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GARCILASO DE LA VEGA

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missen wäre«. Manche werden auf seines Gegners Castillejo Seite treten,
wenn er den in Castilien eingeführten Petrarchismus als einen Verrat am
Volksgeist, wie eine anabaptistische Ketzerei brandmarkt. Seine Zeit nannte
ihn el principe de la poesia espanola; aber schon Lope de Vega wollte
dies von seinem Commentator Herrera verkündigte Principat des »mit
tausend Lorbeern bekrönten« Mannes auf seine — längst vergangene —
Zeit einschränken. »Die Jahrhunderte vergehen«, sagt er, »und die Quelle,
die im Winter temperirt scheint, dünkt uns im Sommer eisiger als
Schnee1). Phönix und Adler erneuern sich.« Und Calderon spricht von
den »längst entschlummerten Erinnerungen« Boscans und Garcilaso's.

Man müßte eine der schönsten Sprachen der Welt seine eigne nennen
oder in jenem Jahrhundert gelebt haben, um den Eindruck zu verstehen,
den eine den Eclogen Virgils nachempfundene Reinheit der Sprache und
sanft elegische Stimmung in dem noch so rauh klingenden castilischen
Vers damals ausübte — sein portugiesischer Zeitgenosse Camoens nennt ihn
o brando e doce Lasso Castelhano, Octave I, 215 f., »den weichen und süßen
Lasso« — um diese crystallklare Durchsichtigkeit, diesen Wohllaut der
Wortfolge, diesen ebenmäßigen Rythmus der Versführung zu genießen. Man
hat bemerkt, daß nicht ein Wort, nicht eine Phrase bei ihm vorkommt,
die heute aufgehört hätte, rein castilisch zu sein; — dessen könne sich
kein so früher Schriftsteller rühmen 2). Darum werden seine Verse dauern,
so lange diese Sprache gesprochen wird, wenigstens so lange noch ein
spanisches Ohr die Unbefangenheit hat, Formvollendung des Sprach-
instruments zu empfinden.

Jenes unstete Wanderleben in der Fremde hat ihm außer Wunden
und Liebesabenteuern auch Inspirationen gebracht. Der Genius unter
der Maske des Zufalls führt ihn an die Orte, wo die Schatten der Ver-
gangenheit seinem Ohr vernehmbar werden. Er verrichtet seine Andacht
in Vaucluse:

— do naciö el claro l'uego del Petrarca —

Am Fuße des Aetna hat derErwecker sicilischer Musen an . seinen Freund
in Barcelona die zweite Elegie geschrieben. Am Grabe Virgils und Sanna-
zaro's fällt der Schulstaub ab von seinen Blättern. Die Entlehnungen, die
man so oft bei seinen schönsten Stellen wahrnimmt und die von Commen-
tatoren gewissenhaft verzeichnet worden sind, erscheinen da in anderem
Lichte, — wie eine Seelenwanderung. Das geistige Leben der Menschheit
bewegt sich selten in gerader Linie, oftmals aber in großen Zirkeln. PZs
giebt nichts Wertvolles, das der ruhelose Strom des Werdens (der ja nicht
schafft, sondern nur zu Tage bringt) für immer verschlänge:

') Im Laurel de Apolo. Silva I und IV. Obras sueltas I, 14, 80.
*) TICKNOR, a. a. O. I, 495.

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