie Bienen.
Aus dem Wald das Reh
Tritt leis in den Schnee,
Vogelschwinge streift vom Baum die Flocken.
Auf dem Meilenstein
Schlief ein Rabe ein.
In der Ferne summen hundert Glocken.
Mensch, e i n Rädlein nur
Pocht in deiner Uhr,
Ungeheuer sind der Zeit Gewichte.
Nimm dein kleines Jahr,
Brings dem großem dar!
Werde reif und rüstig, zum Gerichte!
B a s i 1 i k
das. Er suchte ja auch keine Liebesaben-
teuer, er war nur eben anders als die
Menschen in seinem Rreis. während sich
für die Frau Haus und Familie zu einer
Welt abrundete, über die hinaus sie
nichts begehrte, ja nicht einmal zu kennen
wünschte, war Peter auf ständiger Jagd
nach neuen Entdeckungen. Er besuchte die
Erstaufführungen von Theater und Film,
interessierte sich für junge Autoren, hoff-
nungsvolle Schauspieler und anmutige
Tänzerinnen.
Mariposa Holsten hatte er in einem
Rabarett kennen gelernt. Sie war nicht
nur jung und schön, sie hatte auch Geist
und entzückte ihn durch ihre treffenden Be-
merkungen. Leidenschaftlich liebte sie ihre
Tanzkunst, mit der sie sich in der Welt der
Rleinkunst einen wohlklingenden Vlamtn
erworben hatte.
Nie hatte Peter so lebendige und an-
regende Stunden verbracht als mit ihr.
Schon gleich das erstemal, als er sie nach
ihrem Auftreten an seinen Tisch geladen
und sie wie längst Bekannte miteinander
geplaudert hatten ...
„Der Punsch!" kommt Oskar mit der
dampfenden Terrine. Peter stellt Gebäck
und Lebkuchen auf den Tisch. So sitzen die
beiden alten Freunde zusammen wie auf
einer einsamen Insel, sie sprechen nicht
viel, nur ab und zu lassen sie ihre Gläser
aneinander klingen. Dann dröhnen von
der nahen Rirche her die erzenen Zungen
ihren Abschiedsgruß für das scheidende
Jahr, was sollen armselige Worte gegen-
über dem feierlichen Gesang!
Damals, vor zehn oder elf Jahren, war
843
ieder einmal Silvester. Die letzten
Jahre ist immer dasselbe: die Tochter bei
Bekannten eingeladen, Jugend gehört zu
Jugend. Er, Peter Reimann, nimmt sich
vor, ein wenig auszugehen. Musik, das
Lachen froher Menschen, unmerklich und
ohne Langeweile wird man ins Neue Jahr
Hinübergleiten.
Dann aber kam, wie jedes Jahr, der
Jugendfreund Oskar, ein ältlicher, mit der
Zeit etwas sonderlich gewordener Jung-
geselle, zog aus der Manteltasche zwei
Flaschen Rotwein, etliche Apfelsinen und
Zitronen, ein Fläschchen Arrak, was eben
zu einem ordentlichen Silvesterpunsch ge-
hört. Die Haushälterin war ausgegangen,
so konnte Oskar unumschränkt in der Rüche
herrschen.
Peter saß indes mit einer dicken Weih-
nachtsbrasil in seinem Rlubsessel und blickte
träumerisch in die Rauchwolken, die ihn
mehr und mehr einhüllten. Mit Rabarett
und so ist es also wieder einmal nichts,
Oskar laßt erfahrungsgemäß nur ein ab-
wehrendes Brummen hören, wenn man
dergleichen vorschlägt. Via ja, es wäre
auch bestimmt eine Enttäuschung gewor-
den, man muß dabei immer an Mariposa
Holsten denken, neben ihrer einmaligen
Erscheinung schrumpft alles andere jäm-
merlich zusammen.
Mariposa, schlankes, anmutiges Ge-
schöpf mit dem schimmernden Helm deiner
dunklen Haare, den großen sehnsüchtigen
Augen und den: begehrlichen Mund — seit
vielen Jahren gaukelt dein Lächeln in
Peter Reimanns Silvesterabend, glüht
deine ans Herz greifende Schönheit im
Erinnern seines einsam gewordenen Lebens
auf, du schillernder Falter, wie rasch und
schmerzlich erlosch dein kurzes Dasein —
Auch Peters Frau lebte damals noch.
Sie konnte es nicht verstehen, wenn ihr
Mann sich aus dem engen häuslichen Rreis
binausgezogen fühlte zu anderen Menschen,
fremden Schicksalen und Erlebnissen. Doch
sie war verständig genug, ihn gewähren
zu lassen und niemals mit kleinlicher Eifer-
sucht zu quälen, ^eute noch dankt er ihr
Silvester
Und es spült das Meer
Noch ein Sandkorn her,
Zu den großen, stummen Dünen.
Keiner hat es Acht.
In der hohen Nacht
Schwärmen Sterne ungezählt wie Bienen.
Aus dem Wald das Reh
Tritt leis in den Schnee,
Vogelschwinge streift vom Baum die Flocken.
Auf dem Meilenstein
Schlief ein Rabe ein.
In der Ferne summen hundert Glocken.
Mensch, e i n Rädlein nur
Pocht in deiner Uhr,
Ungeheuer sind der Zeit Gewichte.
Nimm dein kleines Jahr,
Brings dem großem dar!
Werde reif und rüstig, zum Gerichte!
B a s i 1 i k
das. Er suchte ja auch keine Liebesaben-
teuer, er war nur eben anders als die
Menschen in seinem Rreis. während sich
für die Frau Haus und Familie zu einer
Welt abrundete, über die hinaus sie
nichts begehrte, ja nicht einmal zu kennen
wünschte, war Peter auf ständiger Jagd
nach neuen Entdeckungen. Er besuchte die
Erstaufführungen von Theater und Film,
interessierte sich für junge Autoren, hoff-
nungsvolle Schauspieler und anmutige
Tänzerinnen.
Mariposa Holsten hatte er in einem
Rabarett kennen gelernt. Sie war nicht
nur jung und schön, sie hatte auch Geist
und entzückte ihn durch ihre treffenden Be-
merkungen. Leidenschaftlich liebte sie ihre
Tanzkunst, mit der sie sich in der Welt der
Rleinkunst einen wohlklingenden Vlamtn
erworben hatte.
Nie hatte Peter so lebendige und an-
regende Stunden verbracht als mit ihr.
Schon gleich das erstemal, als er sie nach
ihrem Auftreten an seinen Tisch geladen
und sie wie längst Bekannte miteinander
geplaudert hatten ...
„Der Punsch!" kommt Oskar mit der
dampfenden Terrine. Peter stellt Gebäck
und Lebkuchen auf den Tisch. So sitzen die
beiden alten Freunde zusammen wie auf
einer einsamen Insel, sie sprechen nicht
viel, nur ab und zu lassen sie ihre Gläser
aneinander klingen. Dann dröhnen von
der nahen Rirche her die erzenen Zungen
ihren Abschiedsgruß für das scheidende
Jahr, was sollen armselige Worte gegen-
über dem feierlichen Gesang!
Damals, vor zehn oder elf Jahren, war
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