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A n wenigen Grenzmarken innerhalb Europas pflegt sich der Gegensatz
der Nationen dem Reisenden schroffer aufzudrängen, wie da, wo am
Nordwestende der Pyrenäen der geschichtlich berühmte Bidasoa, zwischen
Frankreich und Spanien, in den Golf von Biscaya mündet. Der hier an-
geschlagene Ton wird indeß nicht immer festgehalten. Beim Vordringen
ins Innere bieten sich zunächst nichts weniger als afrikanische Eindrücke.
Der Weg führt, fortwährend im Steigen begriffen, bald aus den baskischen
Provinzen hinauf in das Tafelland Alt-Castiliens, und auf einer Höhe von
dreitausend Fuß, in einem der unbestrittenen Herrschaft nördlicher Winde
untergebenen Gebiet, zu dem kältesten Punkt Spaniens. In einer weiten,
baumlosen, flachgewellten Thalfläche, zwischen unabsehbaren Weizen- und
Flachsfeldern, die den Reisenden oft schneebedeckt (denn der Winter währt
acht Monate), oder geröstet vom Sonnenbrand, nur in Glücksfällen grün
bewillkommnen, erscheint, unvorbereitet, hinter dem von langen melan-
cholischen Alleen begleiteten Flüßchen Alarzon, am Saum eines kahlen
Hügels mit formlosen Trümmern des einst stolz thronenden Castells, das
ehrwürdige Caput Castel/ae, das uns schon als Knaben aus den Romanzen
vom Cid bekannte Burgos, einst Königshof, Sitz eines streitbaren Adels
und reicher Kaufherren, nun schon dreihundert Jahre als verarmte Pro-
vinzialstadt seine matten Lebensreste hinschleppend. Und aus den düstern,
hohen Häuserreihen taucht auf die graue Kathedrale, — im Schweigen
dieser Oede wie eine aus den Lüften tönende Musik, von Menschen- und
Engelzungen1), ein Hymnus von Geschlechtern, Thaten und Gedanken, die
längst im Strom der Zeiten versunken sind.

Es ist die Südseite der Kirche, die sich da vor uns dehnt — noch
länger erscheinend durch die Versenkung des unteren Geschosses hinter
dem anstoßenden erzbischöflichen Palast und dem Kreuzgang; denn man
sieht von ihr nur die Fenster und Schwibbogen des Lichtgadens. Um so
mächtiger wirken die am West- und Ostende und in der Mitte, ohne
Einschiebung steiler Dachflächen, frei in die Lüfte aufsteigenden Hoch-

') Philipp II. sagte, die Laterne sei ein Gebilde der Engel, kein Menschenwerk,
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